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Industrielle Biotechnologie: Schwieriger Wechsel der Rohstoffbasis

Nie waren biogene Rohstoffe so begehrt wie heute. Das Ringen um erneuerbare Kohlenstoffquellen ist schon im Gang, auch wenn neue Fördertechniken die fossilen Rohstoffvorräte strecken. Die Industrie wird auf mittlere Sicht ihre Rohstoffbasis erweitern, auf lange Sicht sogar erneuern müssen. Eine der Schlüsseltechnologien auf dem Weg zu einer Wirtschaft auf Basis nachwachsender Rohstoffe ist die industrielle Biotechnologie. Deren mikrobielle Produktionsstätten brauchen Biomasse. Doch welche wird es sein und haben wir genug davon?

Wie begehrt Biomasse ist, hängt von der Art der Biomasse ab. Ums Holz ist bereits ein Kampf entbrannt, beim Bioabfall herrscht noch Gelassenheit. Dass sich die Konkurrenz um nachwachsende Rohstoffe verschärfen wird, erscheint realistisch. Mit wachsender Weltbevölkerung wächst auch der Bedarf an Nahrungs- und Futtermitteln. Das Dilemma: Weide,- Acker- und Waldflächen sind begrenzt, der Bedarf an Biomasse ist enorm, sofern sie als (Teil-)Ersatz für fossile Rohstoffe Einzug in die Industrie halten soll. Damit nicht genug. Weil Flächen begrenzt sind und sich zwischen den vielen Möglichkeiten Biomasse zu nutzen Konkurrenzen entwickeln, gilt es Prioritäten zu setzen. Unter der Bezeichnung 5F-Kaskade haben Experten eine Reihenfolge erstellt, in der Biomasse am sinnvollsten zu nutzen ist (OECD, 2011, S. 16). Nahrungs- und Futtermittel sollen Vorrang genießen, dann folgen Spezial- und Massen-Chemikalien sowie Inhaltsstoffe für Arzneimittel, dann kommen Fasern und Biomaterialien (Holz, Zellstoff und Papier), erst dann Treibstoffe und Bioenergie, das Ende bilden schließlich Dünger und Bodenverbesserer.

Doch das ist noch Zukunftsmusik. Hintergrund der 5F-Kaskade ist, dass man die energetische Nutzung, also die Verbrennung, so spät wie möglich in den Lebenslauf der Biomasse setzen will. Damit bleibt CO2 möglichst lange gebunden und die Biomasse kann vor der Verbrennung erst noch andere Wertschöpfungsprozesse durchlaufen. Aktuell, Beispiel Bio-Ethanol oder Holzpellets, wandert Biomasse sehr früh in die Verbrennung. Es dominiert die singuläre Nutzung. Kaskaden gibt es im Moment kaum. Sie erfordern, Stoffströme neu zu ordnen und neue Technologien für die Umwandlung der Biomasse in Werstoffe zu entwickeln.

Verbrennen oder stofflich nutzen?

In Deutschland wurden im Jahr 2012 rund 110 Millionen Tonnen Erdöl in Industrie- und Energieprozessen umgesetzt. Kraftstoffe, Schmierstoffe, Treibstoffe, Chemikalien, Kunststoffe - eine Industrie ohne Öl können wir uns heute nicht mehr vorstellen. Zu wichtig, zu dominant ist dieser Rohstoff.

Momentan ist Biomasse die einzige regenerative Kohlenstoffquelle. Vielleicht können eines Tages auch Kohlendioxid oder Kohlenmonoxid aus Industrieprozessen - also ein Großteil dessen, was wir als Abgas bezeichnen - wieder aufbereitet werden zu Kohenstoffverbindungen, die die Industrie wiederum verwerten kann. Allerdings: Regenerativ ist dieser Weg nicht, weil der Kohlenstoff nach wie vor aus fossilen Quellen wie Öl, Gas oder Kohle stammt.

Die erste Generation biobasierter Chemikalien verwendet Rohstoffe, die auch als Nahrungs- oder Futtermittel verwendet werden. Die zweite setzt auf Non-Food-Biomasse, die vor allem Zellulose, Hemizellulose oder Lignozellulose enthält. Noch werden vor allem essbare Bio-Rohstoffe genutzt. Aber die Nachhaltigkeitsdebatte rückt biogene Reste und Abfälle der Industrie und deren schwer fassbare Stoffströme in den Blick (Raschka, Carus, 2012). Ob es eines Tages überhaupt noch Bioabfälle geben wird, darf bezweifelt werden. Sie werden zu Wertstoffen und damit zur Basis von Wertschöpfungsprozessen.

Verfügbar, konkurrenzfähig und nachhaltig sollte die Biomasse sein - in Europa gilt dies zum Beispiel für Reststoffe aus der Ernte von Rundholz oder für sogenanntes Landschaftspflegegut, also Pflanzenschnitt von Straßenrändern, Parks, Wiesenstücken und Ähnlichem. Beim Rundholz folgt jedoch umgehend die Einschränkung: Die Nachfrage aus klassischen Holzverwertungsbranchen ist so hoch, dass Holz kaum für die Herstellung von anderen Wertstoffen verfügbar sein wird. Selbst für Holzreste aus der Forstwirtschaft sind die Verwertungspotenziale bereits voll ausgeschöpft.

Vielleicht kommen Algen noch groß ins Spiel. Sie nehmen CO2 auf und wandeln es im Stoffwechsel zu Kohlenwasserstoffen um. Ob sie zur Alternative für Pflanzen aus Feld, Wald und Wiese werden, ist wegen des frühen Entwicklungsstandes noch nicht abzuschätzen. Was für sie spricht, ist nicht nur ihr CO2-basierter Stoffwechsel. Sie sind auch attraktiv, weil sie auf Flächen kultviert werden können, auf denen sich weder Land- noch Forstwirtschaft betreiben lässt.

Sperrige Lignozellulose

Den Biotreibstoffen der ersten Generation (1G), die Stärke aus Nahrungsmitteln wie  Mais, Zuckerpflanzen, Weizen oder Öl aus Ölsaaten wie Raps einsetzen, setzt die Nachhaltigkeitsdebatte zu. Der Übergang zu anderen nachwachsenden Rohstoffen, die nicht mit Nahrungs- und Futtermitteln konkurrieren, weil sie nicht auf Stärke basieren, steht an. Der Wechsel auf die Non-Food-Schiene ist mühsam. "Für Lignozellulose, die Rohstoffbasis der zweiten Generation, ist die Aufschlusstechnologie noch nicht ausgereift", sagt Hartmut Grammel, Professor für Industrielle Mikrobiologie an der Hochschule Biberach. Herkömmliche Bakterien oder Hefen können die Hemizellulosen, die in der Lignozellulose enthalten sind, nur schwer verwerten. Grund ist der molekulare Aufbau. Hemizellulosen sind größtenteils aus Zuckerbausteinen mit fünf Kohlenstoffatomen (C5-Zucker) aufgebaut. Mikroorganismen, die in der Biotechnologie eingesetzt werden, bevorzugen vor allem den C6-Zucker Glukose, der in Zellulose und Stärke vorhanden ist. Doch es gibt Organismen, die C5-Zucker verwerten können.

Wesentlich größere Probleme bereitet das komplexe Biopolymer Lignin. Auch dieses Molekül ist für klassische Mikroorganismen der Biotechnologie kaum zu knacken. Es gibt zwar Pilze, die Lignin zersetzen können. Zur Massenkultur im Bioreaktor taugen sie jedoch noch nicht. Mit Hochdruck wird nach Enzymen gefahndet, die die Lignozellulose und mit ihr insbesondere das sperrige Lignin aufschließen.

Ist das Lignin erst aufgebrochen, könnten die passenden Mikroben die C5-Zucker der Hemizellulose in Produkte oder Produktvorstufen umgewandeln. Dabei genügt es nicht, dass Aufschluss und Konversion, also die chemische Umwandlung der Moleküle, gelingen. Enzyme und Organismen müssen im großtechnischen Prozessmaßstab stabil arbeiten. An dieser Hürde ist schon mancher Verfahrensentwurf gescheitert.

Die weltweite Bioethanolproduktion übersteigt die des Biodiesels (Fettsäuremethylester) fast um das Vierfache (Pöyry Management Consultant Oy, S. 22). Es gibt Bio-Ethanol-Anlagen der zweiten Generation (2G-Ethanol-Anlagen), also Anlagen, die mit Non-Food-Substraten wie Zellulose arbeiten, im Pilot- und Demonstrationsmaßstab. Wenige großtechnische Anlagen sind im Bau. Die einzige große (Jahreskapazität: 75 Mio. Liter) steht in Crescentino (Italien) und transformiert Reisstroh und Energiepflanzen zu Ethanol. In Straubing erprobt der Spezialchemiekonzern Clariant eine weitere 2G-Anlage im Demo-Maßstab (1,26 Mio. Liter). Sie setzt Zellulose als Substrat ein.

In Übersee sind einige 2G-Anlagen für die Herstellung von biobasierten Produkten im (Probe-)Betrieb, der Beweis ihrer Wirtschaftlichkeit steht noch aus (Krieger, 2014). Die Wettbewerbsfähigkeit von 2G-Treibstoffen ist in hohem Maße vom Preis und der Effizienz der Enzyme und Mikroben abhängig (Pöyry Management Consultant Oy, S. 21). Auch die mikrobielle Produktion von Biodiesel (bislang nur chemisch), der nur in Europa eine gewisse Rolle spielt, hat das Entwicklungsstadium noch nicht verlassen.

Interessante Alternative: Synthesegas-Fermentation

Ein alternatives Verfahren zur Herstellung von Biotreibstoffen ist die Synthesegas-Fermentation. Jede Biomasse lässt sich thermochemisch in ein Gemisch aus Wasserstoff, Kohlenstoffmonoxid und Kohlenstoffdioxid zerlegen. Bestimmte anaerobe Bakterien, zum Besipiel manche Clostridium-Arten, nutzen CO, CO2 und H2 als Kohlenstoff- und Energiequelle und produzieren daraus Ethanol, Butanol oder Chemikalien wie Essigsäure, Lactate, Butyrate, 2,3-Butandiol und Aceton. Verschiedene Stämme dieser Bakterien mit modifizierten Stoffwechselwegen werden für die kommerzielle Herstellung der Synthesegas-Fermentation in Pilot- und Demonstrationsanlagen genutzt (Coskata, INEOS Bio und LanzaTech).

Bislang ist die Synthesegas-Produktion fossilbasiert; CO, CO2 und H2 stammen aus Erdöl oder Erdgas. Biomasse oder organischer Müll machen zurzeit nur 0,5 Prozent der Rohstoffbasis aus. Als größte Herausforderung für den industriellen Einsatz der Synthesegas-Fermentation gilt der effiziente Transfer von der gasförmigen in die flüssige Phase. Nur wenn sich die Gase ausreichend im flüssigen Nährmedium lösen, ist eine wichtige Voraussetzung erfüllt, dass die Mikroorganismen die gasförmigen Nährstoffe im erforderlichen Umfang aufnehmen können.

Das Synthesegas lässt sich auch im Fischer-Tropsch-Reaktor zu flüssigen Kohlenwasserstoffketten umwandeln und wie fossiles Erdöl in bestehenden Raffinerien veredeln. Als technisch noch unausgereift gilt das einstufige Verfahren der Pyrolyse, bei dem Biomasse ohne zusätzlichen Sauerstoff erhitzt und direkt in organische Flüssigkeiten umgesetzt wird.

Der globale Markt für Biotreibstoffe wird sich bis 2021 auf voraussichtlich 136 Mrd. Euro verdoppeln. Auf Basis angekündigter Projekte wird die Produktion von 2G-Ethanol dann etwa sechs Prozent der aktuellen 1G-Ethanol-Produktion ausmachen (Pöyry Management Consultant Oy, S. 23). Die Zukunft der Biotreibstoff-Industrie hängt in hohem Maße von politischen Rahmenbedingungen ab. Durch die neuen Regelungen zur CO2-Emissionsminderung im Verkehr kommt den Kraftstoffen der zweiten Generation eine größere Bedeutung zu, weil sie bei der CO2-Minderung höher bewertet werden als Kraftstoffe der ersten Generation. Damit wird der Bedarf an nachwachsenden Rohstoffen steigen. Sie stehen, da es um 2G-Kraftstoffe geht, nicht in Konkurrenz zu Nahrungs- und Futtermitteln.

Ebenfalls ein Energieträger der zweiten Generation ist Biogas. Die dezentrale Biogas-Produktion in Deutschland, das als Technologieführer gilt, deckt vier Prozent des deutschen Bruttostromverbrauchs (Fachverband Biogas, 14.07.2014). Die anaerobe Vergärung von Biomasse ist kommerziell verfügbar. Jedoch stagniert der Ausbau mit Biogasanlagen wegen der Neufassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Es reduziert die Einspeisevergütung weiter, weshalb Anlagenbetreiber befürchten, dass sich Neuanlagen nicht mehr rechnen könnten.

Im Energiemix spielt Biogas trotzdem eine wichtige Rolle. Aufbereitet zu Biomethan/Bioerdgas könnte es nach Berechnungen der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (14.06.2014) zehn Prozent des Erdgasverbrauchs, bis 2020 15 Prozent decken und entsprechend viel fossiles Gas ersetzen.

Erste biobasierte Plattformchemikalien erreichen den Markt

Polymilchsäure-Produktion für Bioplastik ist ein frühes Erfolgsbeispiel. Hier: Ingeo-Biopolymer-Pellets. © NatureWorks LLC

Identifiziert sind sie schon, die Schlüsselmoleküle, die Grundlage einer künftigen grünen Chemie sein könnten. Schlüsselmoleküle besitzen mehrere funktionelle Gruppen, über die sich viele Reaktionswege eröffnen und Zwischenprodukte herstellen lassen, die sich wiederum dank ihrer Kombinationsmöglichkeiten zu einer Reihe von Folge- und Endprodukten prozessieren lassen. Zumindest im Labor stehen Prozesse für C3-, C4-, C5-, C6- und auch C10- und C12-Verbindungen zur Verfügung.

Es zeichnet sich ab, dass in naher Zukunft durch Fermentation von Zucker mithilfe maßgeschneiderter Mikroben hochwertige, hochreine erneuerbare Plattform-Chemikalien wie Bernsteinsäure, 1,4-Butandiol (BDO), Isobutanol, Essigsäure oder Isopren produziert werden können. Die Verfahren sollen mit petrochemischen Prozessen konkurrieren können.

In der chemischen Industrie sind 2G-Umwandlungsprozesse noch die Ausnahme, wie die biotechnologische Herstellung der Feinchemikalien Zitronensäure und Aminosäuren. Ebenfalls bekannt, erfolgreich und noch immer auf Wachstumskurs sind industrielle Enzyme. Sie zählen auch zu Chemieprodukten, die mithilfe nachwachsender Rohstoffe hergestellt werden. Die zweistelligen Wachstumsraten (Erickson, 2012, S. 180 ff.) deuten darauf hin, dass auch in diesem Segment der Bedarf an biobasierten Rohstoffen steigen wird. Die Mikroorganismen wollen auch in Zukunft gut gefüttert werden.

Frühes Erfolgstrio: Ökonomie, Umwelt und Nachhaltigkeit

Früh erfolgreiche Bioprodukte, die im industriellen Maßstab hergestellt werden - wie 1,3-Propandiol (PDO) über Fermentation aus Mais-Zucker (DuPont Tate & Lyle Bio Products Company LLC) -, zeigten, dass wettbewerbsfähige Preise und Leistung genauso wichtig für den kommerziellen Erfolg sind wie Umweltvorteile und Nachhaltigkeit. So spart die biotechnologische PDO-Synthese gegenüber dem petrochemischen Verfahren deutlich Energie und Klimagase. Ähnliches gilt für Polymilchsäure (PLA, vor allem durch NatureWorks LLC), Polyhydroxyalkanoate oder Polyethylen (Erickson, 2012). Kommerziell relevant wird Nachhaltigkeit in der Produktion aber erst dann, wenn die Kunden bereit sind, für grüne Verfahren mehr zu bezahlen oder wenn die Preise für CO2-Zertifikate erheblich steigen.

In Europa wurde bislang eher die Bioenergie gefördert. Die Europäische Kommission hat als Antwort darauf eine öffentlich-private Initiative (BIC: Biobased Industries Consortium) gestartet, um die Kommerzialisierung biobasierter Produkte zu beschleunigen. 3,8 Milliarden Euro - zwei Drittel davon privat finanziert - sollen bis 2020 in die Hand genommen werden.

Noch dominieren die Erwartungen

Die biobasierte Wirtschaft lebt großenteils noch von Erwartungen (wie bei Bioplastik), denn die Kommerzialisierung der industriellen Biotechnologie muss für einige Produkte noch eine Reihe von Hürden überwinden, ehe sie den kapitalintensiven Schritt in großvolumige Verfahrensprozesse geht (Chen, 2012). Der Makroökonom Dr. Sven Wydra vom Fraunhofer-Institut für
System- und Innovationsforschung ISI, der gerade einen Innovationsreport zur Industriellen Biotechnologie für das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag erstellt: „Wir sind noch am kommerziellen Anfang. Viele der Potenziale liegen noch vor uns", so der Ökonom zum Stand der stofflichen Nutzung.

 

 

Quellen:

Chen, G.-Q.: New challenges and opportunities for industrial biotechnology. Microbial Cell Factories 2012; doi:10.1186/1475-2859-11-111

Erickson, B.; Nelson, J. E.; Winters, P.: Perspective on opportunities in industrial biotechnology in renewable chemicals. Biotechnology Journal 2012; doi: 10.1002/biot.201100069

Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR): Marktanalyse Nachwachsende Rohstoffe. Schriftenreihe Nachwachsende Rohstoffe 2014, Band 34

Fachverband Biogas: Anlagenneubau tendiert gegen Null, 14. Juli 2014

Krieger, K.: Renewable energy: Biofuels heat up. Nature 2014, doi: 10.1038/508448a

OECD: Industrial Biotechnology and Climate Change. 2011

Pöyry Management Consultant Oy: Macro developments on the bio-based fossil transition. Bioconsept 2013

Raschka, A., Carus, M.: Industrial material use of biomass Basic data for Germany, Europe and the world. nova-Institute GmbH 2012

 
Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/dossier/industrielle-biotechnologie-schwieriger-wechsel-der-rohstoffbasis