Biomasse aus Algen und vom Großmarkt – zukunftsträchtiger Ersatz für fossile Rohstoffe
Die Förderung erneuerbarer Energien ist ein wichtiges Ziel der EU. Biomasse wie Algen und organische Abfälle sind besonders vielversprechend, da sie nicht in Konkurrenz mit der Nahrungsmittelgewinnung stehen. Wissenschaftler am Fraunhofer IGB Stuttgart vergären Biomasse aus Algen und Großmarktabfällen, um in einem Kaskaden-Verfahren Wertstoffe sowie das Biogas Methan zu gewinnen. Ziel ist, Stoffkreisläufe zu schließen und eine ideale Effizienz sowie hohe Flexibilität für viele Ausgangsstoffe zu erreichen.
Biomasse aus Abfällen in der Lebensmittel- und Futtermittelindustrie sowie von Großmärkten fällt in großen Mengen im Rahmen der Konsumproduktion an. Die organischen Stoffe haben einen hohen Wasseranteil und einen geringen Gehalt an Lignocellulose und sind damit ideal zum Vergären. Mikroalgen produzieren bis zu 100 Tonnen Trockenmasse pro Hektar und Jahr (im Vergleich: 17 Tonnen bei Zuckerrohr, 3,5 Tonnen bei Weizen).
Dennoch wurde die nachhaltige Gewinnung von Bioenergie aus Abfall und Algenbiomasse bislang zu wenig ausgeschöpft. Hier setzt das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB Stuttgart an: Zusammen mit weiteren Firmen und Forschungseinrichtungen betrieb das Stuttgarter Institut eine Forschungsanlage, bei der Mikroalgen in Reaktoren zur Biogasgewinnung gedeihen. Dazu wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Verbundvorhaben „EtaMax – Mehr Biogas aus lignocellulosearmen Abfall- und Mikroalgenreststoffen durch kombinierte Bio-/Hydrothermalvergasung“ innerhalb des Programms „Bio-Energie 2021“ ins Leben gerufen. Im Rahmen des Anfang 2017 ausgelaufenen 5-Jahres-Projekts konnten die beteiligten Wissenschaftler wertvolle Erfahrungen sammeln und prospektive Ansätze liefern.
Kopplung der Abfall- und Algenbiomasse für eine effiziente Biogasgewinnung
Dr.-Ing. Ursula Schließmann, Abteilungsleiterin Umweltbiotechnologie und Bioverfahrenstechnik am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB.
© Fraunhofer IGB, Stuttgart
Koordiniert durch Dr.-Ing. Ursula Schließmann, Abteilungsleiterin der Umweltbiotechnologie und Bioverfahrenstechnik (UBT) am Fraunhofer IGB, sollten die organischen Stoffe, Algen und Großmarktabfälle unter maximaler Energiegewinnung vollständig zu Biogas umgesetzt werden. Dazu wurde u.a. das vom Fraunhofer IGB entwickelte Hochlastvergärungsverfahren eingesetzt. Im Fokus des Projekts standen die regionale Erzeugung und Nutzung des regenerativen Methans aus Biogas. „Wir haben hierzu das perfekte Umfeld“, erläutert Schließmann den optimalen Standort am Fraunhofer-Institut. Ein Großmarkt lieferte für das EtaMax-Projekt Obst- und Gemüseabfälle als Ausgangsstoffe. Das produzierte aufgereinigte Biogas als Kraftstoff für den Antrieb von CNG(Compressed Natural Gas)-Fahrzeugen wurde ebenfalls in der nahen Umgebung getestet.
„Die Abfälle ändern sich täglich in ihrer Zusammensetzung und erfordern eine hohe Flexibilität des Systems“, beschreibt die Verfahrenstechnikerin eine der großen Herausforderungen. „Wir waren nicht nur mit verschiedenen Obst- und Gemüsesorten mit unterschiedlichen Eigenschaften (wie Säuregehalt, saisonale Zusammensetzung) konfrontiert, sondern auch mit einer großen Bandbreite struktureller Grundsubstanzen“. So lagen faserige Bestandteile (beispielsweise aus Mango) neben Melonen- und anderen harten Kernen vor. „Im Projekt wurde vom Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung ein Zerkleinerungsapparat entwickelt, der all diese Bestandteile in einer Anlage optimal zerkleinert, sodass die Proteine, Kohlenhydrate und Fette ihre erste schonende Aufspaltung erfahren.“ Das Substrat wurde in verschiedenen Vorratsbehältern gelagert. In einem eigens entwickelten Managementsystem wurde unter Berücksichtigung verschiedener Parameter errechnet, in welchem Verhältnis die Abfälle aus den verschiedenen Behältern gemischt werden müssen. „Die Mikroorganismen, die wir zur Vergärung eingesetzt haben, benötigen gleichbleibende Bedingungen“, begründet die Expertin diesen wichtigen Entwicklungsschritt.
In einem zweistufigen Verfahren konnten Obst- und Gemüseabfälle in Reaktoren sehr effizient zu Biogas umgesetzt werden. Dazu wurde das am Fraunhofer IGB entwickelte Hochlastvergärungsverfahren, das seit 1994 für Klärschlamm und Gülle technisch realisiert wurde, weiterentwickelt. Schließmann und ihr Team konnten Abbaugrade von bis zu 95 % erzielen. Die Biogasausbeute lag zwischen 840 und 920 Liter Biogas pro kg zugeführter organischer Trockensubstanz, der Methangehalt bei 55 bis 60 %. Schließmann hebt das Potenzial dieser Methode hervor: „Die Anlage mit einer hydraulischen Verweilzeit von nur 17 Tagen je Stufe kann auch mit wechselnden Obst- und Gemüseabfällen dauerhaft stabil betrieben werden. Und das mit einem hohem Abbaugrad und hoher Biogasausbeute“.
Dr. Ulrike Schmid-Staiger, Gruppenleiterin Technische Mikrobiologie am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB.
© Fraunhofer IGB, Stuttgart
Für die effiziente Biogasgewinnung wurden beide Kohlenstoffquellen, organische Abfälle und Algenmasse, gekoppelt. Für die stoffliche und energetische Nutzung von Algeninhaltsstoffen entwickelte das Team um Schließmann einen zweistufigen vollautomatisierten Prozess in Reaktoren im Freiland und übertrug ihn in den Pilotmaßstab. „Wir mussten einen Algenstamm finden, der mit wechselnden Lichtverhältnissen klarkommt. Es darf nicht zu wenig Licht einfallen, aber auch nicht zu viel, da die Algen sonst ausbleichen und absterben“, erklärt Dr. Ulrike Schmid-Staiger, Gruppenleiterin Technische Mikrobiologie am Fraunhofer IGB.
„Unser Flachplatten-Airlift-Reaktor sorgt für eine gezielte Durchmischung. Das Licht wird gleichmäßig auf alle Zellen verteilt und die Wachstumsrate und Zellkonzentration der Algen gesteigert“. Je nach Kultivierungsbedingungen produzieren die Algen Proteine, Fette oder Kohlenhydrate, die in einer Kaskadenmatrix spezifisch extrahiert werden können. So kann eine große Bandbreite an chemischen Stoffen wie Vitamine, Omega-3-Fettsäuren oder Carotinoide für die Pharma-, Nahrungsmittel- und chemische Industrie gewonnen werden. Bekommen die Algen neben Sonnenlicht genügend Nährmedium und Kohlenstoffdioxid, produzieren sie in ihren Zellen Öl, das Dieselmotoren antreiben kann.
Dazu wurden die anfallenden Flüssiggärreste aus den Biogasreaktoren in den Stoffkreislauf zur Anzucht der Mikroalgen zurückgeführt. Es konnte eine Algen-Mischkultur etabliert werden, die speziell auf diesen Flüssiggärrest angepasst war. Schließmann stellt die Vorteile heraus: „Die Stickstoff- und Phosphatanteile, die bei Vergärungsprozessen entstehen, werden sofort wieder eliminiert und die Stoffkreisläufe geschlossen. Außerdem können wir so die Produktionskosten für Algenbiomasse senken.“ Das Kohlenstoffdioxid, das die Algen zum Wachsen brauchen, erhielten die Forscher ebenfalls aus dem Biogasreaktor: Denn das entstehende Biogas setzt sich zu etwa zwei Dritteln aus dem gewünschten Methan und zu etwa 30 Prozent aus Kohlenstoffdioxid zusammen. Der große Vorteil des Verfahrens liegt klar auf der Hand: Es wird alles verwertet.
Vollständige Verwertung des entstandenen Biogases Methan
Das entstandene Bio-Methan kann als alternative Kohlenstoff-Quelle für die Herstellung von industriellen und pharmazeutischen Wertprodukten genutzt werden. Außerdem kann das Gas direkt in das Erdgasnetz eingespeist werden, der Wärmeversorgung dienen oder auch als Treibstoff für Fahrzeuge eingesetzt werden. Dazu wurde im Projekt eine Membrananlage erprobt, die eine Reinigung des Bio-Methans erlaubte. Kohlenstoffdioxid und andere in niedrigen Konzentrationen vorhandene Gasbestandteile, wie beispielsweise Schwefelwasserstoff, wurden dabei abgetrennt. Durch diese Technik konnten Chargen mit verschiedenen Methankonzentrationen für Performancetests hergestellt werden. Mit diesen Treibstoffqualitäten wurden CNG-Testfahrzeuge betankt. Interessant sind diese Untersuchungen vor allem aus internationaler Sicht, da global nicht überall die gleichen Gasqualitäten zur Betankung zur Verfügung stehen.
Die weitere Prozessentwicklung stellt für die Wissenschaftler eine Herausforderung dar. In Kombination mit Sauerstoff kann Methan entzündliche Gasgemische bilden. Auch ist die Substratlimitierung, bedingt durch die schlechte Wasserlöslichkeit des Methans, ein Dreh- und Angelpunkt. Mithilfe einer blasenfreien Begasung unter angepassten Druck- und Temperatureinstellungen sowie spezieller Membranen können die stoffliche Verwertung des Methans optimiert und der ökonomische Nutzen berechnet werden.
Die Nutzung von Methan als alternative Substratquelle zur Erzeugung industrieller und pharmazeutischer Wertprodukte erfordert deutlich größere Prozessanforderungen als herkömmliche, zum Beispiel auf Glucose basierende Fermentationsverfahren. Bei Methan und Sauerstoff handelt es sich um Gase, die schlecht wasserlöslich sind. Damit keine Substratlimitierung im Fermentationsverfahren eintritt, wurde ein Membranreaktor entwickelt, welcher eine ausreichende Substratversorgung gewährleistet. Um die Bauform des Reaktors zu optimieren, wurde die Strömung des Reaktors simuliert.
Auch die Weiterbehandlung des Gärrests und der gewonnenen Nährstoffe bietet noch Optimierungsmöglichkeiten. Im Gegensatz zu einer reinen Algenkultivierung fallen bei der Vergärung von Abfällen größere Mengen an, die weitgehend schwer abbaubare, lignocellulosische Bestandteile enthalten.
Weitere Perspektiven für die stoffliche und energetische Nutzung von Biomasse
Die Forscher am Fraunhofer IGB konnten aus dem Projekt viele Erkenntnisse gewinnen – vom individuellen Prozessverfahren bis hin zum maschinellen Lernen im Bereich der Anlagenentwicklung und -steuerung. „Eine automatisierte Prozessführung bedeutet einen großen Schritt in die Stabilität und damit zur Übertragung eines Systems in die Industrie“, beschreibt Schmid-Staiger die mögliche zukünftige Ausrichtung. Allerdings muss für jedes Ausgangssubstrat ein spezifischer Prozess etabliert werden. Beim Projekt EtaMax war die Vergärung auf die Großmarktabfälle Stuttgart ausgerichtet. Die Vergärung weiterer Ausgangsmaterialien z. B. aus industriellen Abfällen oder Landwirtschaft, die im größeren Maßstab anfallen, könnte auch für das Landwirtschafts- und das Umweltministerium interessant sein. Auch hier muss eine substratspezifische Prozessoptimierung stattfinden.
Derzeit arbeitet das Fraunhofer IGB an technischen Prozessen für eine sinnvolle Verwertung der bei Gärprozessen anfallenden Gärreste. Schließmann betont: “Ein Projekt ist nicht in Stein gemeißelt. Es gilt immer neu zu konzipieren, abhängig vom eingesetzten Substrat und Ziel. Wir haben bereits einen sehr großen Erfahrungsschatz, den wir gerne in weitere, flexibel ausgerichtete Projekte einbringen.“ So können Projekte spezifisch ausgestaltet und zukunftsorientiert auch vom Pilotmaßstab in den Industriemaßstab übertragen werden – als nachhaltige, ressourcenschonende und umweltverträgliche Verfahren für die stoffliche und energetische Nutzung von Biomasse.