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Biomasse hat viel Potenzial – wenn sie richtig genutzt wird

Die Biotechnologie erweitert ihr Einsatzfeld. Bisher war sie vorwiegend darauf ausgerichtet, Enzyme, Basis-Chemikalien, Pharmawirkstoffe und andere biobasierte Moleküle herzustellen. Nun soll sie ihre Möglichkeiten auch ganz am Anfang von Wertschöpfungsketten einbringen, indem sie den Zugang zu nachwachsenden Rohstoffen verbessert. Abgesehen von Nahrung und Futter zeichnen sich zwei weitere Konzepte ab, mit denen Biomasse verwertet werden kann: die stoffliche Nutzung und die energetische Nutzung. Das Problem: Sie stehen in Konkurrenz zueinander.

Wenn bisher im Zusammenhang mit biotechnologischen Prozessen von Rohstoffen die Rede war, dann ging es stets um Nährstoffe für die Zellen, Pilze oder Bakterien, die sich im Bioreaktor fleißig teilten und die biochemischen Reaktionen umsetzten. Die zellulären Helfer wollen schließlich gut gefüttert sein. Nun bekommt der Begriff „Rohstoff“ für Biotechnologen eine neue Qualität. Die Biotechnologie soll nämlich verstärkt dazu beitragen, dass die Menschheit ihre vielleicht größte Ressource industriell besser nutzen kann: Biomasse.

Faktor C – die Brücke zur fossilen Wertstoffwelt

Holz ist die derzeit wichtigste Biomasse. Holz kann energetisch oder stofflich genutzt werden. © vispix.com

Jahr für Jahr bilden Wasser- und Landpflanzen über Photosynthese etwa 120 bis 150 Milliarden Tonnen Trockenbiomasse. Die biochemische Basis dieser Unmenge an Material sind lange Ketten oder verzweigte Moleküle aus dem Element Kohlenstoff, in der Chemie abgekürzt mit C. Ergänzt mit Wasserstoff, Sauerstoff oder Stickstoff bauen Pflanzen und einzellige Organismen daraus Kohlenwasserstoffe wie Alkohole, Carbonsäuren, Fette und Öle auf. Des Weiteren bilden Pflanzen auch komplexe Strukturmoleküle wie Zellulose oder Lignin sowie Speicherstoffe wie Stärke. Diese kohlenstoffreichen Moleküle sind das Bindeglied, über das Biomasse mit fossilen Kraft-, Brenn- und vielen Kunststoffen verknüpft ist. Auch sie bestehen in erster Linie aus mehr oder weniger langen Kohlenwasserstoffen. 

Viele der von Pflanzen produzierten Verbindungen können technisch genutzt werden: Öle, Fasern, Proteine, Pigmente zum Beispiel dienen als chemische Grundstoffe, Baumaterialien, Dämmstoffe, Bindemittel, Farbstoffe, Additive und vieles mehr. Diese sogenannte stoffliche Nutzung deckt also eine bemerkenswerte Palette von Einsatzmöglichkeiten ab. Biomasse ist aber auch ein Energieträger. Als Holz dient sie seit Jahrtausenden als Brennstoff. Sie ist aber auch begehrtes Ausgangsmaterial für industrielle Syntheseprozesse, aus denen Flüssigbrennstoffe gewonnen werden.

Biomasse – mehr als Holz und Stroh

Die BIOPRO Baden-Württemberg fasst den Begriff „nachwachsender Rohstoff“ bewusst weit. Biomasse ist nicht nur Holz, Stroh, Gras und Biomüll. Sie kann nicht nur über den klassischen land- und forstwirtschaftlich geprägten Weg gewonnen werden, sondern auch über biotechnologische Prozesse. Aktuell werden in Bioreaktoren zwar insbesondere Pharmawirkstoffe, Basis-Chemikalien und Enzyme synthetisiert. Zukünftig könnten spezielle Bioreaktoren aber auch dazu genutzt werden, ausschließlich Biomasse zu erzeugen, ohne bestimmte Bio-Moleküle im Visier zu haben.

Besonders bedeutend sind dabei Organismen, die Kohlendioxid fixieren. Mit ihnen können nachhaltige Stoffkreisläufe etabliert werden, in denen die Natur Makromoleküle aufbaut, die der Mensch wiederum stofflich oder energetisch verwertet. Zu wichtigen Biomasseproduzenten der Zukunft könnten sich Algen entwickeln. Auch sie betreiben Photosynthese, nehmen Kohlendioxid auf und synthetisieren komplexe Verbindungen. Ihre Massenkultivierung stellt jedoch besondere Anforderungen, die aktuell verfügbare Produktionsanlagen nur bedingt erfüllen. Die Algenbiotechnologie als noch junger Zweig der Biotechbranche arbeitet jedoch an Lösungen.

Konkurrenz schwächt das Geschäft

Biomasse mit Konfliktpotenzial: Mais ist Grundnahrungsmittel, aber auch Stärkelieferant für Bioenergie. © i-bio Information Biowissenschaften

Biomasse ist nicht nur Energieträger oder Wertstoff, sondern in vielen Fällen auch Nahrungsmittel oder Tierfutter. Auf den ersten Blick erscheint diese Nutzungsvielfalt verlockend – Biomasse als eine Art Allzweckmittel, das sich, ganz nach Bedarf, in verschiedene Nutzungskanäle leiten lässt.  

Auf den zweiten Blick schwinden jedoch die Chancen, die in dieser Nutzungsvielfalt liegen. Es dominiert nämlich der Wettbewerb zwischen den Anwendungsbereichen, nicht die Kooperation. Bereits scharf geführt wird die Diskussion über die Konkurrenz zwischen „Tank und Teller“. Biomasse als Nahrungsmittel einerseits und als Grundstoff für Biosprit andererseits – wenn in Mexiko der Preis für das Grundnahrungsmittel Mais steigt, weil in den USA die Biospritindustrie nach Rohstoffen vom Acker lechzt, steigt die Tragweite der Biomassenutzung in unerwarteter Weise.

Energie genießt zurzeit den Vorzug

Auch die stoffliche und die energetische Nutzung führen kein harmonisches Miteinander. Nach einer aktuellen Studie des nova-Instituts Köln („Neubewertung der stofflichen Nuzung nachwachsender Rohstoffe“, Juni 2010; siehe Link oben rechts) setzt die Industrie in Deutschland im Jahr 2007 etwa 90,6 Millionen Tonnen nachwachsende Rohstoffe (ausgenommen Stroh) um. Die Verteilung auf die Sektoren „Energie“ und „Rohstoff“ war fast gleich: 53 Prozent wanderten in die Energiegewinnung, 47 Prozent in die Nutzung als Wert- und Basisstoff.

Der Schein trügt, denn so ausgeglichen, wie die Zahlen es Glauben machen, verhalten sich die Nutzungsanteile nur bedingt. Der hohe Anteil der stofflichen Nutzung hängt stark am Rohstoff Holz. Als weit verbreiteter Baustoff fällt Holz auf der Seite der stofflichen Nutzung stark ins Gewicht und schönt die Nutzungsbilanz offensichtlich. Betrachtet man die Nutzung nachwachsender Rohstoffe allein für den Agrarsektor, indem man die Forstwirtschaft außen vor lässt, sinkt der Anteil der stofflichen Nutzung auf magere 26 Prozent. Die Agrarwirtschaft setzt überwiegend auf die energetische Nutzung von Pflanzen – genau so, wie es die Politik mit ihren Förderinstrumenten gewollt hat.

Ein weiterer Effekt der bioenergiefreundlichen Subventionspolitik in Deutschland und der EU: Die landwirtschaftliche Fläche, die für den Anbau von Energiepflanzen genutzt wird, hat sich seit dem Jahr 2000 etwa verzehnfacht auf 1,8 Millionen Hektar. Die Flächen für stoffliche Nutzung stagnieren bei etwa 300.000 Hektar – nicht zuletzt, weil finanzielle Anreize für die stoffliche Nutzung fehlen. Nach Analysen des nova-Instituts können in Deutschland zwei bis drei Millionen Hektar Agrarflächen für den Anbau nachwachsender Rohstoffe genutzt werden, ohne den Anbau von Futter- und Nahrungsmitteln zu gefährden. Flächenüberschuss herrscht jedoch nicht, vielmehr bahnt sich in Deutschland ein Engpass an. Das Institut prognostiziert, dass unter günstigen Bedingungen (angemessene Förderung, steigender Ölpreis) auch der Flächenbedarf für die stoffliche Nutzung auf bis zu 1,8 Millionen Hektar im Jahr 2020 wachsen könnte. Es gilt also, die bestehenden Flächen effizient zu nutzen, und das bedeutet, die stoffliche Nutzung künftig besser zu fördern.

Wirft man einen Blick in die Biomasseaktionspläne von Bund und Ländern, in denen die politischen Konzepte der Biomassenutzung beschrieben sind, erkennt man, dass seitens der Politik die energetische Nutzung favorisiert wird. Andererseits sehen Experten in der stofflichen Nutzung das weitaus höhere Potenzial für die Wertschöpfung. Eine bis zu neunfache Wertschöpfungskraft schreiben die Nova-Analysten der stofflichen Nutzung im Vergleich zur energetischen zu.

Durchdachte Kaskaden

Einen simplen Ausweg aus dem Vierer-Dilemma Energie, Wertstoff, Futter, Nahrung gibt es nicht. Die Einsatzfelder konkurrieren um weltweit zirka 1,5 Milliarden Hektar Ackerfläche und etwa vier Milliarden Hektar Waldfläche. Entscheidend wird eines Tages sein, wofür wir diese Flächen nutzen. Gefordert ist ein bewusster Umgang mit Anbauflächen im Sinne einer streng limitierten Ressource, und mit Biomasse im Sinne eines Wertstoffs. Mittelfristig müssen alle Biomassenutzer effiziente, aufeinander abgestimmte Nutzungskonzepte ausarbeiten, intelligente technologische Ansätze schaffen und sich stärker vernetzen. Die größte Effizienz liegt in Nutzungskaskaden, in denen die stoffliche Nutzung der energetischen vorgeschaltet ist.

Moderne Verfahren erweitern Biomassenutzung

Moderne stoffliche Nutzung von Biomasse: Motorlüfter mit Zarge, gefertigt aus biobasiertem Polyamid Nylon-5,10. © BIOPRO/Bächtle

Kraftstoffe der ersten Generation, die entweder auf Pflanzenölen oder zuckerhaltigen Speicherstoffen wie Stärke basieren, entsprechen nur noch bedingt den Anforderungen, weil sie mit Nahrungs- und Futtermitteln um die gleichen biogenen Grundstoffe buhlen. Sie müssen als eine Übergangslösung betrachtet werden. Vielmehr gilt es, Technologien wie das Bioliq-Verfahren zu fördern, das Forscher am Karlsruhe Institut für Technologie entwickelt haben. Mit dem Verfahren kann nahezu jede Form von Biomasse aufgeschlossen und in Bio-Sprit überführt werden. Grundlage ist die sogenannte Fischer-Tropsch-Synthese, ein Verfahren, das bereits 1925 zum Patent angemeldet wurde. Neu ist hingegen die Methode, mit der die Forscher die teils hartnäckige Biomasse aufbrechen und nutzbar machen. Das Verfahren eignet sich auch für Biomaterialien, die bereits stofflich genutzt wurden. Entscheidend sind letztlich die langkettigen Kohlenstoffverbindungen. Sie bleiben bei der stofflichen Nutzung erhalten. 

Auch für eine zeitgemäße stoffliche Nutzung von Biomasse gibt es ein Beispiel aus Baden-Württemberg. TECNARO aus Ilsfeld-Auenstein hat ein Verfahren entwickelt, mit dem das Unternehmen aus dem Holzstoff Lignin und Naturfasern einen kunststoffartigen Werkstoff herstellt – ARBOFORM. Der biobasierte Thermoplast kann im Spritzguss verarbeitet werden, ist biologisch abbaubar und hat bereits mehrere Branchen überzeugt. ARBOFORM wird mittlerweile unter anderem in Fahrzeugteilen, Instrumenten und Schuhen eingesetzt. Inzwischen hat TECNARO zwei weitere Materialien (ARBOFILL und ARBOBLEND) am Markt, die ebenfalls auf nachwachsenden Rohstoffen basieren.

Probleme im Netzwerk lösen

Geht es darum, Biomasse effizient zu erzeugen und zu nutzen, kommt der Biotechnologie eine entscheidende Rolle zu. Sie hat den Zugang zu biologischen Produzenten wie Mikroorganismen, Pflanzen oder Algen, kennt die stoffwechselbasierten Produktions- und Abbauwege von Biomolekülen und kann industrielle Prozesse zur Erzeugung und Nutzung von Biomasse entwickeln und umsetzen. Sie bietet das gesamte fachspezifische Basis- und Spezialwissen, das wichtig ist, um Biomasse aufzubauen und den Zugang zu ihr zu erleichtern.

Im Hinblick auf effiziente Nutzungsstrategien, die die Konkurrenz zwischen den aktuellen Biomasse-Nutzungskonzepten mildern, werden Biotechnologie, Chemie, Materialwissenschaften, Energietechnik, Verfahrenstechnik und viele weitere Wissenschafts- und Technologiebereiche eng zusammenarbeiten müssen.

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