Angewandte Forschung in der Bioökonomie
Biobasierte Elektrodenmaterialien für zukunftsfähige Energiespeichersysteme
Für die Etablierung einer biobasierten Rohstoffplattform im Rahmen der Bioökonomie müssen neuartige Materialien aus Biomasse für verschiedene Anwendungen entwickelt werden. Diese müssen nicht nur aus technologischer, sondern auch aus ökonomischer Sicht konkurrenzfähig zu den konventionellen Materialien sein. An der Universität Hohenheim wird an der Entwicklung leitfähiger Kohlenstoffmaterialien aus Biomasse geforscht. Damit soll die Substitution fossiler Elektrodenmaterialien in hochkapazitativen Energiespeichern langfristig marktreif gemacht werden.
Großansicht: Superkondensator: Modell der Schichtenfolge an der Kathodenseite
An der Kathodenseite des Superkondensators lagert sich eine Schicht Lösungsmittel-Dipole auf der Elektrodenoberfläche ab. Darauf folgen mehrere Schichten solvatisierter Anionen bzw. Kationen, die mit zunehmendem Abstand zur Kathodenoberfläche lockerer angeordnet sind. Die Schichten werden als starre Helmholtz-Doppelschicht und Stern-Doppelschicht bezeichnet.
© Viola Hoffmann
Die Zukunft gehört der Elektromobilität – das ist nicht nur politisch gewollt, sondern angesichts knapper werdender fossiler Ressourcen und der Klimawandelproblematik auch ökologisch sinnvoll. Bis 2020 sollen laut Bundesregierung eine Million Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen unterwegs sein. Bis 2030 sogar sechsmal so viel.1 Im Statusbericht des VDI "Zukunft des Autos" heißt es dazu: „Der Erfolg des Elektroantriebs steht und fällt mit der Frage der Energiespeicherung“.2 Denn geeignete Energiespeicher müssen nicht nur langlebig und leistungsstark sein, sondern vor allem hohe Kapazitäten besitzen, das heißt möglichst viel Energie speichern können. Aktuell am Markt verfügbaren Sekundärbatterien (wiederaufladbare Batterien, Anm. d. Red.: "Akkus") mangelt es vor allem an den ersten beiden Punkten: Ihre Lebensdauer ist aufgrund chemischer Zersetzungsprozesse während der Lade- und Entladevorgänge auf wenige tausend Zyklen begrenzt und die Aufnahme und Abgabe von Energie erfolgt relativ langsam.12 Superkondensatoren, auch elektrochemische Doppelschicht-Kondensatoren (kurz EDLC, engl.: electric double-layer capacitor) genannt (siehe Infobox), haben diese Probleme nicht und stellen somit eine vielversprechende Ergänzung zu den bisherigen Energiespeichern dar. Die Ausgangsmaterialien für die Produktion der Bauteile stammen jedoch derzeit aus fossilen Quellen.
Gleichzeitig fallen in Baden-Württemberg jährlich ca. 1,5 Mio. Tonnen Biomasse (2015) an.3 Mittels verschiedener Konversionsverfahren lassen sich hochwertige Materialien für die Verwendung in Energiespeichern wie Superkondensatoren herstellen – Materialien fossilen Ursprungs könnten im Sinne der Bioökonomie durch biobasierte Äquivalente aus regionaler Biomasse substituiert werden. Doch um welche Art von Materialien geht es hier überhaupt? Um diese Frage zu beantworten, ist eine detailliertere Betrachtung der Technologie von Superkondensatoren nötig.
Infobox Superkondensator
Aufbau: Superkondensatoren bestehen immer aus positiv beziehungsweise negativ geladenen Elektroden (Kathode bzw. Anode) in einer elektrisch gut leitenden Elektrolytlösung. In der Elektrolytlösung befinden sich dissoziierte Salze in Form von positiven und negativen Ladungsträgern (Kationen bzw. Anionen) und Lösungsmittelmoleküle mit Dipolcharakter, d.h. einem Plus- und einem Minus-Pol. Die Lösungsmittelmoleküle legen sich aufgrund ihrer Polarität wie eine Hülle um die Ladungsträger und bilden so solvatisierte Anionen und Kationen.
Speichermechanismus: Wird der Superkondensator geladen, das heißt eine Spannung an die Elektroden angelegt, lagern sich die Lösungsmittel-Dipole und die solvatisierten Ladungsträger aus dem Elektrolyt in mehreren Schichten an der Elektrodenoberfläche ab. Es kommt zur Ausbildung der nach ihren Entdeckern benannten Helmholtz- und Stern-Doppelschichten, in denen die Energie elektrostatisch, d.h. im elektrischen Feld gespeichert wird (Doppelschicht-Kapazität).
Wie der Name EDLC schon vermuten lässt, spielen jedoch immer auch elektrochemische Speichermechanismen eine Rolle. So kommt es je nach Beschaffenheit der Elektroden mehr oder weniger ausgeprägt zur Desolvatisierung einzelner Ladungsträger. Enthält die Elektrode beispielsweise Metalloxide, streifen einige Ladungsträger ihre Solvathülle aus Lösungsmittelmolekülen aufgrund der starken Anziehungskräfte ab und werden an der Elektrodenoberfläche adsorbiert. Dabei kommt es zum reversiblen Elektronentransfer ohne chemische Bindung, d.h. es finden umkehrbare Redox-Reaktionen statt und Energie wird elektrochemisch gespeichert (Pseudokapazität).11
Der Speichermechanismus in EDLCs hängt nicht von irreversiblen chemischen Reaktionen oder Zersetzungsprozessen ab. Die Auf- und Entladung findet deshalb innerhalb kürzester Zeit statt. Das Elektrodenmaterial wird also chemisch nicht angegriffen – hohe spezifische Leistungsdichten von > 1 kW/kg und Lebensdauern von bis zu 500.000 Zyklen sind die Folge. Diese Eigenschaften machen EDLCs interessant für Anwendungen, in denen Leistungsspitzen abgefangen oder große Energiemengen in (Milli-)Sekundenschnelle abrufbar sein müssen. Beispiele dafür finden sich nicht nur im Bereich der Erneuerbaren Energien (Photovoltaik, Windenergie), sondern auch im Mobilitätssektor. So werden Superkondensatoren in regenerativen Bremssystemen und Hybridfahrzeugen – vor allem auch im öffentlichen Nahverkehr – eingesetzt.7
Die Menge an Energie, die im Superkondensator in Form von Ladung gespeichert werden kann (d.h. die Gesamtkapazität als Summe aus Doppelschicht- und Pseudokapazität), hängt von der Anzahl der an der Elektrode angelagerten Ionen ab. Im Umkehrschluss heißt das: Je größer die Elektrodenoberfläche, umso mehr Ionen können angelagert und umso höhere Kapazitäten können erzielt werden. Hochporöse Kohlenstoffmaterialien (fossile Aktivkohlen) haben sich deshalb und unter anderem aufgrund der vielfältigen Nanostrukturen (z.B. Graphen, Nanoröhren) als geeignete Materialien für die Elektrodenproduktion bewährt.9 Da davon ausgegangen werden kann, dass fossiler Kohlenstoff in Zukunft knapp und teuer wird, ist die Erschließung alternativer Kohlenstoffquellen sinnvoll und die Entwicklung biobasierter Kohlenstoffmaterialien mit hohen Kapazitätswerten unverzichtbar. Vor allem auch deshalb, weil bereits gezeigt werden konnte, dass sich mit biobasierten Elektroden unter bestimmten Bedingungen sogar höhere Kapazitätswerte erzielen lassen als mit konventionellen Materialien.12
Aus alt mach neu: Hydrothermale Karbonisierung verwandelt Abfälle in hochwertige Biomaterialien
An der Universität Hohenheim werden am Fachgebiet Konversionstechnologie und Systembewertung nachwachsender Rohstoffe landwirtschaftliche Abfälle als Ausgangsstoffe für die Herstellung hochporöser Kohlenstoffe verwendet. Das Verfahren, welches hierbei zur Anwendung kommt, heißt Hydrothermale Karbonisierung (kurz HTC, engl.: hydrothermal carbonization) und ist letztlich nichts anderes als die Verkohlung nasser Biomasse unter Druck bei Temperaturen zwischen 180 und 250 Grad Celsius. Dabei werden die Einzelbestandteile der Biomasse (Lignin, Cellulose, Hemicellulose) durch verschiedene chemische Prozesse in Kohlenstoffnanostrukturen umgebaut, deren Eigenschaften denen von Braunkohle ähneln.
Durch einen zusätzlichen Aktivierungsschritt, bei dem durch chemische oder physikalische Verfahren das Porenvolumen innerhalb der Kohlen vergrößert wird, werden schließlich Aktivkohlen mit spezifischen Oberflächen von bis zu 3.000 m2/g hergestellt. Je nach Ausgangsmaterial, Temperatur und Dauer der Karbonisierung sowie gewähltem Aktivierungsverfahren können Aktivkohlen mit unterschiedlichen Porenvolumen, Porengrößenverteilungen oder Oberflächenbeschaffenheiten hergestellt werden. Im letzten Schritt werden die hergestellten Aktivkohlen auf ihre Tauglichkeit als Elektrodenmaterialien hin überprüft. Dazu sind Messungen zur elektrischen Leitfähigkeit, Widerstandsmessungen, aber auch komplexe cyclovoltammetrische Messungen geplant. Letztere beispielsweise geben Auskunft darüber, welchen Anteil Doppelschicht- und Pseudokapazität jeweils an der Gesamtkapazität haben.8-11 Diese Information ist deshalb von so großer Bedeutung, weil die Pseudokapazität sich durch Modifikationen der Kohlenstoffmaterialien relativ schnell erhöhen lässt.
Dies gilt beispielsweise für Kompositmaterialien, die aus Aktivkohle und verschiedenen Metalloxiden oder Heteroatomen wie Stickstoff hergestellt werden. Die anorganischen Komponenten beziehungsweise in die Kohlenstoffstruktur eingebundene Heteroatome weisen gute pseudokapazitative Eigenschaften auf, sodass mehr Redox-Reaktionen stattfinden und die Pseudokapazität stark zunimmt. Unklar ist, welche Kombination von Ausgangsbiomasse, Prozessparametern und Metall- oder Hetereoatomen zu den höchsten Kapazitätswerten führt und somit das vielversprechendste Material zur Ablösung der „State-of-the-art“-Materialien hervorbringt.
Substitutionspotenzial im Rahmen der Bioökonomie
Fachgebietsleiterin Prof. Dr. Andrea Kruse vor dem HTC-Reaktor an der Universität Hohenheim
© Viola Hoffmann
Sollte es den Hohenheimer Forschern gelingen, ein konkurrenzfähiges Material im Labormaßstab zu entwickeln, müsste gezeigt werden, ob dieses auch bis zur Marktreife gebracht werden kann. Dafür sollte es entweder günstiger sein als konventionelle Materialien oder aber bessere Kapazitätswerte aufweisen. Prof. Dr. Andrea Kruse, Fachgebietsleiterin an der Universität Hohenheim, setzt eher auf Letzteres und ist sich sicher, dass biogen hergestellte Materialien auch trotz höherer Produktionskosten den Markt erobern werden: „Das Ziel muss sein, ein besseres Produkt herzustellen. Wenn die Kunden sich dabei – wie beim Fairtrade Kaffee – auch noch besser fühlen, ist das hilfreich.“ Die größte Herausforderung sieht sie in der Finanzierbarkeit von Großversuchen im industriellen Maßstab, denn „die Pilotanlage kostet einige Millionen Euro, je nach Größe. Dafür müssen Investoren gefunden werden, die nicht wissen, wann und wieviel Geld sie mit dem Produkt verdienen können. Das ist das Tal des Todes für ein neues Verfahren und die Herstellung eines innovativen Produktes.“ Spätestens aber, wenn die Preise für fossile Ressourcen ansteigen, da ist sich die Professorin sicher, werden die Unternehmen durch den Markt zur Bioökonomie gezwungen.
Angesichts der günstigen und frei verfügbaren Ausgangsstoffe in Form von Biomasse, dem vergleichsweise energiearmen HTC-Verfahren und den ambitionierten Forschungszielen der Hohenheimer Forscher ist es also nicht unwahrscheinlich, dass biobasierte Elektrodenmaterialien in Zukunft ihre fossilen Vorgänger ablösen.