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Bioenergie aus Streuobstwiesen

Das Projekt "Energiebündel & Flowerpower" des Netzwerks Streuobst Mössingen hat ein komplexes lokales Verwertungsnetz für die Biomasse aus Streuobstwiesen geknüpft. Beteiligt sind die Stadt Mössingen und deren Nachbargemeinde Nehren, die Körperbehinderteneinrichtung KBF mit ihrer AiS(Arbeit in Selbsthilfe)-Grüngruppe „Streuobst und Naturschutz“, ein Biogasanlagenbetreiber aus Nehren, das junge Unternehmen Vital Carbon, eine Holzpelletanlage und vor allem die Gütlesbesitzer rund um Mössingen.

Das "Netzwerk Streuobst Mössingen" sucht nach Lösungen für die Nutzung von Steuobstwiesen. © Uli Eder

Das "Netzwerk Streuobst Mössingen" hatte sich vor zehn Jahren aus einer Lokalen Agenda-Gruppe heraus gegründet – ein loser Zusammenschluss von Vereinen und Initiativen, aber auch Einzelpersonen, die Interesse am Thema Streuobst hatten. Hauptziel war es, den Rückgang bei der Pflege und Nutzung von Streuobstwiesen aufzuhalten. "Die Idee war, vor allem junge Familien für die Streuobstwiesennutzung zu gewinnen," so Ulrich Eder vom Netzwerk Streuobst Mössingen.

Unzählige Aktivitäten sind seither entstanden. Vom klassischen Apfelfest und einem Mostseminar über den Panoramaweg Streuobst, von der Apfelwoche bis zur Vermarktung des "roten Mössingers" wurde das ganze Repertoire ausgeschöpft, um die Öffentlichkeit wieder auf die Streuobstwiesen vor ihrer Haustür aufmerksam zu machen. Um es Interessenten für die Nutzung von Streuobst möglichst leicht zu machen, eine geeignete Fläche zu finden, hat die Stadt Mössingen mit Hilfe des Netzwerks Streuobst ein modernes, onlinebasiertes Pachtsystem eingerichtet. Auf der Internet-Plattform "mystueckle.de" können sich Interessierte die für sie am besten geeignete Streuobstwiesenfläche nach Größe, Lage oder Zusammensetzung des Obstes aussuchen. Seit Einrichtung im November 2015 konnten darüber bereits 40 Obstwiesen neu verpachtet werden.

Unterstützung beim Obstbaumschnitt

Schnittgut von Streuobstwiesen, das zur Abholung am Wegrand bereitliegt. © Sabine Mall-Eder

Doch das war den Streuobstaktiven noch nicht weitgehend genug. Hilfe bei der Öffentlichkeitsarbeit und der Vermarktung des Obstes ist die eine Seite, um zum Erhalt der Streuobstwiesen beizutragen. Konkrete Hilfe bei der Pflege der Obstbäume ist ein weiterer wichtiger Baustein. Gab es 1965 noch rund 18 Millionen Obstbäume in Baden-Württemberg, so waren es bei der letzten Erhebung im Jahr 2005 nur noch 9 Millionen. Und diese leiden zunehmend unter einem enormen Pflegedefizit. Wird ein Obstbaum aber nicht regelmäßig geschnitten, vergreist er frühzeitig und der drastische Rückgang an Streuobstbeständen in Baden-Württemberg beschleunigt sich weiter.1

Vor diesem Hintergrund stellten sich die Netzwerk-Streuobst-Aktiven die Frage, mit welchen Mitteln man den „Gütlesbesitzern“ die Arbeit beim Obstbaumschnitt erleichtern könnte. "Man ist auf seiner Wiese am Samstagmorgen und schneidet wie wild. Dabei schaut man immer auf die Uhr. Wie lang hat der Häckselplatz noch offen? Wie wird man sein Schnittgut noch los?", so Sabine Mall-Eder vom Projekt "Energiebündel & Flowerpower". In den meisten Gemeinden gibt es bestimmte Zeiten, zu denen das Schnittgut mit dem eigenen Anhänger auf Häckselplätze gebracht werden kann. Ein erster Ansatzpunkt war es nun, diese Öffnungszeiten attraktiver zu gestalten und zusätzlich eine Abholung des Schnittguts entlang der Wege der Streuobstwiesen durch die Stadt Mössingen zu organisieren. Dieses Angebot wurde sehr gut angenommen und viele Gütlesbesitzer nutzten die Gelegenheit, ihre Bäume zu schneiden. Das Häckselgut aus den rund 100 Hektar Testfläche rund um Mössingen entspricht in seinem Brennwert rund 70.000 Litern Heizöl.

Biomasse ohne Ende

Dass das Baumschnittgut durchaus energetisch verwertet werden könnte, wird aber oftmals vergessen. "Wir haben ja hier Biomasse ohne Ende, aber halt nicht die supereffiziente", so Mall-Eder im Gespräch. Mit Mitteln der Stiftung Naturschutzfonds Baden-Württemberg widmete sich deshalb das Netzwerk Streuobst im Projekt "Energiebündel & Flowerpower" von Mai 2013 bis Ende 2015 der Frage, welche energetischen Verwertungsstränge für die Region um Mössingen und Nehren ökonomisch und ökologisch sinnvoll sind. Zurzeit gelangt das holzige Material noch in die Pelletanlage in Empfingen, um dort zur Trocknung der Holzpellets eingesetzt zu werden. Erste Modellrechnungen haben aber gezeigt, dass es sich rechnen würde, wenn beispielsweise der Kastanienhof im benachbarten Bodelshausen, eine Behinderteneinrichtung der Stiftung KBF, die holzige Biomasse als regenerative Energiequelle nutzt. Oder eine Bürgerenergiegenossenschaft könnte eine Holzhackschnitzelanlage betreiben mit einer Wärmesenke, beispielsweise durch ein bestehendes Freibad und ein Internat.

Außer um die Abfälle des Obstbaumschnitts kümmerten sich Mall-Eder und Kollegen aber auch um die Verwertung des Wiesenschnitts. Eine Biogasanlage im benachbarten Nehren übernahm das Material. Durch den hohen Arbeitsaufwand ist dieser Verwertungsstrang aber eher nicht rentabel. Zumal das Gras von den Landwirten gerne weiterhin klassisch genutzt wird, solange die Mäharbeiten durch genügend großen Baumabstand nicht unnötig erschwert werden.

Biokohle zur Bodenverbesserung

Gegen Ende des Projekts kam noch ein weiterer möglicher Verwertungsstrang für die Biomasse der Streuobstwiesen mit ins Spiel. Prof. Dr. Michael Weiss von der Universität Tübingen hat ein Verfahren entwickelt, bei dem Biokohle, die aus der Verschwelung von holziger Biomasse entsteht, mit Pilzen zu einem hochwertigen Bodenverbesserer aufbereitet wird. Sein junges Unternehmen Vital Carbon plant den Bau einer Karbonisierungsanlage in Mössingen und würde somit zukünftig ein Teil des lokalen Verwertungsnetzes der Streuobstwiesen. Denkbar wäre für Weiss auch die Integration von Arbeitskräften mit Behinderung, sodass das Gesamtkonzept neben ökologischen und ökonomischen auch soziale Aspekte berücksichtigen würde. Ganz im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung.

Kann Mössingen Flowerpower?

Die Stadt Mössingen bietet eine Schnittgutabfuhr für Besitzer von Kleingärten an. © Sabine Mall-Eder

Auch nach Ende des Energiebündel-Projekts wird die Stadt Mössingen die Schnittgutabfuhr weiter anbieten. In einem fünfjährigen Zyklus wird die Stadt den Baumschnitt reihum abholen und zu temporären Sammelplätzen bringen, die auch für die gesamte Bevölkerung geöffnet sind. In dieses Konzept sollen zukünftig auch Hecken und Sukzessionsflächen im Rahmen der Landschaftspflegemaßnahmen integriert werden. Außerdem bringt die Blumenstadt Mössingen ihre eigenen Blumenflächen mit ein. Hierfür wurde speziell die einjährige Blumenmischung mit etwas energiereicheren Sorten versehen. Aktuell läuft auch noch ein Test, inwieweit mehrjährige biomassereiche Blühmischungen als ökologischer Maisersatz dienen könnten.

Die zu Beginn des Energiebündel-Projekts gestellte Frage "Kann Mössingen Flowerpower?" kann somit nur mit "Ja, es kann." beantwortet werden. Es bleibt nur zu wünschen, dass auch andere Städte und Gemeinden entlang des Albtraufs im schwäbischen Streuobstparadies mit seinen rund 1,5 Millionen Obstbäumen vergleichbare lokale Konzepte entwickeln.

Quelle
Streuobstwiesen in Baden-Württemberg – Wie viele Obstbäume wachsen im Land und in welchem Zustand sind sie?
Christian Küpfer, Julia Balko, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen, Horizonte 35/März 2010, S. 38-41
 

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