Bakterielles MccA reduziert Sulfite effizienter als andere Enzyme
Im natürlichen Kreislauf spielen Bakterien mit ihren besonderen Fähigkeiten eine große Rolle für ökologische Gleichgewichte und unser Klima. Dr. Bianca Hermann ist auf Multihäm-Enzyme spezialisiert und untersucht deren Aufbau und Reaktionsmechanismus an der Universität Freiburg. Die Forscherin fand anhand der Kristallstruktur heraus, warum ein bestimmter bakterieller Enzymkomplex schwefelhaltige Substanzen wie Sulfite bis zu hundertmal schneller reduzieren kann als andere. Industrielle Entschwefelungsprozesse könnten so eventuell mithilfe der Mikroorganismen vereinfacht oder beschleunigt werden.
Multihäm-Proteine sind ihr Spezialgebiet: Chemikerin Dr. Bianca Hermann.
© Dr. Bianca Hermann, Universität Freiburg
Für manche Bakterien, Hefen und Pilze sind schon kleine Mengen schwefelhaltiger Substanzen giftig, andere können sie wunderbar verstoffwechseln. Sulfite sind Salze und Ester der schwefeligen Säure und enthalten ein negativ geladenes SO32-. Sie besitzen durch ihre hohe Reaktivität gegenüber Proteinen, Nukleinsäuren und Lipiden eine wachstumshemmende Wirkung auf Pilze, Hefen und Bakterien. Auch „verzehren" Sulfite den vorhandenen Luftsauerstoff, indem sie ihn unter Sulfatbildung binden. So verlangsamen sie unerwünschte Oxidationsprozesse in Lebensmitteln, denen sonst Geschmack, Farbe und Vitamingehalt zum Opfer fallen und werden deshalb schon seit dem 18. Jahrhundert als Konservierungsstoffe in Industrielebensmitteln eingesetzt. Auch in Wein wird Sulfit zur Haltbarmachung zugesetzt, obwohl dieser oft schon einen natürlichen Eigenanteil an Schwefel mitbringt.
Andererseits ist es wichtig, dass Schwefeldioxid durch Verbrennung von schwefelhaltigen Brennstoffen nicht in die Luft gelangt. Es sind daher seit 1974 in Deutschland Verfahren zur Entschwefelung der Rauchgase aus Stein- und Braunkohlekraftwerken vorgeschrieben. Von ihnen gibt es etwa Hundert unterschiedliche Verfahren, bei denen über 90 Prozent des Schwefels entfernt werden kann. Am meisten durchgesetzt hat sich die sogenannte Kalkwäsche, bei der Schwefeldioxid durch Zugabe von Sauerstoff zu Gips umgesetzt wird.
Schwefelatmung bei Wolinella
Kann mit hoher Geschwindigkeit Sulfit reduzieren: Das Homotrimer MccA als Oberflächenmodell.
© Dr. Bianca Hermann, Universität Freiburg
Was wir nicht können, ist für Wolinella succinogenes einfach. Das Bakterium ist ein typischer Nitrat- und Sulfitatmer. Es dient Dr. Bianca Hermann als Modellbakterium. Hermann untersucht am Institut für Biochemie der Universität Freiburg bei Prof. Dr. Oliver Einsle in Kooperation mit dem Mikrobiologen Prof. Dr. Jörg Simon der TU Darmstadt die Funktion von Multihäm-Enzymen und -Komplexen (Metalloenzymen mit mehreren Hämgruppen). Wolinella gehört zu den Proteobakterien. Es lebt anaerob im Kuhmagen und hat daher für die Energiegewinnung keinen Zugang zu Sauerstoff. „Normalerweise nimmt Wolinella Nitrat oder Nitrit zur Atmung, aber wenn es beides nicht bekommt, kann es auf Sulfit umsteigen", sagt Hermann, „eine Möglichkeit, die sich im Organismus evolutiv gehalten hat, um das Überleben zu sichern." Dabei setzt das verantwortliche Enzym, die Sulfitreduktase, keinen Zucker um, sondern synthetisiert ATP durch anaerobe Atmung mit Sulfit als terminalem Elektronenakzeptor und bildet Sulfid (S2-).
Das Wissenschaftlerteam aus Freiburg und Darmstadt wollte herausfinden, warum das Wolinella-Enzym viel schneller arbeitet als andere bekannte Sulfitreduktasen. Hermann analysierte das sulfitreduzierende Protein in Wolinella und klärte die dreidimensionale Kristallstruktur auf. Es wurde klar, dass es sich dabei um ein neuartiges Reduktionssystem bezüglich der Hämgruppen-Anordnung im Enzym als auch des Zentralatoms in der Bindedomäne handelt. Das Metalloprotein Multihäm Cytochrom C (MccA) befindet sich im Bakterium zwischen Zytoplasmamembran und äußerer Membran und bildet dort homotrimere Komplexe. Jedes der drei Monomere besteht aus acht fest gebundenen Hämgruppen mit Eisenionen, die in charakteristischer Weise angeordnet sind und von denen eine in jedem Monomer die aktive Bindestelle darstellt.
Reinigungsmethode bringt molekulare Details ans Licht
Eines von drei Monomeren im Enzymkomplex MccA mit den darin enthaltenen acht Hämgruppen.
© Dr. Bianca Hermann, Universität Freiburg
Die genaue Struktur des aktiven Reaktionszentrums war bisher unbekannt, auch wenn bereits kristallografische Analysen der an Luft gereinigten Enzyme existierten. Hermann schaute sich die Anordnung der Atome sowie die Elektronendichte an und fand diese merkwürdig. Sie begann, die Reinigung der Enzyme unter Sauerstoffausschluss durchzuführen, was ihr bei einem anaerob arbeitenden Enzym sinnvoll schien, und erhielt eine zweite MccA-Version. Dort entdeckte sie ein zusätzliches Metallion im aktiven Zentrum. Die anoxische Reinigung zeigte die Präsenz eines Kupfer-Ions pro Monomer, das von je zwei Cysteinresten nah einer der Hämgruppen gebunden war. Das Kupfer löste sich bei der oxischen Reinigung regelmäßig ab, da es an Luft leicht oxidiert wird und so seine Bindungspartner verliert. „Das Kupfer sitzt immer fest über der Bindestelle", erläutert Hermann, „deshalb fungiert es als Barriere für Sulfitionen im aktiven Zentrum, was die Reaktion schneller ablaufen lässt."
Die Aufklärung des scheinbaren Widerspruchs: Fehlt das Kupfer, haben die relativ größeren Sulfitionen genug Platz, an der Bindestelle anzudocken und werden vom MccA langsamer umgesetzt. Ist Kupfer jedoch an seinem Platz, wie im Rinderpansen auch, kann das SO32- aus sterischen Gründen nicht mehr binden. An seine Stelle tritt das stets im Gleichgewicht mit Sulfit vorhandene Schwefeldioxid (SO2), das in die Bindungstasche passt, weil es kleiner ist. „Das Kupfer wirkt wie eine Barriere und das chemische Gleichgewicht wird quasi direkt zum SO2 verschoben", zeigt Hermann. Dadurch laufen auch die Folgereaktionen in der gesamten Reduktion zum Sulfid S2- schneller ab, da ein energieaufwendiger Schritt der Wasserabspaltung bereits übersprungen ist, bei dem normalerweise Elektronen fließen müssen. „Wir haben gezeigt, dass anoxisch gereinigtes MccA eine höhere Sulfitreduktase-Aktivität hat als oxisch gereinigte Enzyme", sagt die Chemikerin.
Neuer Typ heterometallischer Oxidoreduktasen
Reaktionsort der Sulfitreduktion: Das aktive Zentrum von MccA mit dem Kupfer-Ion (braun, oben) oberhalb der Hämebene. SO2 (gelb und rot) bindet hier und wird von Wasserstoffbrücken fixiert (blau). Eisen ist Teil der Hämgruppe (braun, unten).
© Dr. Bianca Hermann, Universität Freiburg
Die Kombination von Hämgruppe und Kupfer ist zum ersten Mal in einer Sulfitreduktase gesehen worden. Über Massenspektrometrie hat das Team ein ungewöhnliches Bindemotiv entdeckt. Dabei handelt es sich um eine verlängerte Region in der achten Hämgruppe des aktiven Zentrums. Die Forscher vermuten, dass diese Schlaufe durch eine veränderte Position der Hämgruppe die Interaktion mit dem Elektronen-Donor vereinfacht, der dort bindet und die Elektronen hier hineinfließen lässt. „Es ist spannend, wie die Natur das hinbekommt, dass die Elektronen zur einen Seite reingehen und wirklich dahin fließen, wo sie gebraucht werden", meint Hermann, „wie in einem kleinen Stromkreis."
Interessant könnte diese Erkenntnis für die Entschwefelung von Rauchgasen sein, die in die Luft geraten. Denn der anschließend entstehende saure Regen schädigt Umwelt und Natur. Die existierenden Verfahren sind zwar ausgefeilt, aber es entstehen auf die Art Mengen an Gips, die weit über der Nachfrage liegen. Jährlich fallen sieben Millionen Tonnen REA-Gips (Gips aus Rauchgasentschwefelungsanlagen) an, von denen nur etwa drei Millionen der Bauindustrie als Baustoff zugeführt werden können. Der Rest muss auf Deponien als Abfall gelagert werden. MccA könnte theoretisch auch als clevere alternative Messmethode (Sensor für Sulfit) bei der Weinherstellung nutzbar gemacht werden. Es ließen sich eventuell Elektroden damit beschichten, die im Wein die Schwefelkonzentration bestimmen könnten, damit diese nicht zu hoch würde. In einem ähnlichen Ansatz mit einem verwandten Multihämenzym (der Nitritreduktase) entwarfen Forscher einen Sensor für Nitrit in Gewässern.
Je mehr wir über diese sauerstoffempfindliche Enzymgruppe und ihre Rolle in unserer Umwelt verstehen, desto einfacher lassen sich vielleicht manche Umweltschäden wie der saure Regen vermeiden.