Energiewende
Biogas aus einzelligen Grünalgen
Mikroalgen verheißen saubere, CO2-neutrale Energie und gelten als zukunftsträchtige Ressource: Schon heute lassen sich Biogas, Biodiesel, Bioethanol und Biokerosin aus ihnen gewinnen. Bislang gelten die Methoden allerdings als energieaufwendig und kostenintensiv. Dr. Nikolaos Boukis vom KIT arbeitet an einem ausgefeilten, thermochemischen Verfahren mit einer vielversprechenden Energiebilanz.
In Hamburg steht das weltweit erste Gebäude seiner Art: Ein Haus mit einer lebenden Fassade. Die Front des sogenannten BIQ-Hauses (BIQ: Bio Intelligenz-Quotient) besteht aus 129 durchsichtigen Plattenelementen, in denen Mikroalgen schwimmen, die die Energie des Hauses produzieren sollen. Die Idee dahinter ist bestechend, denn Mikroalgen betreiben wie Landpflanzen auch Fotosynthese: Scheint die Sonne und stehen CO2 sowie Nährstoffe zur Verfügung, vermehren sich die Algen in der Hausfassade und bilden Biomasse – die, abgeschöpft, zur Energieproduktion des Hauses genutzt werden kann.
Nikolaos Boukis und Sherif Elsayed vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) arbeiten im Rahmen des Forschungsprojektes PHYKON und in Zusammenarbeit mit Dr. Martin Kerner, Vordenker des BIQ-Hauses und Geschäftsführer der Firma SSC Strategic Science Consult, an der effizienten Nutzung dieser Biomasse.
Aus Biomasse wird Biogas
Die Forscher nutzen dazu ein thermochemisches Verfahren, die hydrothermale Vergasung. Diese soll zukünftig im BIQ-Haus zum Einsatz kommen. Die aus den Algen (Acutodesmus obliquus) gewonnene Biomasse zerlegen sie im sogenannten überkritischen Wasser, also bei Temperaturen zwischen 400 und 600 Grad Celsius und einem Druck von 300 bar. „Algenbiomasse besteht aus organischer Materie, wenig anorganischen Komponenten und viel Wasser", sagt Boukis, „bei hohen Temperaturen und Druck wird dieses Gemisch in seine Einzelbestandteile zersetzt und es entstehen hauptsächlich Wasserstoff, Kohlendioxid (CO2) und Methan – ein Gasgemisch, das direkt zur Wärme- und Stromerzeugung genutzt werden kann."
Alleskönner Grünalge
Für Mikroalgen, mikroskopisch kleine, meist einzellige Algen, spricht vieles: Energie aus nachwachsenden Rohstoffen gilt im Vergleich zu fossilen Brennstoffen als CO2-neutral. Verbrennt man Algenbiogas – etwa mithilfe eines Gasmotors, wie die KIT-Forscher es planen –, um Strom zu erzeugen, wird die gleiche Menge CO2 freigesetzt, die zuvor von den Algen aufgenommen wurde. Beim Verbrennen fossiler Energieträger wird das gebundene CO2 hingegen frei. Aber anders als Energiepflanzen wie Raps, Soja oder Mais benötigen Algen kein wertvolles Ackerland um zu wachsen, stehen also nicht in direkter Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion. Die Anlage für das BIQ-Haus zum Beispiel hätte mitsamt der weiteren Haustechnik im Keller Platz. Zudem vermehren sich Algen sehr schnell und produzieren folglich mehr Biomasse pro Fläche als Landpflanzen: Bis zu 100 Tonnen Trockenmasse pro Hektar und Jahr, verglichen mit 3,5 Tonnen bei Weizen.
Dr. Nikolaos Boukis
© privat
Der Clou des Verfahrens ist die hohe Energieeffizienz: Zum einen nutzen die Forscher die Algenbiomasse grundsätzlich als wässrige Lösung, also ohne Vortrocknung. Bei anderen Verfahren muss die Biomasse zunächst getrocknet werden, um etwa an die wertvollen Öle im Algeninneren zur Biodieselproduktion zu gelangen – ein Prozess, der viel Energie verschlingt.
Zum anderen nutzen Boukis und Elsayed einen Gegenstrom-Wärmetauscher. Dazu speisen die Forscher die Algenbiomasse in einen konzentrisch aufgebauten Rohrreaktor ein: Die kalte Algenmasse strömt durch ein Rohr, das heiße Reaktionsgemisch durch ein daneben liegendes. „Auf diese Weise gewinnen wir mehr als 80 Prozent der Energie, die für das Aufheizung der Algenbiomasse benötigt wird, wieder zurück", erklärt der Chemiker Boukis.
Wie gut die Energiebilanz ist, hängt dabei von verschiedenen Faktoren ab: der Größe der Anlage, ihrer Isolation und der Konzentration der Algenbiomasse. Da eine leicht erhöhte Algenkonzentration (10 Prozent) zu besseren Ergebnissen führt, reichern die Forscher die Algenbiomasse durch Zentrifugation moderat auf. „Wir schaffen eine nahezu vollständige Umsetzung der Biomasse und gewinnen bis zu 70 Prozent der in der Biomasse enthaltenen Energie als Brennstoff", sagt Boukis. Zum Vergleich: Biotechnologische Verfahren setzen etwa 50 Prozent der Biomasse um und ihre Energiebilanz ist um einen Faktor 2 bis 3 schlechter. Ein weiterer Pluspunkt ist die Schnelligkeit des Verfahrens: Während das Vergären von Biomasse mehrere Wochen in Anspruch nehmen kann, benötigt der thermochemische Prozess wenige Minuten.
Ein fast geschlossener Kreislauf
Die Pilotanlage VERENA (“Versuchsanlage zur energetischen Nutzung agrarwirtschaftlicher Stoffe”) wurde für einen Arbeitsdruck von bis zu 35 MPa und einer maximalen Temperatur von 700 °C ausgelegt. VERENA ist die weltweit erste komplett ausgestattete, kontinuierlich betriebene Anlage für die Biomassevergasung in überkritischem Wasser.
© KIT
Die KIT-Forscher entwickeln ihre Anlage zudem als ein sich selbst tragendes, geschlossenes System: So sollen die Nährstoffe, die sich in der zerlegten Algenbiomasse befinden, wieder zurückgewonnen werden, das Wasser, in denen die Algen gezüchtet wurden, recycelt werden und das CO2 nach der Verbrennung des Gasgemisches zurück in die Algenzucht geleitet werden. Auf diese Weise benötigen die Algen, die CO2 zwingend für ihr Wachstum benötigen, keinen zusätzlichen Dünger und keine externe CO2-Quelle.
Einen entscheidenden Haken hat die vielversprechende Technologie allerdings: Noch rentiert es sich nicht, Energie aus Algen herzustellen – egal, welche Technik zum Einsatz kommt. Einerseits weil die Technologien noch jung und entsprechend verbesserungsfähig sind, aber auch, weil Energie immer noch ein Billigprodukt ist. „Um es ein wenig salopp zu formulieren: Solange das Öl in Saudi-Arabien aus dem Boden sprudelt und der Rohölpreis so niedrig ist, solange kann kein technisches Verfahren mithalten. Das ist konkurrenzlos", sagt Boukis, der aber klare Vorstellungen von seinem Forschungsauftrag hat: „Wir sind verpflichtet, Forschung zu betreiben für die Zeit nach dem Öl. Und wir müssen dringend unseren CO2-Ausstoß verringern. Dazu müssen wir an Technologien feilen können, die sich nicht übermorgen schon rentieren."
Hohe Gewinne erbringen Algen übrigens heute schon: Für die Kosmetik- und Nahrungsmittelindustrie produzieren sie wertvolle Rohstoffe wie Pigmente, Öle und Proteine. Davon könnte indirekt auch die Bioenergie-Branche profitieren: Indem man die Verfahren koppelt, die übrig bleibende Algenbiomasse also nach dem Extrahieren der Wertstoffe energetisch nutzt.