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Biodiversität im gesellschaftlichen Kontext

Bisher hapert es vielfach noch daran, Biodiversitätsabkommen nachhaltig umzusetzen. Damit die notwendigen Maßnahmen auf breiter Front bereitwillig unterstützt werden, müssen die Argumente dafür so kommuniziert werden, dass möglichst viele Menschen sie nachvollziehen können. Nürtinger Wissenschaftler analysieren die Lage und erarbeiten fundierte Vorschläge für Kommunikationsstrategien.

Dr. Uta Eser und ihre Kollegen haben Kommunikationsempfehlungen zum Thema Naturschutz erarbeitet, die dabei helfen sollen, die biologische Vielfalt besser zu schützen und nachhaltiger zu nutzen. © Ralf Wegerer, KoWU

Die Basis für eine gute Kommunikation über Biodiversität ist die Analyse darüber, welche Argumente es überhaupt für die Erhaltung der biologischen Vielfalt gibt und wie sie ethisch einzuordnen sind. Mit diesen Fragen befasst sich das Team der Koordinationsstelle Wirtschaft und Umwelt an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU).

Dr. Uta Eser ist spezialisiert auf Umwelt- und Wissenschaftsethik und hat bereits an zahlreichen Studien zum Thema Biodiversität mitgewirkt. Unter Ethik versteht sie „eine Reflexion übergeordneter Regeln, mit denen sich Moral fassen lässt“, wie sie sagt. Nach Eser ist es nicht Aufgabe der Umweltethik, Menschen bestimmte Haltungen gegenüber der Natur vorzuschreiben. Vielmehr geht es ihr darum, Menschen darin zu unterstützen, sich ein eigenes ethisches Urteil über Handlungen zu bilden, die sich auf die belebte Umwelt auswirken. „Wir betrachten, welche Wertesysteme und Moralvorstellungen die Menschen haben und ob ihr Handeln dazu passt“, so die Biologin, die an der Universität Tübingen über Werturteile im Naturschutz promoviert hat.

Beim Thema Biodiversität ist es ihr Ziel, Verantwortliche zur Reflexion darüber zu befähigen, was gutes und richtiges Handeln im Sinne der biologischen Vielfalt ist. Dazu kann sie an der HfWU auf zahlreichen Studien aufbauen. Unter anderem ist hier 2011 unter Esers Mitwirkung eine Studie zu den ethischen Argumentationslinien in der Nationalen Biodiversitätsstrategie und im Anschluss eine vergleichende Analyse europäischer nationaler Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne entstanden. Auftraggeber war das Bundesamt für Naturschutz BfN.

„Das BfN hat unsere Ausarbeitung zu den drei Argumentationslinien Klugheit, Gerechtigkeit und Glück so hilfreich gefunden, dass es sie auch in den europäischen Diskurs einspeisen wollte, zumal die europäische Biodiversitätsstrategie gerade im Entstehen war“, sagt Eser. Dabei ergab sich ein höchst unterschiedliches Bild. Manche Länder setzen nur auf das nationale Wohlergehen, was der Klugheitslinie entspricht, andere beziehen einen übergeordneten Vorteilsausgleich in verschiedenen Ausprägungen mit ein, was der Argumentationslinie Gerechtigkeit zuzuordnen ist.

Folgen des Handelns an anderen Orten und zu anderen Zeiten einbeziehen

„Generell überwiegen in den Strategien die Klugheitsargumente, denen zugrunde liegt, dass man nicht an dem Ast sägen soll, auf dem man sitzt. Ökonomische Argumente sind EU-weit sehr verbreitet. So wird zum Beispiel argumentiert, dass es letztlich teurer kommt, eine Kläranlage zu bauen, statt Feuchtgebiete mit hoher biologischer Vielfalt zu erhalten, die einen Großteil der Abwässer biologisch reinigen“, sagt Eser.
In der Argumentationslinie Gerechtigkeit hingegen wird stärker betrachtet, welche Folgen das eigene Handeln für andere hat: Nicht immer ist derjenige, der an einem Ast sägt, auch derjenige, der herunterfällt. Ziemlich einleuchtend ist zum Beispiel, dass Menschen am Oberlauf eines Flusses diesen nicht bedenkenlos verschmutzen dürfen, wenn sie zwar nicht selbst, jedoch der Nachbar flussabwärts darunter leiden würde – das gebietet die Fairness. Wenn man solche Handlungsketten global berücksichtigt, wird die Frage nach dem guten und richtigen Handeln schwierig, nicht zuletzt, weil die Zusammenhänge so komplex sind.

Aufgrund ihrer Untersuchungen kommen Eser und ihr Team jedoch zu dem Schluss, dass Gerechtigkeitsfragen stärker in den Vordergrund gerückt werden sollten, auch wenn dies wegen der unterschiedlichen Vorstellungen von „gerecht“ nicht einfach ist. „In Kürze veröffentlichen wir ein weiteres Gutachten, in dem wir Gerechtigkeitsfragen genauer betrachten und uns angeschaut haben, inwiefern Betroffene bei konkreten Beispielen auch Gerechtigkeitsansprüche proklamieren. Aus unseren Ergebnissen leiten wir Empfehlungen für die Kommunikation ab.“

Gerechtigkeitsfragen verbessern die Naturschutzkommunikation

Pro Vielfalt: Für den Erhalt des biologischen Artenreichtums lässt sich mit verschiedenen Argumentationslinien (Klugheit, Gerechtigkeit, Glück) eintreten. © Lehmann

Als ein besonders brisantes, prominentes und aktuelles Beispiel hat das Team die Auseinandersetzung um den geplanten Nationalpark Nordschwarzwald betrachtet. Ein anderes Beispiel ist die Analyse der geplanten Reform der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik, die stärker an ökologischen Kriterien ausgerichtet werden soll. So unterschiedlich die Beispiele sind, ließen sich doch einige allgemeingültige Kommunikationsempfehlungen daraus ableiten.

Ein wichtiger Punkt ist zum Beispiel, nicht stets nach einer Win-Win-Lösung zu suchen. „Es gibt Situationen, in denen eine Partei gewinnt und die andere verliert. Das kann zum Wohle der Allgemeinheit zumutbar sein, muss dann jedoch klar benannt werden. Dann kann man schauen, was als Ausgleich angeboten werden kann“, erklärt Eser. Die Studie stellt insgesamt dar, wo und wie die Naturschutzkommunikation besser wird, wenn sie Gerechtigkeitsfragen ausdrücklich anspricht. Das Gutachten erscheint demnächst als Band 130 der Schriftenreihe des Bundesamts für Naturschutz „Naturschutz und Biologische Vielfalt“ unter dem Titel: „Gerechtigkeitsfragen im Naturschutz: Was sie bedeuten und warum sie für die Kommunikation wichtig sind“ von Uta Eser, Birgit Benzing und Albrecht Müller.

Nun bergen die Gerechtigkeitsfragen für sich allein schon reichlich Zündstoff für Diskussionen, noch schwieriger wird es bei der Argumentationslinie Glück. Trotzdem kommt man nicht umhin, sich damit zu befassen, wie Eser sagt: „Das BfN hat gerade auch eine Studie zum Thema Glück beauftragt, denn am Glücksargument kommt man nicht vorbei, wenn man die ganze Palette der Argumente ausschöpfen will. Zu einem guten Leben gehören gute Beziehungen zur biologisch vielfältigen Natur. Wie soziale Beziehungen gehören Naturbegegnungen zu einem geglückten Leben – allerdings ist das nicht so unstrittig wie der Konsens darüber, das Arbeit und Einkommen zu einem geglückten Leben beitragen.“

Emotionale Komponente der Beziehung zur Natur berücksichtigen

Ein interessanter Punkt, der eigentlich für alle Argumentationslinien gilt, ist die Betrachtung von moralischer Empörung und Emotionen allgemein. Eser und ihr Team stellen in der aktuellen Studie fest, dass Emotionen gerade im Naturschutz eine große Rolle spielen, weil die Beziehung des Menschen zur Natur nun einmal gefühlsbetont ist. Deshalb sei es falsch, Emotionen per se als irrational darzustellen, inhaltlich dürften sie kein Tabu sein und sie sollten nicht durch rein ökologische oder ökonomische Sachargumente ersetzt werden. Schließlich wird darauf hingewiesen, dass moralische Empörung aus tiefliegenden moralischen Überzeugungen entsteht und damit diese Teil der Debatte sein können, seien Kommunikationsprozesse entsprechend zu gestalten.

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/biodiversitaet-im-gesellschaftlichen-kontext