Batterien, die von Abfall leben
Wohin mit dem Haushaltsmüll? Am besten in den kühlschrankgroßen Tank im Keller, denn der macht Müll zu Strom. Diese Vision haben Dr. Sven Kerzenmacher und Dr. Johannes Gescher von der Universität Freiburg, und helfen sollen ihnen dabei Bakterien. Die zwei Forscher, die jüngst eine Förderung von 1,3 Millionen Euro des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gewonnen haben, beschäftigen sich mit sogenannten exoelektrogenen Mikroorganismen, die sie in Batterien sperren. Auch Abwasser könnte damit in Zukunft zu einer nachhaltigen Energiequelle werden. Wie weit ist die bakterielle Brennstoffzelle? Was muss noch optimiert werden? Und wie funktioniert das alles überhaupt?
Sven Kerzenmacher vom IMTEK der Universität Freiburg
© IMTEK
Um 1912 wurde sie zum ersten Mal beschrieben, die bakterielle Brennstoffzelle. Schon damals kannte man Mikroben, die aus einer Kohlenstoffquelle wie Zucker elektrischen Strom produzieren. Im Rahmen des Weltraumprogramms wurde die Idee in den 60ern und 70ern kurz wieder aufgegriffen, denn exoelektrogene Bakterien können alle möglichen organischen Abfälle in Strom verwandeln und damit als Batterie an Bord einer Weltraumstation dienen. Richtig in den Fokus der Forschung gelang das Konzept jedoch erst in den letzten Jahren, als die Politik das Potenzial der kleinen Organismen für das Weltenergieproblem entdeckte. „Heute wird zunehmend versucht, Abschied zu nehmen von den fossilen Energieträgern“, sagt Dr. Sven Kerzenmacher vom Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) der Universität Freiburg. „Um dieses Szenario zu verwirklichen, müssen wir auf einen Mix aus erneuerbaren Energiequellen wie Wind, Sonne, Biomasse oder eben stromproduzierenden Bakterien setzen.“
Zwei Graphitstäbe ins Abwasser
Der schematische Aufbau einer bakteriellen Brennstoffzelle
© IMTEK
Kerzenmacher hat 2008 zusammen mit seinem Kollegen Dr. Johannes Gescher vom Institut für Biologie der Universität Freiburg Experimente durchgeführt, in denen sie die elektrifizierende Performance der Bakterienart Shewanella untersuchten. Strom liefert die Mikrobe, weil sie ähnlich wie wir Menschen im zellulären Energiegewinnungsprozess der sogenannten Atmungskette Kohlenstoffverbindungen oxidiert. Dabei entstehen Elektronen, die bei uns Menschen normalerweise vom Sauerstoff aufgenommen werden. Bei den Bakterien hingegen wird ein Teil der Elektronen über komplizierte Proteinmaschinen in ihrer Hülle nach außen transportiert. Diesen Fluss kann man anzapfen, nötig sind dazu zwei Elektroden, ein Draht, über den Elektronen vom Minuspol zum Pluspol abfließen können, und eine Lösung, durch die positive Ladungen zurückströmen, um den Ausgleich zu besorgen. Exoelektrogene Bakterien wie zum Beispiel Shewanella kommen an vielen Orten in der freien Natur vor. „Im Prinzip reicht es, ins Abwasser einer Kläranlage zwei Graphitstäbe hineinzutauchen“, sagt Kerzenmacher. „Nach einer Weile siedeln sich verschiedene Bakterienarten an, und schon kann man aus den organischen Rückständen in der Brühe Strom machen.“
Vom ersten Prototyp zur industriellen Großanlage
Dr. Johannes Gescher vom Biologischen Institut der Universität Freiburg.
© privat
2009 nahmen Kerzenmacher und Gescher am "Ideenwettbewerb Bioenergie - Neue Wege beschreiten" im Rahmen der Förderinitiative BioEnergie 2021 des BMBF mit dem Projekt „EmBBark - Hocheffiziente mikrobielle Brennstoffzellen auf Basis regenerativer Kohlenstoffquellen“ teil. Sie gewannen eine fünfjährige Förderung von insgesamt 1,3 Millionen Euro. Der Biologe Gescher untersucht unter anderem die molekularen Prozesse beim Elektronentransport in der Bakterienzelle. Welche Proteine sind dabei beteiligt? Wie kann man den Stromfluss maximieren?
Kerzenmacher geht die Sache eher von der technischen Seite an. Aus welchem Material müssen die zwei Elektroden in einer bakteriellen Brennstoffzelle sein, damit sich die Bakterien optimal ansiedeln können? Welche Alternativen sind denkbar für das teure Platin oder ähnliche Edelmetalle, die in anderen Brennstoffzelltypen als Katalysatoren fungieren? Welche Entfernung zwischen den beiden Elektroden ist optimal, damit keine zu großen Spannungsverluste auftreten? Besonders wichtig ist den beiden Forschern die interdisziplinäre Zusammenarbeit. „Man braucht Verständnis auf beiden Seiten, um das System so effizient und kostengünstig wie möglich zu machen“, sagt Kerzenmacher.
Eine bakterielle Brennstoffzelle
© IMTEK
Ein bis zwei Watt pro Quadratmeter produzieren die Brennstoffzellen in der interdisziplinären AG von Kerzenmacher und Gescher bisher. Irgendwann könnten es fünf bis zehn sein, was dem Verbrauch eines Haushalts sehr nahe kommt. Damit könnte die Vision einer kühlschrankgroßen Batterie im Keller eines Wohnhauses möglich werden, die zum Beispiel aus Biomüll Strom gewinnen kann. Auch eine industrielle Großanlage sei im Prinzip denkbar. „Allerdings hat bisher keiner gezeigt, ob das funktioniert“, sagt Kerzenmacher. Welche Probleme beim Up-Scaling auftreten würden, lässt sich heute nur ahnen: Zum Beispiel würden sich die organischen Verbindungen in großen Tanks nicht durch reine Diffusion vermischen können und die Energie für eine Pumpe würde die Kosten-Nutzen-Rechnung verändern. In fünf Jahren wollen Kerzenmacher und Gescher jedenfalls einen sogenannten Demonstrator vorweisen, eine erste Batterie also, bei der die Vorgänge verstanden und optimiert sind. „Ausgehend von diesem Prototyp können wir dann sehen, welche Leistung wir erreichen können, welche Lebensdauer realistisch ist und wo noch Forschungsbedarf besteht“, sagt Kerzenmacher.
Damit der Demonstrator fertig wird, laufen im Kerzenmacher-Labor zig Versuche gleichzeitig. Die Wissenschaftler haben eigene Programme geschrieben und Apparaturen gebaut, um die Tests mit verschiedenen Elektrodentypen zu automatisieren. Aber die Bakterien-Batterie ist nicht der einzige Fokus. In einem Projekt der Landesstiftung Baden-Württemberg untersuchen Gescher, Kerzenmacher und ihre fünf Mitarbeiter das Potenzial der bakteriellen Energiegewinnung aus kommunalem Abwasser. In Kooperation mit einer kleinen Kläranlage aus der Region Freiburg testen sie zum Beispiel verschiedene kostengünstige Materialien für Elektroden. Wie muss die Oberfläche aussehen, damit sich die optimale Mikrofauna ansiedelt? Welche Bakterienarten übernehmen die Aufgabe, organische Abfälle zu zerkleinern, welche machen dann aus kleineren Molekülen Strom? In welchen Schritten bildet sich der richtige Biofilm? Wie kann man das noch optimieren? Viele offene Fragen bleiben. Aber eines ist klar: Die bakterielle Brennstoffzelle funktioniert. Es ist eine Frage der Zeit, bis sie zu einem der Elemente im Mix aus regenerativen Energiequellen der Zukunft wird.