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Algen im Licht der Industrie

Mikroalgen sind Stoffwechsel-Exoten. Zahlreiche metabolische Produkte aus der vielfältigen Organismengruppe bereichern schon heute die Industrie: Antioxidantien wie ß-Carotin oder Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren dienen zur Nahrungsergänzung. Mikroalgen bereichern Fischfutter. Die Pharmaindustrie kann antivirale oder antikarzinogene Stoffe als Basis für Medikamente verwenden. Die energiereiche Biomasse gewinnt schließlich als erneuerbare Treibstoffquelle der Zukunft zunehmend an Bedeutung. Noch lässt sich das Potenzial der grünen Zellen nicht im großen Maßstab optimal ausnutzen. Die Bio-Verfahrenstechnikerin Dr. Rosa Rosello und ihre Mitarbeiter vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) untersuchen die Bedingungen, unter denen verschiedene Arten von Mikroalgen in sogenannten Photobioreaktoren optimal ertragreich wachsen. Es geht dabei um Licht – aber auch um Schatten.

Millionen von einzelnen Zellen bilden grüne Teppiche in Gewässern. Mehr als ein paar mineralische Salze, Kohlenstoffdioxid aus der Luft und Sonnenlicht braucht es nicht, damit es wächst und gedeiht. Man könnte diese Teppiche aus Mikroalgen abschöpfen und mehrfach ungesättigte Fettsäuren oder Vitamine für Nahrungsergänzungspräparate extrahieren. Man könnte auch Pigmente gewinnen und daraus Farbstoffe für Lebensmittel herstellen. Oder Verdickungsmittel für die Kosmetikbranche. Und natürlich die Energieträger für die Brennstoffzellen der Zukunft: Wasserstoffgas, Biodiesel oder Bioethanol. Aber ganz so einfach ist das nicht. Die Industrie kann nicht warten, bis natürliche Teiche und Seen aufblühen. Seit vielen Jahren schon kultivieren Firmen Mikroalgen stattdessen in sogenannten Photobioreaktoren. In diesen für Sonnenlicht durchlässigen Tanks schwimmen die Organismen in einer für sie optimalen Nährlösung, betreiben Photosynthese und vermehren sich. Sie können so bis zu fünfmal mehr Biomasse pro Fläche produzieren als herkömmliche Energiepflanzen wie Raps oder Mais.

Zu sehen sind vier lichtmikroskopische Aufnahmen: Oben links rote Zellen, oben rechts und unten grüne Zellen.
Porphyridium purpureum (oben links), Chlamydomonas reinhardtii (oben rechts), Nannochloropsis salina (unten links) und Phaeodactylum tricornutum (unten rechts). © Dr. Rosa Rossello

Variierbare Hell- und Dunkelphasen

„Allerdings sind die Photobioreaktoren von heute noch lange nicht ertragreich genug“, sagt Dr. Rosa Rosello, Verfahrenstechnikerin vom Institut für Bio- und Lebensmitteltechnik am Karlsruhe Institute of Technology (KIT). „Das Problem besteht vor allem darin, dass nicht alle Algenzellen in einem Tank gleich viel Licht bekommen.“ Das kommt daher, weil das Licht durch das Glas des Tanks und durch die Schichten aus Algenzellen bis zur Mitte des Tanks gelangen muss. Auf seinem Weg wird es mehrfach gestreut und absorbiert. Eine große Zahl der Zellen lebt daher im Schatten und baut Energie ab, statt sie durch Photosynthese zu gewinnen. Wie also kann man die Lichtverfügbarkeit optimieren?

Der 2L-Modell-Photobioreaktor KLF 2000 der Firma Bioengineering AG mit einer Beleuchtungseinrichtung auf LED-Basis, die durch das BLT Institut (Bereich Bioverfahrenstechnik am KIT) entwickelt wurde. © Dr. Rosa Rossello

Eine Möglichkeit ist es, den Inhalt der Tanks ständig zu durchmischen. Dafür muss man jedoch wissen, wie schnell diese Durchmischung sein darf, ohne dass die Zellen durch die Kräfte der Umwälzung beschädigt werden. Die Frage kann man auch umkehren: Wie lange kann eine Schattenphase höchstens sein, damit eine Algenzelle gerade noch nicht von Photosynthese auf Energieabbau umschaltet?

Um solche Fragen zu beantworten, haben Rosello und ihre Mitarbeiter einen Bioreaktor entwickelt, in dem sie die Lichtbedingungen ganz unabhängig von allen anderen Faktoren wie etwa Zusammensetzung des Mediums oder Begasung mit Kohlenstoffdioxid untersuchen können. Es handelt sich dabei um einen Glaskessel von zehn Zentimetern Durchmesser. Dieser Glaskessel stellt ein Volumenelement eines Produktionsreaktors nach, der ideal beleuchtet und begast ist. Darin schwimmt eine Lösung aus essenziellen Mineralien, wie Stickstoff, Phosphat und Sulfat, sowie Spurenelementen wie Kobalt, Eisen oder Mangan. Von außen kann Kohlenstoffdioxid eingeleitet werden. Mit einer Lampe, die mit Hilfe von Leuchtdioden die Intensität des natürlichen Sonnenlichts erzeugt, können die Forscher Licht mit variierbaren Hell- und Dunkelphasen einstrahlen. „Mit dieser Vorrichtung ist es uns möglich zu testen, welche zeitlichen Wechsel der Einstrahlung die optimale Wachstumsrate der Mikroalgen im Tank begünstigt“, sagt Rosello. Dieser Versuchsanordnung setzen die Karlsruhe Bioingenieure verschiedene Arten von Mikroalgen aus. Sie messen das Wachstum und die Bildung von verschiedenen Stoffwechselprodukten, wie etwa Wasserstoff, Lipiden oder Kohlenhydraten.

Maximal mögliche Wachstumsgeschwindigkeit

In ihrer Doktorarbeit untersuchte Rosello zum Beispiel das Wachstum der Alge Phorphyridium cruentum. Eines der interessanten Produkte, die sich aus diesem Organismus gewinnen lassen, sind Polysaccharide mit sogenannten Sulfatester-Gruppen. Diese Stoffe gibt die Alge ins Medium ab. Sie dienen der Kosmetikbranche oder der Lebensmittelindustrie als Verdickungsmittel. Sie haben aber auch antivirale und antikarzinogene Eigenschaften und sind daher auch für die pharmazeutische Industrie interessant. Rosello testete, wie lang die Schattenphasen (also die Zeiten, in denen kein Licht eingestrahlt wird) höchstens sein dürfen, damit die Alge noch optimal wächst. Ein Richtwert hierbei ist die sogenannte maximale Wachstumsrate. Algen wachsen normalerweise schneller, wenn die Intensität des Sonnenlichts zunimmt. Ab einem bestimmten Wert der Intensität sind sie jedoch mit Licht gesättigt, die Enzyme, die aus der Energie Kohlenstoffverbindungen aufbauen, sind an ihrem Limit. Diese maximal mögliche Wachstumsgeschwindigkeit möchte man in Photobioreaktoren erreichen.

In ihren Untersuchungen entdeckte die Verfahrenstechnikerin, dass es Hell-Dunkel-Frequenzen gibt, bei denen die maximale Wachstumsrate bis um die Hälfte sinken kann. Das wäre der Fall bei Wechseln im Bereich von Sekunden, wie sie etwa während der Durchmischung des Mediums in sogenannten offenen Photobioreaktoren erreicht werden. Die maximale Wachstumsrate wird hingegen erreicht bei einem Wechsel im Millisekunden-Takt, beispielsweise zwanzig Millisekunden Licht und zwanzig Millisekunden Schatten. Bei Verkürzung der Phasen auf jeweils drei Millisekunden kann sie sich sogar noch erhöhen. Das hat direkte Konsequenzen für die Durchmischungsgeschwindigkeit, die in einem Photobioreaktor im Industriemaßstab eingestellt werden sollte. „Ob diese hohen Frequenzen überhaupt realistisch umgesetzt werden können, ist jedoch eine offene Frage“, sagt Rosello. „Es könnte sein, dass die Zellen dabei geschädigt würden, das müsste man also eingehender untersuchen.“ Durch solche Untersuchungen gewinnen die Forscher vom KIT also wichtige Informationen über das „Wohl- und Unwohlbefinden“ der Mikroalgen unter den verschiedenen Lichtmusterbedingungen in Außenanlagen. Diese Erkenntnisse sind die Grundlage, um Photobioreaktoren in ihrem Design zu optimieren, damit eine maximale Lichtnutzung und somit hohe Erträge erreicht werden.

Investitionskosten versus Ausbeute

In verschiedenen Projekten loten Rosello und ihre Mitarbeiter von KIT zurzeit das Potenzial von Mikroalgen aus. Im Rahmen eines internationalen Konsortiums (Solar Biofuels), bei dem Biologen und Ingenieure aus Deutschland, Australien und England kollaborieren, stellen sie die Frage, unter welchen Lichtbedingungen verschiedene genetisch veränderte Stämme von Chlamydomonas reinhardii die größte Menge von Wasserstoff produzieren können. Die optimalen Bedingungen für die Produktion verschiedener Lipide für die Biodieselherstellung testen die Forscher an den zwei Arten Nannochloropsis salina und Phaeodactylum tricornutum. Welche Art von Ölen stellen die Algen her? Welche Lichtparameter sind hierfür sinnvoll? Und wie lässt sich das Ganze im großindustriellen Maßstab umsetzen (also zum Beispiel in einem 250-Liter-Tank)? „Das Hauptproblem für die Industrie ist es heute, dass die Photobioreaktoren noch immer nicht besonders lukrativ sind“, sagt Rosello. „Die Herausforderung ist es, die Investitions- oder Energiekosten für die Durchmischung der Medien anfallen, zu minimieren und die Ausbeute an interessanten biologischen Produkten zu maximieren“, sagt Rosello. Eines der Ziele der Arbeitsgruppe ist es, einen bis zum Produktionsmaßstab skalierbaren Photobioreaktor zur wirtschaftlichen Produktion von Mikroalgen zu entwickeln. Deshalb arbeiten die Forscher an der Optimierung des Lichteintrags und des Energiebedarfs für den Gastransport und die Durchmischung. Mehr als 25.000 Arten von Mikroalgen kennen Wissenschaftler heute. Um die Vielfalt an interessanten Stoffwechselprodukten industriell auszuschöpfen, braucht es intelligente Ansätze - aber auch technisch optimierte Verfahren.

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