Experteninterview
Bioökonomie-Forschung liefert praxisrelevante Ergebnisse
Seit 2014 fördert das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg das Forschungsprogramm Bioökonomie Baden-Württemberg. Professor Dr. Thomas Hirth, langjähriger Leiter des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart und seit 1. Januar 2016 Vizepräsident für Innovation und Internationales am Karlsruher Institut für Technologie, hat die Ausgestaltung als Vorsitzender des Strategiekreises und des Lenkungskreises des Forschungsprogramms maßgeblich mitgestaltet. Im Gespräch mit Dr. Ursula Göttert von der BIOPRO Baden-Württemberg erklärt er, wie sich die Bioökonomie in Baden-Württemberg entwickelt hat.
Wie beurteilen Sie die bisherigen Ergebnisse der rund 60 Teilprojekte der Forschungsstrategie Baden-Württemberg?
Professor Dr. Thomas Hirth, Vizepräsident für Innovation und Internationales am Karlsruher Institut für Technologie
© Karlsruher Institut für Technologie
Vielleicht fasse ich dazu zunächst kurz noch einmal die Entstehung und Struktur des Programms zusammen: Auf der Basis des Abschlussberichts des Strategiekreises und der dort vorgeschlagenen Forschungsschwerpunkte hat das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg 2013 eine Ausschreibung veröffentlicht. Aus den eingegangenen Anträgen wurden insgesamt 54 Teilprojekte von Fachgutachtern ausgewählt und vom MWK gefördert. Die geförderten Projekte sind jeweils einem der folgenden vier Schwerpunkte zugeordnet: Entwicklung nachhaltiger Wertschöpfungsketten zur Produktion von Biogas, stoffliche Nutzung von Lignocellulose, Nutzung von Mikroalgen für die Ernährung und Modellierung von Bioökonomiesystemen. In jedem der diesen vier Themenfeldern zugeordneten Teilprojekt haben Experten aus verschiedensten Fachrichtungen interdisziplinär zusammengearbeitet, um Wertschöpfungsnetze von der Biomasseproduktion und -verarbeitung bis zur Produktherstellung abzubilden und gleichzeitig die ökonomischen und ökologischen Auswirkungen der Produkte und Prozesse zu beurteilen.
Nach drei Jahren Laufzeit können wir nun sagen, dass die Zusammenarbeit zu exzellenten Forschungsergebnissen geführt und das Programm eine Vielzahl an Publikationen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften hervorgebracht hat. Die Projekte haben darüber hinaus auch zu praxisrelevanten Ergebnissen geführt, die nun als Basis für Industriekooperationen oder auch Ausgründungen dienen.
Ein mir persönlich ganz wichtiges Anliegen, nämlich die Stärkung der Vernetzung zwischen den verschiedenen Disziplinen und Institutionen im Bereich der Bioökonomie-Forschung sowie die Erhöhung der überregionalen Sichtbarkeit der baden-württembergischen Bioökonomie-Forschung, wurden ebenfalls erreicht.
Wie geht es nach Ende 2018 mit der Forschungsstrategie in Baden-Württemberg weiter?
Die Projekte der ersten Förderrunde wurden über eine zwei- bis dreijährige Laufzeit gefördert, die je nach Projektbeginn der einzelnen Teilprojekte bereits beendet ist oder im Jahr 2018 endet.
Aktuell gibt es eine Ausschreibung des MWK für eine zweite Förderrunde, in der in zwei Förderlinien weitere Forschungsprojekte ausgewählt werden. In der ersten Förderlinie sollen Verbundprojekte mit einer konkreten Transferperspektive gefördert werden, um auch die Ergebnisse aus der ersten Phase des Forschungsprogramms in die Umsetzung zu bringen, was mir persönlich sehr wichtig ist. In der zweiten Förderlinie werden zusätzlich neue innovative Ansätze in der Bioökonomie gefördert.
Die Entwicklung und Umsetzung einer Bioökonomiestrategie ist aus meiner Sicht eine langfristige Aufgabe, bei der die Wissenschaft als Innovationstreiber eine wichtige Rolle spielt. Das MWK hat hier durch die Förderung des Forschungsprogramms wichtige Akzente gesetzt. Wir sind deshalb sehr dankbar, dass diese Förderung nun bis 2020 ausgedehnt wird. Durch die starke Vernetzung im Rahmen des Forschungsprogramms werben nun die baden-württembergischen Universitäten und Forschungseinrichtungen auch stärker gemeinsam nationale und europäische Fördermittel für Bioökonomie-Projekte ein. Darüber hinaus werden auch stärker gemeinsam vorhandene Strukturen für den Technologietransfer und für Gründungen genutzt. So wird die Bioökonomie-Forschung nachhaltig etabliert.
Inwieweit hat die Forschungsstrategie bislang die Wettbewerbsfähigkeit Baden-Württembergs gestärkt?
Wir sehen, dass es vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gelungen ist, mit den ausgewählten Forschungsthemen auch Fördermittel aus anderen nationalen und internationalen Programmen einzuwerben. Dies zeigt uns, dass die Themen gut gewählt waren.
Beispielsweise werden in der zukünftigen europäischen Forschungsstrategie Food 2030 die Themen Ernährungssicherheit und Ressourceneffizienz im Zusammenhang mit einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion eine große Bedeutung haben. Hier sind die baden-württembergischen Forschungseinrichtungen mit ihrer Expertise und ihren Erfahrungen aus dem Forschungsprogramm sehr gut vorbereitet.
Durch die gemeinsame Ausarbeitung einer Forschungsstrategie mit entsprechender Profilbildung haben sich die baden-württembergischen Universitäten gemeinsam positioniert und es ist ihnen gelungen, eine Vielzahl an relevanten Themen und Expertisen zu bündeln. Schon dies ist ein großer Mehrwert für das Land. Denn im Rahmen eines erweiterten Transferbegriffs sehen wir uns auch als Ansprechpartner für alle Stakeholder aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu Fragen der Bioökonomie.
Und auf nationaler und internationaler Ebene wird Baden-Württemberg durch die gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit und die Ausrichtung von wissenschaftlichen Veranstaltungen wie die Bioökonomie-Kongresse in Stuttgart nun immer mehr als starker Bioökonomie-Standort wahrgenommen.
Wie sehen Sie die Entwicklung der Bioökonomie in Deutschland seit Ihrer Zeit als Vorsitzender des ersten Bioökonomierats, der die Bundesregierung bei der Umsetzung einer Bioökonomiestrategie berät?
Mit der Forschungsstrategie „BioÖkonomie 2030“ hat Deutschland 2010 den Weg hin zu einer wissensbasierten, international wettbewerbsfähigen Bioökonomie eingeschlagen und 2012 durch eine Politikstrategie Bioökonomie ergänzt. Wirtschaft, Wissenschaft und Politik haben seither vielfältige Anstrengungen unternommen, Deutschland zu einem führenden Standort der Bioökonomie zu entwickeln. Aufgrund veränderter Rahmenbedingungen, wie beispielsweise gesunkener Rohölpreise und der Entdeckung neuer Schiefergasquellen in den vergangenen Jahren, hat sich das Potenzial der Bioökonomie nicht voll entfalten können und Produkte der Bioökonomie haben sich nur in Nischenbereichen durchgesetzt.
Seit 2010 hat sich Deutschland aber insgesamt zu einem führenden FuE-Standort für Bioökonomie entwickelt. Davon könnte ein zukünftiger Wirtschaftsbereich Bioökonomie, der alle wirtschaftlichen Sektoren umfasst, die biologische Ressourcen produzieren, verarbeiten oder in anderer Form nachhaltig nutzen, profitieren. Dies schließt zahlreiche für den Standort Deutschland relevante Branchen wie Holz- und Forstwirtschaft, Holzbau, Papier- und Zellstoffindustrie, chemische Industrie, Kunststoff- und kunststoffverarbeitende Industrie, Energiewirtschaft sowie Maschinen- und Anlagenbau ein.
Welche Maßnahmen sind Ihrer Meinung nach am besten geeignet, um auch in der breiten Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Bioökonomie zu schaffen?
Die baden-württembergischen Universitäten binden das Thema Bioökonomie in zunehmendem Maße in die Ausbildung ein, einerseits durch spezielle Studiengänge wie den Bioeconomy Master-Studiengang in Hohenheim, andererseits aber auch durch Wahlmodule im Rahmen von ingenieur- und naturwissenschaftlichen Studiengängen an anderen Universitäten. Darüber hinaus hat das Forschungsprogramm mit der Etablierung des Graduiertenprogramms BBW ForWerts ein weiteres wichtiges Element geschaffen, um Fachkräfte für die Bioökonomie auszubilden.
Parallel gilt es in der breiten Öffentlichkeit ein Bewusstsein zu schaffen, um nachhaltige Konsummuster zu befördern. Dazu gehören Informationen über den schonenden Umgang mit Ressourcen und die Umweltwirkungen von Produktionsprozessen sowie die Maßnahmen zum Klimaschutz und zum Schutz der Ökosysteme. Die Bioökonomie kann bei der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele der Bundesregierung, aber auch der Vereinten Nationen, eine wichtige Rolle spielen, wenn sie entsprechend aufgestellt wird.
Die aus dem Forschungsprogramm Bioökonomie Baden-Württemberg entstandenen Publikationen und weitere Informationen zu Struktur und Veranstaltungen finden Sie unter: www.bioeconomy-research-bw.de