Biogasanlagen im Flexbetrieb – Neue Konzepte zur Stabilisierung erneuerbarer Stromerzeugung
Ein bekanntes Problem bei der Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Quellen ist die fehlende Flexibilität hinsichtlich Stromspitzen – sowohl auf Verbraucher- als auch auf Erzeugerseite. Insbesondere Biogasanlagen stellen hier, aufgrund der zugrundeliegenden komplexen und relativ trägen mikrobiellen Prozesse, eine Herausforderung dar. Das Forschungsprojekt FLEXIZUCKER der Universitäten Ulm und Göttingen hat sich zum Ziel gesetzt, die Biogasproduktion zu flexibilisieren und die erneuerbare Stromerzeugung damit netz- und marktkompatibler zu machen.
Strom aus Biomasse trug im letzten Jahr mit 8,6 Prozent zur Deckung des Bruttostromverbrauches in Deutschland (in Baden-Württemberg 3,6 Prozent) bei. Der Anteil aller Erneuerbaren Energien ist zwar knapp dreimal so hoch, doch mit Blick auf die Entwicklung in den letzten Jahren, lässt sich ein Trend hin zu Biomasseverstromung erkennen. Seit dem Jahr 2000 ist eine Verzehnfachung der Stromerzeugung aus Biomasse zu verzeichnen.1
Infobox: Biogasanlagen6
Eine Biogasanlage dient der Fermentation organischer Reststoffe. Das heißt, Biomasse wird unter Sauerstoffabschluss (anaerob) von verschiedenen Mikroorganismen zersetzt. Als Ausgangssubstrat für die Biogasanlage eignen sich dabei nicht nur Abfallprodukte aus der Landwirtschaft wie Gülle, sondern auch Bioabfälle oder Energiepflanzen. Die leicht zersetzbaren Anteile der Biomasse, wie Kohlenhydrate oder Proteine, werden von den Mikroorganismen verstoffwechselt und als Nebenprodukt entsteht Biogas. Schwer zersetzbare Inhaltsstoffe des Substrates (Lignin, Cellulose, Sand) bilden den Gärrest, der aufgrund der darin enthaltenen Nährstoffe (Stickstoff, Phosphor) als Dünger eingesetzt werden kann. Die Menge und Zusammensetzung des Biogases variiert mit der chemischen Zusammensetzung des organischen Eingangsmaterials. Entscheidend ist vor allem der Methangehalt im Biogas. Je höher dieser ist, umso höher ist der Heizwert und damit der Energiegehalt des Biogases. Dies ist vor allem dann von Vorteil, wenn das erzeugte Biogas verstromt werden soll (Infobox 3). Neben 40-75 Prozent Methan enthält Biogas als Hauptbestandteil Kohlenstoffdioxid (25-55 Prozent) sowie in geringen Mengen problematische Störgase wie Schwefelwasserstoff oder Ammoniak. Ziel ist es, möglichst viel Biogas mit möglichst hohem Methangehalt zu erhalten.
Die sichere Vergütung von Strom aus Biomasse bis zum Jahre 2020 im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetztes (EEG) leistete hier sicherlich einen entscheidenden Beitrag. Doch spätestens seit der Veröffentlichung des EEG 2017 ist klar, dass es eine Anschluss-EEG-Förderung für Alt-Biogasanlagen nicht geben wird.2,3 Um einem massiven Rückbau der Alt-Anlagen nach der Förderphase vorzubeugen, müssen neue Konzepte die Stromgewinnung aus Biomasse auch ohne staatliche Förderung wettbewerbsfähig machen.4
Einer der großen Wettbewerbsvorteile gegenüber Strom der aus Windkraft oder Photovoltaik erzeugt wird, könnte die Flexibilisierung der Stromgewinnnung aus Biogas sein. Denn die Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen ist noch immer starken Schwankungen auf der Angebotsseite ausgesetzt. Diese korrelieren nicht immer mit Schwankungen auf der Nachfrageseite oder verhalten sich sogar gegenläufig zu diesen. Dadurch kommt es nicht selten zu Versorgungslücken, die mit Strom aus fossilen Quellen überbrückt werden müssen. Während die Leistung von Windkraft- und Photovoltaik (PV)-Anlagen direkt von unberechenbaren klimatischen Faktoren wie Windgeschwindigkeiten und Sonneneinstrahlung abhängt, kann die Biogasproduktion über das Fütterungsmanagement relativ gut gesteuert werden. Allerdings kann die Biogasproduktion bisher in der Praxis nur langfristig angepasst werden. Kurzfristige Schwankungen sind aufgrund der empfindlichen Mikroorganismen im Biogasreaktor nur schwer zu realisieren.5 Dennoch besitzt die Biogasproduktion im Gegensatz zu PV- und Windanlagen den entscheidenden Vorteil, dass Biogas kontinuierlich und zu jeder Zeit produziert werden kann. Außerdem ist es möglich, Biogas zwischenzuspeichern und zu einem späteren Zeitpunkt zu verstromen. Somit leistet Strom aus Biomasse einen wichtigen Beitrag zur Schließung der Versorgungslücken, die zu Spitzenlastzeiten oder bei Erzeugungsengpässen entstehen.3
FLEXIZUCKER – Flexible Stromproduktion dank Zuckerrübe
Die Forschungsgruppe um Prof. Dr. Marian Kazda an der Universität Ulm vor ihrer Laborbiogasanlage. V.l.n.r.: Kerstin Maurus, Wiebke Karad, Sharif Ahmed, Prof. Dr. Marian Kazda.
© Prof. Dr. Marian Kazda, Universität Ulm
Um den Flexibilitätsvorteil von Strom aus Biogas weiter auszubauen, widmen sich Forscher der Universitäten Ulm und Göttingen in einem gemeinsamen Forschungsprojekt der Entwicklung neuer Beschickungskonzepte für Biogasanlagen. Das seit vergangenem Jahr laufende Projekt FLEXIZUCKER setzt auf Zuckerrübensilage als Flexibilisierungswunder. Die Idee dazu wurde geboren, als den Forschern in Vorversuchen mit Mais als Ausgangssubstrat auffiel, dass der Methangehalt im Biogas unnmittelbar nach der Zugabe von Zuckerrübensilage sprunghaft anstieg. „Dieser Effekt birgt großes Potenzial für die Entwicklung einer kurzfristigen, bedarfsgerechten Anpassung der Biogasproduktion“, ist sich Prof. Dr. Marian Kazda von der Universität Ulm sicher. „Denn die Lücken, die sich zum Beispiel morgens und abends bei der Stromversorgung aus Erneuerbaren Energien auftun, könnten mithilfe eines ausgeklügelten Fütterungsmanagements auf der Grundlage von Stoßzeitenfütterungen zuverlässig überbrückt werden.“ Damit könnten Biogasanlagen wieder attraktiver werden und sich auch nach Ende der Einspeisevergütung selbst finanzieren. „Denn Probleme der Biogasanlagen wie hohe Investitions- und Wartungskosten, verhältnismäßig schlechte Flächenbilanzen und teure Substrate seien nicht wegzudiskutieren“, merkt Kazda an. Umso wichtiger sei es, die großen Vorteile wie Speicherfähigkeit und Flexibilisierung auszubauen.
Der erste Teil des auf drei Jahre ausgelegten Projektes ist bereits abgeschlossen. Die Forscher haben nun ein ziemlich genaues Bild davon, wie viel Zuckerrübensilage notwendig ist, um einen bestimmten Anstieg des Methangehaltes im Biogas zu erreichen. Welche mikrobiologischen Prozesse hinter dem schnellen Anstieg stecken, und warum dieser so unmittelbar erfolgt, soll nun im zweiten Teilprojekt an der Universität Göttingen von der Forschergruppe um Prof. Dr. Rolf Daniel herausgefunden werden. „Wahrscheinlich ist es wie bei uns Menschen – wenn wir Traubenzucker essen, steigt der Zuckergehalt im Blut auch sofort an. Ein ähnlicher Mechanismus könnte hier in der Biogasanlage mit den leicht zugänglichen Zuckern aus der Zuckerrübensilage stattfinden“, vermutet Kazda. Genaueres werden die Analysen der Forscher aus Göttingen zeigen. Im dritten Jahr soll außerdem eine ökonomische Analyse erfolgen, um sicherzustellen, dass das neue Fütterungskonzept auch wirtschaftlich ist.
Infobox 2: Welche Prozesse laufen in einer Biogasanlage ab?
Die Umwandlung von Biomasse zu Biogas und Gärrest im Biogasreaktor ist einer Vielzahl von unterschiedlichen Mikroorganismen zu verdanken, deren Stoffwechselaktivität empfindlich von den äußeren Randbedingungen wie Temperatur, Wassergehalt oder pH-Wert des Substrates abhängt. Die Anlagenpraxis hat gezeigt, dass die Mikroorganismen stabile Parameter bevorzugen. Deshalb werden die wichtigsten Parameter mit aufwendiger Messtechnik rund um die Uhr überwacht. Die Biomassezersetzung läuft in vier Phasen ab:
1) Hydrolyse: Polymere Makromoleküle (Kohlenhydrate, Fette, Proteine) werden mithilfe von Enzymen bestimmter Mikroorganismen in ihre kurzkettigen Bestandteile (z.B. Monosaccharide, Aminosäuren oder Fettsäuren) zerlegt.
2) Acidogenese: Säurebildende Mikroorganismen zerlegen die Produkte der Hydrolyse weiter in organische Säuren und Alkohole (z.B. Butter- oder Propionsäure). Dabei entsehen auch Schwefelwasserstoff und Ammoniak.
3) Acetogenese: Die entstandenen Stoffe werden von bestimmten Mikroorganismen weiter zu Essigsäure umgebaut, der pH-Wert sinkt.
4) Methanogenese: Im letzten und wichtigsten Schritt entsteht das Methan (CH4), indem methanbildende Archaeen CH4 und CO2 aus der Essigsäure bilden. Gleichzeitig wird aus elementarem Wasserstoff (4H2) und CO2 Methan und Wasser gebildet.
Bioökonomie in der Praxis – Netzkompatibler Strom und Bioerdgas aus Biomasse
Nicht zuletzt verfolgen die Forscher das Ziel, einen kleinen Beitrag zur Bioökonomie in Baden-Württemberg zu leisten. So ist sich Kazda sicher, dass Biogas nicht nur für die flexible Erzeugung von sauberem Strom in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird. Im Angesicht des aktuellen Diesel-Skandals wird auch der Trend zu alternativen Kraftsstoffen im Automobilsektor zunehmen. Biomethan wäre hier eine grüne und saubere Alternative zu fossilem Erdgas. „Unser Ziel ist es, eine Art Kochrezept zu entwerfen, eine Handlungsempfehlung für Anlagenbetreiber, der sie genaue Kennzahlen entnehmen können, wie viel Zuckerrübensilage wann nötig ist, um eine bestimmte Biogasproduktion und -qualität zu erlangen“, fasst der Professor zusammen. Wenn es den Forschern gelingt, die Biogasproduktion hochgradig flexibel zu gestalten, so wäre es praktisch möglich, Strom und Kraftstoff auf Abruf und zuverlässig aus lokaler Biomasse zu gewinnen. Das wäre sozusagen „bioeconomy at its best“.
Großansicht: Verfahrensschema einer Biogasanlage
Konversion von Biomasse in Strom und Nahwärme: Der Fermenter ist das Herzstück des Schemas. Das Substrat (links) fließt in den Fermenter. Das im Fermenter entstandene Biogas wird ins Blockheizkraftwerk (BHKW) geleitet. Dort wird es in Strom und Wärme umgewandelt. Ein zweiter Biogasstrom führt zu einem Gasaufbereitungsmodul, welches das Biogas zu Biomethan aufbereitet. Dieses kann dann in das Erdgasnetz eingespeist werden. Die im BHKW erzeugte Wärme kann zum Heizen genutzt werden, während der Strom in das Stromnetz eingespeist wird. Der Gärrest wird als Dünger in der Landwirtschaft verwertet, aus der wiederum ein Teil des Ausgangssubstrates für die Biogasanlage stammt.
© Viola Hoffmann
Infobox 3: Welche Nutzungspfade gibt es für Biogas?
Das gebildete Biogas eignet sich derzeit für zwei Verwertungswege. Zunächst bietet sich die direkte Verstromung über eine Verbrennung in einem Blockheizkraftwerk (BHKW) an. BHKWs kombinieren Strom- und Wärmeerzeugung aus einem Brennstoff und erzielen somit Wirkungsgrade von bis zu 95 % (abhängig vom eingesetzten Verbrennungsmotor). Der erzeugte Strom kann in das Stromnetz eingespeist werden und wird gemäß des Kraft-Wärme-Kopplungs (KWK) -Gesetzes vergütet. Die erzeugte Abwärme aus dem Verbrennungsprozess wird teilweise in den Biogasprozess rückgeführt, um die Fermenter zu erwärmen. Der Rest kann in das Nahwärmenetz eingespeist werden.
Ein weiterer interessanter, wenn auch etwas kostenintensiverer Nutzungspfad ist die Aufbereitung zu Biomethan und die anschließende Einspeisung in das Erdgasnetz. Das Biomethan kann dann als Kraftstoff für Erdgasfahrzeuge genutzt werden. Die Aufbereitung zu Biomethan lohnt sich allerdings aufgrund der aufwendigen Anlagentechnik bisher nur für große Biogasanlagen.