Biogene Treibstoffe: Viele Hoffnungen und der Traum vom grünen Schaum
Alternativen Antrieben und Kraftstoffen für das Fahrzeug der Zukunft fehlen technische Reife und Wettbewerbsfähigkeit. Zum fossilen Sprit gibt es auf kurze und mittlere Sicht nur fossilen Ersatz, komprimiertes Erdgas und Autogas. Die einzigen erneuerbaren Alternativen sind und bleiben vorerst Biodiesel oder Bioethanol. Biogene Treibstoffe der zweiten Generation (2G) marktreif zu machen, kostet wie jede Technologieentwicklung viel Zeit, Geld und Know-how.
Die Nachhaltigkeit der Agro-Treibstoffe der ersten Generation (1G) ist umstritten. Zwar will die EU mit Zertifikaten dagegenhalten, das Problem der indirekten Landnutzung aber bleibt ungelöst. 2G-Treibstoffe, die nachhaltiger sein sollen, sind seit gut zehn Jahren im Gespräch; bis sie in industriellem Maßstab verfügbar sind, könnten abermals 15 bis 30 Jahre vergehen, sagen unabhängige Sachverständige.
Grün ist die Hoffnung, grau die Realität
Der Absatz von reinem Biodiesel ist im letzten Jahr eingebrochen, nur mehr Lkw tanken ihn.
© Verband der deutschen Biokraftstoffindustrie
Nicht wenige Forscher schwelgen in Szenarien von maßgeschneiderten Algen oder Mikroben, die direkt Treibstoff für Automotoren und Flugzeugturbinen liefern. In der Realität dominieren die 1G-Treibstoffe Bio-Ethanol und Biodiesel, die aus essbaren Pflanzen wie Mais (USA), Zuckerrohr (Brasilien), Raps, Getreide (Europa) oder Palmöl (Asien) produziert werden.
2010 erreichte die weltweite Biosprit-Produktion ein Allzeithoch (105 Mrd. Liter), Tendenz steigend. Deutschland will mit einer Biokraftstoffquote im Verkehr das Klima schonen, so das Versprechen an die EU. Seit 2010 muss eine energiebezogene Quote von 6,25 Prozent erreicht werden, die ab 2015 schrittweise durch eine treibhausgasbezogene Quote ersetzt wird. Bis 2020 sollen damit die Treibhausgasemissionen des Verkehrs um sieben Prozent sinken.
Unterdessen gibt es Pleiten für 2G-Anlagen, die trotz öffentlicher Förderung den Schritt in die großindustrielle Fertigung nicht schafften. Jüngste Beispiele sind Range Fuel (USA, Georgia) und Choren Industries (Deutschland, Freiberg/Sachsen). Andere potenzielle Cellulose-Ethanol-Hersteller satteln um und produzieren aus Mais Butanol, ein Zwischenprodukt für die chemische Industrie. Von potenziellen Algensprit-Herstellern werden in der Szene ähnliche Wechsel des Geschäftsmodells berichtet (Bullis).
Aus Biomasse lassen sich gasförmige und flüssige Treibstoffe herstellen. Eine Liste des Fachorgans Biofuel Digest (Mai 2011) zählt weltweit 135 Produktionsanlagen fortgeschrittener Alternativtreibstoffe mit einer behaupteten Produktionskapazität von rund 2,6 Mrd. Litern. Bis 2015 soll sich die Produktionskapazität mehr als versechsfachen - in Zeiten der Finanzkrise wohl ein frommer Wunsch.
Wasserstoff aus Biomasse
Wasserstoff aus Biomasse verharrt noch im frühen Stadium der Entwicklung. Gegenwärtig wird er meist aus fossilen Quellen durch das etablierte Verfahren der Dampfreformierung mit allerdings miserabler Klimabilanz gewonnen. Prototypische Wasserstoff-Autos wurden entwickelt, aber es fehlt die Infrastruktur, das Speicherproblem ist ungelöst und Brennstoffzellen sind nach wie vor teuer und verfügen über eine nur kurze Lebensdauer. Den emissionsarmen Energieträger Wasserstoff und seine effiziente Konversionstechnologie Brennstoffzelle bis 2015 kommerzialisieren will ein Konsortium aus EU, Industrie und Forschung (Fuel Cells and Hydrogen Joint Undertaking).
Ob aus Mikroalgen wie den hier abgebildeten Grünalgen (Botryococcus) jemals Spritproduzenten werden, ist offen. Derzeit gelten die Einzeller als große Hoffnung.
© Gerd Klöck, Hochschule Bremen
Auch bestimmte Mikroalgen und Cyanobakterien können von sich aus durch Photosynthese Wasserstoff erzeugen, deren Ertrag gentechnisch verbessert werden kann. Die für die Spaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff in den Mikroorganismen verantwortlichen Enzyme lassen sich isolieren und auf geeigneten Membranen nach dem Konzept einer „Biobatterie" anbringen; ebenfalls möglich ist eine biomimetische Wasserstoffproduktion, die statt Zellbestandteilen chemisch ähnliche Verbindungen verwendet. Für die Biowasserstoffproduktion kommen drei Stoffwechselprozesse in Frage: Gärung, anoxygene und oxygene Photosynthese. Die Produktion durch Bakterien und Grünalgen befindet sich noch am Anfang der Entwicklung. (nach Bley/Kirsten/Weitze, 31f.).
Im Stadium der angewandten Forschung befinden sich Projekte an zwei Forschungsstandorten in Baden-Württemberg. Am ZSW (Zentrum für Sonnenergie- und Wasserstoffforschung) in Stuttgart steht eine Pilotanlage, die Wasserstoff durch Biomassevergasung produziert. Am KIT (Karlsruhe Institute of Technology) in Karlsruhe (https://www.biooekonomie-bw.dewww.itc-cpv.kit.edu/53.php) wird die Erzeugung von Wasserstoff aus nasser Biomasse erforscht.
Biomethan – mehr als nur ein Kraftstoff
Biomethan, das anders als Biogas nicht durch anaerobe Fermentation, sondern durch Vergasung zellulosehaltiger Biomasse gewonnen wird, befindet sich im Demo-Stadium. Dieser Kraftstoff könnte sich das gut ausgebaute Erdgasnetz zunutze machen. Anlagen in Göteborg oder Güssing/Österreich wollen nicht nur Kraftstoff, sondern Strom und industrielle Güter produzieren. Noch im Stadium angewandter Forschung befindet sich ein am ZSW in Stuttgart durchgeführtes Projekt zur Methansynthese von wasserstoffreichem Produktgas aus der Biomassevergasung, das im sogenannten AER-Verfahren gewonnen wird. Die Qualität dieses Produktgases ist nach ZSW-Angaben so hoch, dass es sich auch zur Herstellung von Kraftstoffen eignet. Eine lange geplante kommerzielle Umsetzung am Standort Geislingen scheiterte unlängst an zu hohen Biomasse-Preisen und fehlenden Energieabnehmern. In Laboren laufen Versuche mit Algen als Rohstoffbasis.
Verflüssigte Biomasse
Noch nicht marktfähig sind BtL-Kraftstoffe, die auf Nonfood-Biomasse zurückgreifen.
© FNR
BtL (biomass to liquid)-Treibstoffe aus verflüssigter Biomasse können aus nahezu jeder Art von Biomasse hergestellt werden, sofern ihr Feuchtegehalt gering ist. Die Rohstoffe werden vergast, gereinigt, das dabei entstehende Snythesegas wird entweder mit dem Fischer-Tropsch-Verfahren oder dem Methanol-to-Gasoline-Verfahren synthetisiert und raffiniert. Die Herstellungsverfahren sind noch nicht konkurrenzfähig.
Eine erste großtechnische Versuchsanlage im sächsischen Freiberg (Choren Industries), meldete jüngst Insolvenz an; Insider (vgl. Blog auf Energycollective, vgl. Quellen/Literatur) sagen, die Technologie sei lange erprobt und funktioniere. Am Karlsruher KIT soll bis 2012 eine Pilotanlage nach dem bioliq-Verfahren errichtet werden. Nach dezentraler Energieverdichtung (durch Schnellpyrolyse) wird die verflüssigte Rest-Biomasse in einem Flugstromvergaser gasifiziert, gereinigt, konditioniert und veredelt. Die erzeugten Kraftstoffe sollen in unterschiedlichen Motorentypen einsetzbar sein. Zusammen mit fünf französischen Partnern sollen mithilfe des Technologieanbieters Uhde (Thyssen-Krupp) 2012 zwei Pilotanlagen zur Erzeugung von Biodiesel und Biokerosin in Betrieb gehen.
Cellulose-Ethanol - Sprit aus Resten und Abfällen
Cellulose-Ethanol, ein 2G-Bioethanol, ist chemisch mit seinem Vorgänger identisch, wird aber aus pflanzlichen Resten und Abfallstoffen hergestellt und muss durch Säuren und (immer noch teure) Enzyme aufgespaltet werden, ehe er fermentiert, destilliert und aufgereinigt wird. Am effizienten und schnellen Aufschluss der komplexeren Lignocellulose arbeiten Forscher seit den 1970er Jahren, ein Durchbruch lässt weiter auf sich warten.
Ehrgeizige Ausbauziele zum 2G-Ethanol wie die der US-Regierung wurden jüngst deutlich nach unten korrigiert (Biello, S. 61). In Europa befinden sich einige Demonstrationsanlagen im Aufbau. Das Unternehmen Südchemie will im bayerischen Straubing 2012 aus Lignocellulose (Getreidestroh aus der Umgebung), jährlich bis zu 2.000 Tonnen klimaschonendes Ethanol (90 Prozent weniger CO2) produzieren. Der Ansatz ist dezentral; das Unternehmen, das als Technologieanbieter auftreten will, siedelt wirtschaftlich machbare Anlagen in der Größenordnung von 50 bis 150 Jahrestonnen an. Parallel zur Demoanlage soll eine weitere in größerem Maßstab entwickelt werden. Der vierstufige Prozess soll aus 5 Tonnen Cellulose mehr als 1 Tonne Ethanol erzeugen und mit eigens entwickelten und in den Prozess integrierten Enzymen sowohl C5- als auch C6-Zucker fermentieren.
Darüber hinaus entwickeln einige Pilotanlagen thermochemische oder biochemische Verfahren zur Bioethanolherstellung aus kommunalen Abfällen (z. B. Enerkem, Montréal) und Gewerbemüll. Im Labormaßstab befindet sich die Synthesegasfermentation und die Vergasung und Ethanolsynthese aus Lignocellulose.
Biosprit hebt ab: Luftfahrt sucht Alternativen
Alternativen zum herkömmlichen erdölbasierten Kerosin, langfristig auch auf Biomasse-Basis, erforscht das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt.
© DLR
Mit der Hydrierung von Pflanzenölen und Fetten wurde in den letzten Jahren ein Verfahren zur Herstellung von Kraftstoffen entwickelt, das als erneuerbarer Diesel bezeichnet wird, in Abgrenzung zum veresterten Biodiesel. Der weltgrößte Anbieter Neste Oil aus Finnland hat jüngst mit seiner vierten Fabrik in Rotterdam seine Produktionskapazität auf zwei Millionen Jahrestonnen geschraubt. Nach Unternehmensangaben eignet sich der Sprit auch für den Einsatz im Luftverkehr.
Für die Luftfahrtbranche sind biogene 2G-Treibstoffe in doppelter Hinsicht interessant. Ab 2012 wird die Branche in den CO2-Zertifikatehandel eingebunden und spart Geld durch den Einsatz von Biosprit. Andere klimaschonendere Alternativen gibt es für Flugzeuge momentan nicht. Erste Versuche mit Sprit auf Basis von Jatropha, Leindotter oder Hausmüll wurden vorgestellt. Verflüssigtes (Bio)Methan und Flüssigwasserstoff gelten langfristig als ökologisch tragfähige Alternative zu Kerosin (dena, S. 30).
Biobutanol – bessere Alternative zu Bioethanol?
Biobutanol lässt sich durch anaerobe mikrobielle Fermentation von Kohlenhydraten in Acetin, Butanol und Ethanol umwandeln, konnte aber nicht mit der petrochemischen Herstellung konkurrieren. Inzwischen wächst das Interesse an Biobutanol als Kraftstoff, der in Otto- wie Dieselmotoren einsetzbar sein soll. Der energiereichere Alkohol, der die petrochemische Infrastruktur ausnutzen könnte, lässt sich aus Getreide, Zuckerrohr und -rüben, sowie aus zellulosehaltigen Rohstoffen gewinnen.
Fachleute halten ihn für die bessere Alternative als Bioethanol. Derzeit werden neue Gewinnungsverfahren entwickelt, um Biobutanol im industriellen Maßstab zu produzieren. DuPont und BP sowie das KMU Gevo wollen die Produktion auf eine breitere Rohstoffbasis stellen. BP und DuPont wollen 2013 kommerziell Biobutanol herstellen.
Algensprit: Noch dominiert das Prinzip Hoffnung
Jahrelang lieferten Algen für einen kleinen Markt hochwertige Produkte (Kosmetika, Chemikalien, Zusätze für Nahrungs- und Futtermittel). Seit der Nachhaltigkeitsdebatte um 1G-Treibstoffe gelten Mikro- und Makroalgen als neue Option – déjà vu: bereits in den 90er Jahren starteten in USA und Japan Förderprogramme, die aber wieder eingestellt wurden.
Die Mineralöl-, Chemie- und Konsumgüterindustrie testet in zahlreichen Vorhaben die Tauglichkeit von Algen zur Treibstoffproduktion, die man ihrer Marktferne wegen oft als Treibstoffe der dritten Generation (3G) bezeichnet. Allerdings ist diese noch unwirtschaftlich. Kritiker wie beispielsweise Gerd Klöck rechnen hoch, dass der Produktionsprozess eine negative Energiebilanz hat. Viele sehen in Koppelprodukten (Fette, Eiweißstoffe für industriell-stoffliche Zwecke, für Tier- und Menschennahrung) Lösungswege. Auch Algensprit ist ein Flächenfresser. Europas Verkehr bräuchte die Fläche Portugals, um den nötigen Algensprit zu produzieren, theoretisch.
Mit den Mitteln der synthetischen Biologie will die Forschung einstweilen einzelne Gene, aber auch komplette Stoffwechselwege in die phototrophen Mikroorganismen funktionell integrieren und hocheffiziente neue Zellsysteme für die Produktion von Biotreibstoff herstellen. Der Traum vom grünen Schaum wird weiter geträumt, vorerst.
Quellen/Literatur (Auszug):
AIREG (Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany), 8.6.2011 (www.airliners.de)
Asendorpf, Dirk: Unsere Gier nach Futter, in: Zeit, 19.12.2011.
Dr. John Benemann’s Take on the Current State of the Algae Industry, Algaenews.com, 9.12.2011.
Biello, David, The false promise of biofuels, Scientific American, August 2011, S. 59ff.
Biofuels Digest https://www.biooekonomie-bw.dewww.biofuelsdigest.com
Bley, Thomas (Hrsg.), Biotechnologische Energieumwandlung, Berlin Heidelberg 2009.
Bullis, Kevin, To Survive, Some Biofuels Companies Give Up on Biofuels, Technology Review, 21.12.2011
Deutsche Energie-Agentur (dena) (Hrsg.): Entwicklung einer Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie für Deutschland. Voruntersuchung, Berlin August 2011.
Fairley, Peter, Next Generation biofuels, Nature 474, 23.6.2011 (doi:10.1038/474S02a)
Hurtig, Oliver, Leible, Ludwig et al., ITAS (Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse): Die Automobilindustrie auf neuen Wegen? Eine vergleichende Einordnung innovativer Kraftstoff- und Antriebskonzepte der deutschen Automobilindustrie seit der ersten Ölkrise 1973, in: Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 19. Jg., Heft 3, Dezember 2010, S. 84ff.
Klöck, Gerd, It’s the process, stupid, Chemistry & Industry, 22. 02.2010, S. 27.
Kruse, Olaf, Synthetische Biologie und Biotreibstoffe, in: Alfred Pühler/Bernd Müller-Röber/Marc-Denis Weitze (Hrsg.): Synthetische Biologie. Die Geburt einer neuen Technikwissenschaft. (acatech Diskussion), München 2011, S. 95ff.
Südchemie, sunliquid, nature’s quality in fuel; Vortrag Dr. Ulrich Kettling, 12.10.2011 (Biotechnica, Hannover).
SWAFEA (Sustainable Way for Alternative Fuel and Energy in Aviation), State of the Art for Alternative Fuels and Energy Carriers in Aviation, AFEA formal report D.2.1 v2 (WP2000_USFD_25/03/2010) , 01.10.2011
https://www.biooekonomie-bw.detheenergycollective.com/robertrapier/60963/what-happened-choren