Bloßes Erklären reicht nicht - Einordnung und Kritik muss sein
Was ist der Unterschied zwischen Wissen und Wissenschaft? Warum entstand überhaupt die Biotech-Blase? Lesen Sie mehr im Gespräch mit dem freien Wissenschaftsjournalisten Sascha Karberg.
Der 38-jährige Diplom-Biologe Sascha Karberg berichtet seit 2001 als Wissenschaftsjournalist über Klonpioniere oder die RNA-Technologie. Er brach seine Doktorarbeit über die Genetik der Drosophila ab, als sich die Gelegenheit bot, an der FU Berlin Wissenschaftsjournalismus zu studieren. Seine Artikel erscheinen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, der Financial Times Deutschland oder in Wirtschaftsmagazinen wie brandeins. Ab August bildet sich der Freiberufler fort, tritt für ein Jahr ein Knight Science Journalism Fellowship in Cambridge am MIT (https://www.biooekonomie-bw.deweb.mit.edu/knight-science/) und der Harvard- Universität an. Nach dem Studium will er zurückkehren und seine Tätigkeit als Wissenschaftsjournalist wieder aufnehmen.
Seit einiger Zeit ist Wissenschaft in den Medien salonfähig. Profitiert ein Freelancer wie Sie von diesem Boom?
Wissenschaftsjournalist Sascha Karberg (Foto: privat)
Das große und wachsende Interesse an Stammzellen und Gentechnik in Deutschland hat sich durchaus in steten Aufträgen bemerkbar gemacht, weil ich offenbar Informationen dazu liefern und verständlich umsetzen kann. Es ist wohl so, dass es einen wachsenden Bedarf an wissenschaftsjournalistischen Produkten gibt, aber es ist noch offen, ob er anhält. Die Frage ist allerdings, ob die Redaktionen kritischen Wissenschaftsjournalismus oder eher Wissensjournalismus nach dem Erklär-Muster der „Sendung mit der Maus“ für Erwachsene wollen. Magazinen wie SZ-Wissen (Beilage der Süddeutschen Zeitung, d. Red.) oder ZEIT-Wissen (Sonderpublikation des ZEIT-Verlages, d. Red.) geht es nicht in erster Linie um eine objektive Darstellung dessen, was Wissenschaft herausgefunden hat, sondern eher um Service für den Leser. Kritischer Wissenschaftsjournalismus hingegen fasst Wissenschaft als Teil der Gesellschaft und Kultur auf, geht kritisch und nicht nur erklärend mit deren Ergebnissen um und untersucht, wie diese auf die Gesellschaft wirken.
Die Wissenschaft hierzulande und andernorts wirbt vermehrt um Aufmerksamkeit. Was kommt bei Ihnen an?
Gesellschaften wie Helmholtz, Leibniz und Max-Planck-Gesellschaft haben inzwischen gelernt, dass man seine Ergebnisse professionell verwerten muss. Das nehmen Wissenschaftsjournalisten gerne in Anspruch und sind auch froh darüber, dass Professoren, die noch vor meinetwegen 15, 20 Jahren mit Medienleuten ungern gesprochen haben, begriffen haben, dass sie der Gesellschaft gegenüber rechenschaftspflichtig sind, insbesondere wenn öffentliche Gelder verwendet werden. Das begrüße ich absolut. Und es ist auch legitim, dass diese Institutionen ihre Arbeit in einem positiven Licht darstellen wollen. Wissenschaftsjournalisten müssen diese Wissenschafts-PR dann natürlich kritisch hinterfragen. Ich hoffe allerdings, dass die Wissenschaftsinstitutionen bei aller Eigenwerbung selbstkritisch bleiben und sich einer möglichst objektiven, wissenschaftlichen Wahrheit verpflichtet fühlen – eben anders als ein Pharma-Unternehmen, von dem ich nichts anderes als eine positive Pressemitteilung erwarte.
Was institutionalisierte Wissenschaft kommuniziert, deckt sich nicht immer mit den Interessen der Medien. Wie ist Ihr Selbstverständnis als Wissenschaftsjournalist?
Der Wissenschaftsjournalist ist nur dem Leser verpflichtet. Er muss ihm die Themen präsentieren, die ihn vornehmlich interessieren, aber er darf ihn auch für solche interessieren, von denen er denkt, dass sie wichtig sind oder werden könnten.
Manchmal kann ich aber auch die Wissenschaft verstehen, die von uns einfordert, die aus Sicht der Wissenschaft wichtigen Themen angemessen zu berücksichtigen. Stammzellen sind hier ein gutes Beispiel für die Verzerrung zwischen medialer Repräsentanz und wissenschaftlicher Relevanz. An Stammzellen forschen in Deutschland bestenfalls ein, zwei Dutzend Forschergruppen, während an anderen Themen hunderte Forschergruppen arbeiten, die in den Medien aber keine Rolle spielen. Letztlich ist das Thema Stammzellen in der Debatte, weil es eine ethische und politische Komponente hat, die anderen wissenschaftlich durchaus spannenden Themen fehlt. Diese Kriterien - was hat Nachrichtenwert, was ist relevant - können Journalisten wahrscheinlich besser einschätzen als Wissenschaftler.
Sie stehen als Alleinunternehmer zwischen den Fronten, zwischen Forschung und Wissenschaft und Ihren Kunden, den Medienunternehmen. Was wollen diese, was garantiert nicht?
Garantiert nicht wollen Redaktionen Geschichten, die für die Forschung vielleicht hochinteressant sein mögen, aber irrelevant für die Leser sind. Allerdings ist es für Redaktionen oft nicht einfach zu erkennen, welches neue Forschungsergebnis für den Leser relevant ist oder werden wird. Gutes Beispiel: Ich habe jahrelang vergeblich versucht, RNA-Interferenz als Thema in die Medien zu bringen. Das gelang erst, als es einen Durchbruch auf der Ebene der Säugetierzellen gegeben hat. Da gab’s erste Möglichkeiten darüber zu schreiben, weil Redakteure deren Relevanz für den Menschen erkannten. Nach dem Nobelpreis (an Andrew Fire und Craig Mello 2006, d. Red.) konnten auch die letzten Redakteure an dem Thema nicht mehr vorbei, das vorher zu komplex, zu schwierig zu erklären, oder zu wenig relevant erschien.
Sie schreiben auch für Wirtschaftsmagazine wie „brandeins“. Ist der Wissenschaftsjournalismus, den Experten ja als Spätzünder bezeichnen, inzwischen in den anderen Ressorts angekommen?
Pharma-Entwicklungslabor. (Foto: Boehringer Ingelheim)
Absolut. Wissenschaftsjournalismus ist in allen möglichen Bereichen präsent. Man findet oft Wissenschafts-Texte auf den „Vermischten Seiten“ der Tageszeitung. Das kommt mitunter boulevardesk daher, weil es oft skurille Meldungen sind, die gerne gelesen werden. Aber es ist in der Wirtschaft noch viel zu wenig Wissenschaftsjournalismus unterwegs. Wir kennen alle das Platzen der Biotech-Spekulations-Blase, die überhaupt erst entstanden ist, weil Leute in Biotech-Aktien investiert haben, ohne auch nur den Schimmer einer Ahnung zu haben, was es bedeutet, ein Medikament herzustellen. Wer weiß, dass ein Medikament zehn, eher 15 Jahre braucht, bis es auf dem Markt ist und Geld einbringt, der ist nicht so blauäugig und investiert kurzfristig in ein Biotech-Unternehmen, wo das Risiko enorm hoch ist, dass nicht nur das eine Medikament scheitert, sondern das Unternehmen auf dieser langen Strecke von 15 Jahren scheitert. In der Wirtschaft ist Grundwissen, das der Wissenschaftsjournalismus vermitteln kann, absolut essentiell. Ohne meinen Wirtschaftskollegen zu nahe treten zu wollen: Man kann ein Biotech- oder Pharma-Unternehmen nicht allein auf Grund der Bilanzen einordnen. Man sollte schon verstehen, was das Unternehmen tut.
Wissenschaft wird oft auf Natur- und Technikwissenschaften reduziert. Bei bioethischen Debatten kommen auch Geistes- und Sozial- oder Kulturwissenschaftler zu Wort. Ist das ein Weg, die Wissenschaft in mehr Lebensbereiche der Öffentlichkeit zu bringen?
Wir haben in unserem Journalistenbüro Schnittstelle auch Kollegen anderer Fachrichtungen wie Geschichte oder Gesellschaftswissenschaften. Auch dafür braucht es mehr Wissenschaftsjournalisten, weil sonst Leute schreiben, die von den wissenschaftlichen Fundamenten wenig Ahnung haben. Bioethik ist in Deutschland in jedem Artikel fast Pflicht, wenn es über Bio- oder Gentechnik geht.
Bioethik hat ihre Berechtigung vor dem Hintergrund der Frage: Bringt die Technik nicht nur der Wissenschaft, sondern auch der Gesellschaft etwas, bringt sie diese weiter oder ist sie sogar ein Rückschritt? Das ist eine gesellschaftliche Abwägung, keine technische oder wissenschaftliche. Viele Wissenschaftler verstehen oft nicht, dass Wissenschaft nicht da aufhört, wo das Experiment erfolgreich war. Hier wird es für Journalisten erst richtig interessant.
Der Journalismus schmückt sich gerne mit dem Etikett der Vierten Gewalt. Wissenschafts-Themen sind aber rechercheintensiv. Dafür fehlen in Deutschland Verständnis, Geld und Leute. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche. Wenn zugleich die PR-Etats immer mehr ausgebaut werden, verliert doch die Korrektiv-Funktion des Journalismus an Wirksamkeit oder?
Absolut. Insbesondere im Wissenschaftsjournalismus ist es sehr schwierig, den Redaktionen zu erklären, dass man für investigative Recherche mehr Zeit und Geld braucht. Es gibt einzelne Oasen, wo Verständnis und auch Geld bereitgestellt werden, um an einer Recherche intensiv zu arbeiten. Doch meist lässt der Kostendruck auf die Redaktionen dafür keine Spielräume. Wissenschaftsredaktionen sind in der Regel klein, oft bestehen sie nur aus einer Person. Da kann man das Alltagsgeschäft eben nicht zwei Wochen liegen lassen, um einem Universitätsskandal oder einem Fälschungsverdacht nachzugehen. Das ist definitiv Luxus und nicht Alltag. Das Problem: Immer weniger junge Journalisten wissen überhaupt noch, dass es solche Sonderbudgets für besondere Recherchen in den Redaktionen einst gegeben hat.
Kann ein Freischaffender von seiner Arbeit - ohne PR - leben in Zeiten, wo die Niederkunft eines US-Hollywoodstars oder Castingshows die Schlagzeilen beherrschen?
Der Platz für Wissenschaftsjournalismus ist da. Ein einfacher Job ist es nicht. Man muss schon strampeln und lebt sicherlich nicht im Luxus. Mit viel Arbeit kommt man aber über die Runden. Wer rechnet, sollte sich lieber einen sicheren Job in der PR-Branche suchen. Ich komme fast ohne PR aus, aber das ist nicht einfach, weil in vielen Redaktionen die Honorare seit Jahren schrumpfen. Journalismus mag für viele noch ein Traumberuf sein, aber traumhaft bezahlt wird er nicht.