Auch Ökologen bringen Biogasforschung voran
Der Ulmer Biologe Prof. Dr. Marian Kazda forscht seit Jahren über Biogas. Allerdings kommt er aus einer Nische, wie er selbst sagt, denn er sieht sein Thema durch die Brille eines problemorientierten Ökologen. Der 55-jährige Kazda leitet das Institut für Systematische Botanik und Ökologie an der Universität Ulm und untersucht vor allem die Ökologie der Pflanzen. Aus seiner Beschäftigung mit Feuchtgebieten erwuchs das Interesse in die Biogasforschung einzusteigen.
Feuchtgebiete sind auch Biogas-, respektive Methan-Quellen. Dort entsteht unter Sauerstoffabschluss Methan nach verschiedenen Gärungsprozessen. Das geschehe in Permafrostböden genauso wie in Sümpfen der Tropen, erklärt Kazda. Die dort in der Natur ablaufenden Prozesse sind mit denen in technischen Anlagen „im Grundsatz vergleichbar“, nur in Dynamik, Größe, Intensität und Anzahl der Mikroorganismen gebe es Unterschiede.
Im Fokus: biogene Reststoffe
Prof. Dr. Marian Kazda
© Pytlik
„Die Idee war, die ökologischen Rahmenbedingungen aus der Natur auf die Biogastechnologie zu übertragen", beschreibt Kazda seinen Bionik-Ansatz. Biologen wie er sehen anders als Ingenieure „eher die Prozesse, die in der Natur ablaufen, was die Techniker im Detail nicht verstehen können". An vier Fermentern, die im Keller der Universität stehen, erforschen Kazda und sein Team, wie sich aus biogenen Reststoffen, genauer aus Speiseresten, möglichst effizient Biogas herstellen lässt.
Trotz einiger Vorzüge hat der Nahrungsbrei bei der anaeroben Vergärung seine Tücken, denn mit einem pH-Wert von 3,5 bis 3,8 ist dieses Substrat sehr sauer. Der Biogasprozess hingegen läuft erst richtig bei einem pH-Wert von etwa 7. Führt man dem Fermenter von diesen Speiseresten zu viel zu, kann dies den Prozess sehr schnell belasten. Denn auch Bakterien verdauen diese Reste sehr schnell, so schnell und so viel, dass die Säurebildung alle anderen Prozesse unterdrückt und die Methanproduktion zum Stillstand bringt. Mit zusätzlichen Biofilmen lässt sich dieser Prozess stabilisieren. „In einem gewissen Rahmen funktioniert das", aber ein Wundermittel sei das nicht, schränkt Kazda ein.
Strukturen, Oberflächen für Biofilme
Biofilmbildung an Pflanzenoberflächen: Dort, zwischen den Fäden, entstehen Ansammlungen von Mikroben, die in einer Art Exopolysaccharid-Matrix sitzen und dafür sorgen, dass die Ab- und Umbauprozesse schnell und effizient ablaufen, was bei Speiseresten nicht ohne Weiteres vonstatten geht.
© Kazda/Universität Ulm
Anders als beim meist für die Biogasproduktion eingesetzten nachwachsenden Rohstoff Mais hat der Nahrungsbrei nur wenige Oberflächen, auf denen Mikroorganismen wachsen können. Angeregt von Untersuchungen in Feuchtgebieten kamen Kazda und Co. auf die Idee, der Biomasse im Fermenter gehäckselte Rohrkolbenblätter oder Weizenstroh beizumengen. Damit erhielten die Mikroben zusätzliche Oberflächen für Biofilme, was den Gärprozess stabilisierte. In der mittelgroßen (350 kW) Biogasanlage eines Aulendorfer Landwirts haben die Ulmer ihre Erkenntnisse bereits erfolgreich umgesetzt und die Gasproduktion merklich gesteigert.
Diese pflanzlichen Beigaben haben Kazda zufolge mehrere Vorteile: Das organische Material ist nicht nur billig, es ist leicht dosier- und integrierbar, und es sind eher kleinere Mengen nötig. Die optimale Mischung müsste im Einzelfall getestet werden, sagt Kazda, um zu verhindern, dass das Substrat zu dickflüssig wird und zu Schwimmschichten führt. Überdies lassen sich Pflanzenoberflächen genauso auf dem Acker ausbringen wie andere Gärreste.
Das von der Baden-Württemberg Stiftung unterstützte Projekt „Nutzung von beimpften Pflanzenoberflächen zur Effizienzsteigerung der Biogasproduktion", das Kazda mit Ulmer Kollegen der Mikrobiologie durchführte, ist inzwischen abgeschlossen. Weitere sind schon in der Planung und Umsetzung.
Mehr Biogas aus Reststoffen der Lebensmittelindustrie
Hygienisierter Speisebrei: eine noch wenig genutzte Biogas-Ressource.
© Kazda/Universität Ulm
Schwer vergärbaren Stoffklassen bleibt Biogasforscher Kazda in aktuellen Projekten treu. So untersucht er die optimalen Mischungsverhältnisse von Flotatfetten für die Biogasproduktion. Diese Fette fallen bei der Fleischproduktion an. Mit diesen Reststoffen aus der Fleischindustrie beschäftigt sich auch ein Austauschprojekt mit Australien.
Schon in der konkreten Planung befindet sich ein größeres Verbundvorhaben mit Partnern aus der Lebensmittelindustrie. Denn dort, in der Milch- oder beispielsweise der Fleischindustrie, fallen große Mengen organischer Stoffe an; ein Großteil davon wird entsorgt, manche werden noch als Rohstoff weiterverwertet. Deren Verwertung unterliegt einem komplexen Regelwerk. "Allerdings wird nur ein Teil davon wirklich vernünftig energetisch genutzt", sagt Kazda. Viele dieser organischen Reststoffe haben einen hohen Wassergehalt, deren Deponierung zu Recht untersagt ist. Naheliegend aber wäre die energetische Nutzung dieser Stoffe in Biogasprozessen, wo die Methanbildung gewünscht ist und genutzt wird.
Es gibt keine Biomasse-Reserven
Im Grunde läuft Kazdas Grundmotivation für seine Biogasforschung auf ein ökologisches Paradigma hinaus: die Stoffkreisläufe der Natur möglichst geschlossen halten und dem Abbau der biogenen Ressourcen entgegentreten. Denn diese hält er für verschwindend gering. Kazda ist zu folgendem Ergebnis gekommen: Es gibt keine Biomasse-Reserven, woraus sich Energie gewinnen ließe.
Rund 7.100 Biogasanlagen gibt es mittlerweile in Deutschland. Nur in jeder neunten, schätzt Kazda, werden Speisereste vergoren. Diese biogenen Reststoffe, deren Menge sich auf mehrere Millionen Jahrestonnen belaufen, bilden zusammen mit dem nicht genau bezifferbaren Potenzial der Küchenabfälle in Biotonnen ein noch nicht ausreichend genutztes energetisches Potenzial.
Das hängt auch damit zusammen, dass nachwachsende Rohstoffe höher als Reststoffe gefördert werden, und auch daran, so Kazdas Einschätzung, dass die Biogastechnologie relativ neu ist und Reststoffe in Deutschland erst zehn Jahre gezielt genutzt werden. Da wundert es Kazda nicht, dass die landwirtschaftlichen Substrate (nachwachsende Rohstoffe) viel mehr beforscht werden als Reststoffe. So wie in neun von zehn Biogas-Anlagen nachwachsende Rohstoffe verwertet werden und in nur einer Reststoffe, so verteile sich auch das Forschungsinteresse bei den Biogas-Substraten.
Reststoffverwertung gehört die Zukunft
Vier kleine Forschungsfermenter hat Biogasforscher Kazda im Uni-Keller zur Verfügung.
© Kazda/Universität Ulm
Aber die Reststoffverwertung ist im Kommen, ist Kazda überzeugt, denn ihre Mengen sind viel größer als die durch den Anbau von nachwachsenden Rohstoffen anfallenden, deren Potenzial begrenzt ist. Nicht nur politische Rahmenbedingungen kanalisieren das Forschungsinteresse. Der Ulmer Ökologe, der sechs Jahre den Ulmer Initiativkreis nachhaltige Wirtschaftsentwicklung bis 2011 geleitet hatte, glaubt auch, dass Erzeuger dieser biogenen Reststoffe noch zu wenig Leidensdruck haben, weil die Entsorgungskosten im Produkt eingepreist seien.
Erzeuger aus der Lebensmittelindustrie müssten nach Kazdas Vorstellung dazu gebracht werden, ihren teilweise sehr hohen Energiebedarf (wie bei Käsereien oder Schlachthöfen) mit Biogas zu decken, indem sie beim Herstellungsprozess anfallende Reststoffe zu Energie machen. Damit würde der Grad der Selbstversorgung erhöht und gleichzeitig die Abhängigkeit von Energieerzeugern vermindert. Noch aber sei dieser Industriezweig nicht so weit, weil es sich um eine andere, eine fremde Technologie handele. „Man muss diesen Weg erst aufzeigen."
Nicht nur die schwer vergärbaren Gräser mit hohem Cellulose-Gehalt, wie Straßenbegleitgrün, sondern auch die zu schnell vergärenden Stoffe stehen im Fokus des Biogasforschers Kazda. Der Weg zu den optimalen Mischungsverhältnissen von Substraten „ist noch sehr lang", die Erforschung biogener Reststoffverwertung aber hat Zukunft.
Ökologie rechnet sich auch
Dass sein ökologischer Ansatz keineswegs ein exotischer ist, verdeutlicht der Ulmer, wenn er zu seinem Ausgangspunkt, den Nährstoffkreisläufen, zurückkehrt: Biogene Reststoffe aus der Lebensmittelproduktion sind reich an Stickstoff und Phosphor. Diese Nährstoffe gehen verloren, wenn man sie deponiert oder verbrennt.
Zusammen mit Planern, Anlagenbauern und einem Unternehmen der Lebensmittelindustrie will Kazda in einem Pilotprojekt nicht nur aus diesen Reststoffen Biogas erzeugen, sondern auch die ebenso wichtigen wie begrenzten Ressourcen Stickstoff und Phosphor über Fällung rückgewinnen. Nach fünf Jahren könne man mit diesem Verfahren bereits rentabel wirtschaften. „Ökologie ist eine monetär durchaus fassbare Wissenschaft“, folgert der Ulmer Forscher nicht ohne Genugtuung.