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Biologische Pore auf einem Chip misst Molekülbeschaffenheit

Geräte von der Dimension eines Zimmers waren bisher nötig, um die Größe einzelner Einheiten von Polymeren zu bestimmen. Die Forscher Prof. Dr. Jan Behrends und Dr. Gerhard Baaken von der Universität Freiburg haben einen fingerkuppengroßen Chip entwickelt, auf dem eine biologische Pore von einigen wenigen Nanometern Durchmesser als Fühler für die Größe von Molekülen dient. Die Verschmelzung von biologischen und mikrosystemtechnischen Komponenten war in der technischen Umsetzung eine Kunst für sich. Inzwischen ist das System nicht nur genauso sensibel wie eine Chromatografieanlage, sondern auch handlicher und billiger. In Zukunft könnten Wissenschaftler damit vielleicht sogar Gene sequenzieren und andere Molekülgruppen untersuchen.

Das Prinzip eines Chips mit einer biologischen Nanopore, mit deren Hilfe sich die Kettenlänge eines Polymermoleküls bestimmen lässt. © Dr. Gerhard Baaken

Cremes und Lotionen würden ohne Polyethylenglykol (PEG) auseinanderfallen, in Tabletten sorgt das kettenartig aufgebaute Makromolekül als Wirkstoffträger für eine gleichmäßige Abgabe von Medikamenten. Hunderte von Tonnen an unterschiedlichen Polymeren werden weltweit im Jahr hergestellt. Dabei ist es für viele Anwendungen wie etwa Pharmazeutika wichtig, die Produkte der Herstellungsprozesse in ihrer Kettenlänge und Massenverteilung genau zu kontrollieren. Verfahren auf Basis der Flüssig- oder Gaschromatografie waren bisher unabdingbar, um die Größe und Abfolge der einzelnen Kettenglieder in einem Polymer zu bestimmen. Aber die nötigen Geräte sind teuer und füllen meistens ganze Räume. „Für Moleküle, die von der Industrie besonders oft getestet werden müssen, wären Verfahren gut, die handlich, kostengünstig und genau sind“, sagt Prof. Dr. Jan Behrends vom Institut für Physiologie an der Universität Freiburg. Behrends hat zusammen mit dem Labor für Chemie und Physik von Grenzflächen von Prof. Dr. Jürgen Rühe am Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) Freiburg Biologie und Mikrosystemtechnik verschmolzen. Das Ergebnis ist ein Chip von der Größe einer Fingerkuppe, auf dem die Forscher biologische Poren als Messfühler für die Molekülgröße aufgebracht und mit einem System aus Mikroelektroden kombiniert haben.

Eine Fundgrube mit technischem Potenzial

Biologische Poren sind Kanalproteine, die normalerweise in jeder Zelle vorkommen und Ionen oder andere Moleküle über die Membran lotsen. Vor allem in Bakterien gibt es eine große Vielfalt dieser Bausteine, die unterschiedliche Porendurchmesser und andere molekulare Eigenschaften aufweisen. Eine Fundgrube für Forscher, die in der Lage sind, das Potenzial technisch umzusetzen. Der Chip, den Behrends und Rühes Mitarbeiter Dr. Gerhard Baaken entwickelt haben, ist ein Glasplättchen, auf dem sich auf einer Fläche von einem Quadratmillimeter sechzehn Vertiefungen befinden, sogenannte Töpfchen. Über jedes Töpfchen ist eine winzige künstliche Zellmembran gespannt, in der ein Molekül alpha-Hämolysin aus Staphylokokken-Bakterien sitzt. Das alpha-Hämolysin dient normalerweise dazu die roten Blutkörperchen von infizierten Organismen zu zerstören. Gerät ein Polymer in ein solches Kanalprotein, dann wird dieses für den Bruchteil einer Sekunde teilweise verstopft. Weil sich hierdurch die Leitfähigkeit der Membran für Ionen verändert, können die Forscher mit extra hierfür entwickelten Mikroelektroden die Veränderung des Stromflusses im System messen. „Unser Messverfahren ist so sensibel, dass wir vom Stromfluss auf die Anzahl der Kettenglieder eines Polymers rückschließen können, das gerade in der Pore feststeckt“, sagt Baaken.

Das Ergebnis jahrelanger Forschung: Dieser Chip kombiniert biologische und mikrosystematische Komponenten. Die biologischen Poren sind nanometerklein und damit fürs bloße Auge nicht sichtbar. © Dr. Gerhard Baaken

Das, was sich in der Theorie einfach anhört, ist in der Entwicklung allerdings keineswegs banal gewesen. „Vor allem die Arbeit an den technischen Aspekten war eine Kunst für sich“, sagt Behrends. Der Physiologe arbeitet schon seit mehr als zehn Jahren an der technischen Umsetzung einer Verschmelzung von Biologie und Technik und konnte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München etwa die Patch-Clamp-Technik auf einen planaren Chip übertragen. Es war es ein Glücksfall für Behrends nach seinem Wechsel nach Freiburg auf den IMTEK-Oberflächenchemiker Rühe zu treffen, der die Entwicklung durch seine Offenheit und sein fachliches Know-how maßgeblich gefördert hat. Vor allem aber sei die Etablierung der Technologie eine Leistung von Baaken gewesen, der eine beispielhafte Personifizierung der modernen interdisziplinären Forschung darstelle, so Behrends. Der Mikrosystemtechniker Baaken ist tatsächlich seit drei Jahren intellektuell, aber auch physisch, zwischen dem Mikrosystemtechnik-Labor am IMTEK von Rühe und dem Physiologie-Labor von Behrends unterwegs. Vor allem die Stabilität der Silberelektroden in der Chipmatrix war eine Herausforderung. „Damit eine Elektrode nicht mit der Zeit polarisiert und instabil wird, sind eine hohe Dichte des Materials und eine vergrößerte Oberfläche entscheidend“, sagt Baaken. „Die Kunst ist es gewesen, eine Oberfläche mit nanoskopisch kleinen Poren herzustellen, und das Verfahren auch noch reproduzierbar zu gestalten.“

„Bedside“-Diagnostik und vieles mehr

Noch werden die Messungen im Labor mit einem Prototyp durchgeführt, aber bald könnten die Nanoporen auf dem Mikrochip in Serie gehen und von der Industrie sogar in automatisierten Verfahren eingesetzt werden. © Dr. Gerhard Baaken
Heute haben die Forscher um Behrends, Rühe und Baaken im Reinraum-Labor am IMTEK einen seriellen Herstellungsprozess etabliert, der kostengünstig und schnell ist. Der Prototyp des Chips soll jetzt für eine industrielle Nutzung weiterentwickelt werden. Auch in der Biomedizin sehen die Forscher ein enormes Anwendungspotenzial. So könnte es irgendwann möglich sein, kleine RNAs im Serum von Patienten zu identifizieren, die Frühmarker für bestimmte Krebsarten oder andere Erkrankungen darstellen, und das auch mobil, gewissermassen „bedside“. Durch die Verwendung von Antikörpern gegen zum Beispiel Kokain und andere Drogen oder Medikamente wären handliche Doping- oder Drogentests möglich. Und Molekularbiologen sehen bereits den Heiligen Gral am Horizont: Nicht nur die markerfreie Analyse der Basenabfolge ganzer unbekannter DNA-Stränge, sondern auch die kontrollierte Neusynthese von maßgeschneiderten Poren für unterschiedlichste Anwendungen wie zum Beispiel die Proteinanalyse könnten möglich werden. Für Forscher, die gezielt in die biologischen Abläufe in Zellen eingreifen wollen, wäre das eine Revolution. Die Umsetzung dieser Visionen ist bisher freilich nur als heller Streif am Horizont zu erkennen.

Eines der konkreteren Ziele von Behrends und Baaken ist allerdings die Ausgründung einer Firma aus der Universität, die sich auf die Vermarktung, den Vertrieb und die Weiterentwicklung der Technologie konzentrieren soll. Ein weiteres Ziel ist es, die Technologie so weit zu optimieren, dass eine Automatisierung der Messverfahren möglich wird. Damit soll es der Industrie irgendwann möglich werden, Hochdurchsatzmessungen durchzuführen. „Das schöne an unserer Chip-Technologie ist, dass eine Erhöhung der Anzahl von Ableitpositionen auf kleinstem Raum jederzeit möglich ist“, sagt Baaken. „Denkbar sind bis zu Tausend Messpunkte pro Quadratzentimeter, und dahin wird die Reise wohl gehen.“
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