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Bio-Carbonfasern aus Lignin

In Flugzeugen, Autos oder Windrädern stecken immer häufiger Carbonfasern. Noch sind sie aus Erdöl und teuer. Das soll sich nun ändern. Forscher der Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung Denkendorf (DITF) entwickeln kostengünstige Kohlenstofffasern aus Lignin, einem Nebenprodukt aus der Papierherstellung.

Carbonfasern bestehen zum Großteil aus Kohlenstoff, der grafitartig angeordnet ist. Sie verstärken Kunststoffe, Metalle oder Keramik. „Verbundwerkstoffe aus Carbonfasern sind das steifste Material, das wir kennen, bei gleichzeitig niedriger Dichte“, sagt Dr. Erik Frank, der bei den DITF den Bereich Carbonfasern und neue Materialien leitet. Bauteile, die stark belastet sind oder hohe Temperaturen aushalten müssen und gleichzeitig leichtgewichtig sein sollen, enthalten daher oftmals Carbonfasern.

Sie werden beispielsweise für Hitzeschilde in der Raumfahrt und in Flugzeugrümpfen eingesetzt oder stecken in der Karosserie und in Bremsscheiben von Formel-1-Rennwagen, im Rahmen mancher Mountainbikes, in Skiern und vielen anderen Sportgeräten. Doch Frank zufolge sind Carbonfasern mit einem Kilogrammpreis von mindestens 15 Euro mehr als zehnmal so teuer wie herkömmliche Verstärkungsmaterialien, etwa Glasfasern oder Stahl. Der Einsatz von Carbonfasern beschränkt sich daher meist auf hochpreisige Produkte.

Bis im Jahr 2022 könnte der weltweite Bedarf an Carbonfasern von 70,5 Tonnen im Jahr 2017 jedoch auf 120,5 Tonnen ansteigen, schätzt der Branchenverbund Carbon Composites e.V.1 Das Leichtbaumaterial wird nämlich für Elektroautos zunehmend interessant, die dadurch höhere Reichweiten erreichen können. Auch beim Bau immer größerer Rotorblätter für Windkraftanlagen könnten Carbonfasern wichtig werden. In der Baubranche sind sie als Ersatz für die korrosionsanfällige Stahlarmierung im Beton denkbar.

Lignin – ein billiger und nachwachsender Rohstoff

Dr. Erik Frank leitet den Bereich Carbonfasern und neue Materialien innerhalb der DITF. © privat

Laut Frank könnte sich der Preis für Carbonfasern in einigen Jahren halbieren. Als preisgünstiges und nachwachsendes Ausgangsmaterial untersuchen die Denkendorfer Forscher unter anderem Lignin. Zusammen mit elf weiteren Partnern wollen sie die Bio-Carbonfasern in dem EU-Projekt LIBRE (Lignin-based carbon fibres for composites) zur Marktreife bringen.2

Lignin sorgt für das Verholzen von Gräsern, Stauden, Sträuchern und Bäumen. Das Polymer verklebt Cellulosefasern in den Zellwänden der Pflanzen und verfestigt sie, sodass selbst über 100 Meter hohe Mammutbäume nicht einknicken. In den Papierfabriken fallen jedes Jahr mehrere Millionen Tonnen Lignin als Reststoff an. Statt es wie bisher meist zu verbrennen, formen die Verbundpartner das beige-braune Pulver so um, dass es sich zu Fäden verspinnen lässt. Diese werden in einem weiteren Prozess zu den anthrazitfarbenen Carbonfasern umgewandelt.

Bislang werden die Ausgangsfasern meist aus Polyacrylnitril in einem Nassspinnverfahren hergestellt.3 Der Prozess ist empfindlich und langwierig. „Darauf entfällt die Hälfte der Kosten der Carbonfaserherstellung“, erklärt Frank. Außerdem sind sowohl der Grundbaustoff Acrylnitril als auch die verwendeten Lösungsmittel giftig. Entstehende Abgase bei der thermischen Weiterbehandlung müssen entsprechend aufwendig gereinigt werden. Ganz selten wird auch Pech als Basis für besonders steife und zugfeste Carbonfasern verwendet. Hierbei fallen jedoch noch höhere Aufbereitungskosten an, so Frank.

„Um die Ausgangsfasern herzustellen, verwenden wir ein Schmelzspinnverfahren, weil es preiswerter ist und ohne Lösungsmittel auskommt“, erklärt Frank. Zunächst muss das meist unschmelzbare Lignin schmelzbar gemacht werden. Dafür modifiziert Franks Team das Lignin chemisch oder vermischt es mit schmelzbaren Additiven.

Spinnfäden, dünner als menschliches Haar

Vorläuferfasern aus Lignin, hergestellt im Schmelzspinnverfahren durch Extrusion. © DITF

Danach kann das pelletierte Lignin-Gemisch in der Schmelzspinnanlage in der Denkendorfer Fabrikationshalle bei Temperaturen bis zu 250 Grad Celsius aufgeschmolzen werden. Eine Schnecke treibt die weiche Masse in einem Extruder wie in einem Fleischwolf vorwärts und drückt sie durch mehrere Hundert Löcher einer Düse. An der Luft härten die Fasern – zehnmal dünner als ein menschliches Haar – aus und werden als Endlosgarn von mehreren Kilometern Länge auf Rollen gewickelt.

Anschließend müssen die Fasern wieder unschmelzbar gemacht werden. Dafür durchläuft die Faser einen Umluftofen, in dem zunehmend heißer werdende Luft ein Vernetzen der Ligninmoleküle bewirkt. Ein neuer, besonders energieeffizienter Ofen, den die Denkendorfer zusammen mit der Firma centrotherm international AG in Blaubeuren entwickelt haben, soll die Herstellungskosten weiter senken. „Er nutzt ein Teilvakuum, um später homogenere Carbonfasern mit noch besseren mechanischen Eigenschaften zu erhalten“, ergänzt Frank. Auch die Zeit, die für die Vernetzungsreaktion gebraucht werde, könnte sich von derzeit über 60 Minuten auf 30 Minuten verkürzen, so der Chemiker.

Im letzten Schritt, dem Carbonisieren, werden nahezu alle chemischen Elemente außer dem Kohlenstoff aus der Faser abgespalten. Dazu erhitzen die Denkendorfer Forscher die Faser in einem Hochtemperaturofen bei über 1.000 Grad Celsius unter Stickstoffatmosphäre. „Die Werte für Zugfestigkeit und Steifigkeit liegen bei der ligninbasierten Carbonfaser über denen von hochlegiertem Stahl, wobei Stahl wesentlich schwerer ist“, sagt der Chemiker.

Bislang geringe Kohlenstoffausbeute und brüchige Fasern

Neuer energiesparender Ofen an den DITF zur Stabilisierung der Vorläuferfasern von Carbonfasern im Teilvakuum. © DITF

Bereits in den 1960er/70er Jahren haben Forscher begonnen, Carbonfasern auf Lignin-Basis herzustellen.3 Lignin hat nämlich den Vorteil, dass es bereits zu 60 Prozent aus Kohlenstoffatomen besteht und die aromatische Vorstruktur der späteren Kohlenstofffaser aufweist. Doch die Kohlenstoffausbeute und die Qualität waren bislang gering. Mit dem inzwischen patentierten Prozess, den Franks Team entwickelt hat, können sie die Hälfte der ursprünglich im Lignin vorhandenen Kohlenstoffmenge bergen. Alles darunter wäre unwirtschaftlich. Damit sei die Kohlenstoffausbeute ähnlich hoch wie bei den bisherigen Polyacrylnitril-basierten Carbonfasern und höher als mit Cellulose als weiterer biobasierter Rohstoffalternative, so Frank.

Das größte Problem war bisher, dass die langen Polymerketten des Lignins nach dem Celluloseaufschluss in der Papierindustrie nur noch fragmentiert vorliegen. Die Ausgangsfaser wird dadurch spröde und brüchig und lässt sich nur schwer weiterverarbeiten. Um das zu umgehen, mischen Franks Mitarbeiter dem Lignin-Gemisch vor dem Aufschmelzen hochmolekulare Cellulose zur Stabilisierung bei. Langfristig will Frank aber nur noch reines Lignin verwenden, weil sich Lignin und Cellulose gegenseitig stören. „Wir nehmen die kleinen Molekülbruchstücke des Lignin und verbinden sie über eine chemische Komponente wieder zu einer langen Molekülkette“, erklärt der Chemiker. Dadurch kann künftig eine Ausgangsfaser für Carbonfasern ausschließlich aus dem kostengünstigen Lignin hergestellt werden.

Das vierjährige LIBRE-Projekt läuft noch bis zum Jahr 2020. Bis dahin wollen die Denkendorfer etliche Kilogramm Lignin-Carbonfasern produzieren. Projektpartner werden Verbundwerkstoffe aus diesen Carbonfasern für Windrad- und Automobilelemente austesten.

Literatur:

1. Sauer M und Kühnel M (2018): Composites-Marktbericht 2018. Marktentwicklungen, Trends, Ausblicke und Herausforderungen. www.carbon-composites.eu/media/3575/ger_cc-cf-marktbericht_2018.pdf (Abruf 19.02.2019)

2. LIBRE-Projekt: http://libre2020.eu

3. Frank E et al (2014): Carbonfasern: Präkursor-Systeme, Verarbeitung, Struktur und Eigenschaften. Angew. Chem. 126, 5364-5403.

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/bio-carbonfasern-aus-lignin