Brücken schlagen - Neue Berufsfelder für Biologen
Thomas Stintzing arbeitet als einziger Biologe bei der GEHR Kunststoffwerk GmbH & Co. KG. Sein Mut zur Initiative und das Portal der BIOPRO Baden-Württemberg halfen ihm, eine Stellung im Themenbereich Biopolymere zu finden. In einem Interview mit Dr. Ariane Pott erklärt er, wie man als Biologe den Weg zu technischen Unternehmen einschlagen kann. Er ist davon überzeugt, dass manche Unternehmen über die Biologie neue Blickwinkel erhalten.
Warum haben Sie sich für ein Biologiestudium entschieden?
Thomas Stintzing
© privat
Ich hatte Biologie bereits am Gymnasium im Leistungskurs, da mich die Komplexität und Anpassungsfähigkeit der belebten Umwelt schon während der Schulzeit sehr interessiert hat. Nach der Schule habe ich mich informiert, was es für Möglichkeiten gibt und habe dann in Tübingen mein Biologiestudium begonnen. Während des Studiums habe ich an die Technische Universität Darmstadt gewechselt, da mich die relativ neue, interdisziplanäre Fachrichtung Bionik faszinierte. Zu diesem Zeitpunkt war es für Biologen nur dort möglich, sich mit der technischen Umsetzung von biologischen Prinzipien und Mechanismen zu beschäftigen. Das Biologiestudium habe ich dort schließlich mit dem Diplom abgeschlossen.
Welches Thema haben Sie in Ihrer Diplomarbeit bearbeitet?
In der Diplomarbeit selbst habe ich zusammen mit der Elektrotechnik der TU Darmstadt an einem Biosensor gearbeitet, mit dem man die komplexe dielektrische Permittivität von Flüssigkeiten und Suspensionen bestimmen kann. Mit der sogenannten Dielektrizitätsspektroskopie können die Substanzen in einem elektromagnetischen Wechselfeld untersucht werden, die Permittivität beschreibt dabei die Polarisierungseigenschaften der untersuchten Substanz in Abhängigkeit von der Frequenz des elektromagnetischen Wechselfeldes. Im Anschluss an die Entwicklung konnte der Sensor erfolgreich in einem Zelltoxizitätstest getestet werden. Hier bin ich also von den Biopolymeren ein wenig weggekommen, habe diese aber nie ganz aus den Augen verloren.
Was wollten Sie nach Ihrem Studium machen?
Obwohl es in der Biologie üblich ist, nach dem Diplom erst einmal seinen Doktor zu machen, wollte ich diesen Weg nicht gehen. Leider hat sich ein während meiner Diplomarbeit gefasster Plan bezüglich des Themas Biopolymere mit der Firma Henkel kurzfristig zerschlagen. Ich habe mich daher im Anschluss an das Studium zunächst im Bereich Bionik und anwendungsbezogene Biotechnologie informiert. Dabei habe ich verschiedene Netzwerke wie Bayern Innovativ und das Portal der BIOPRO Baden-Württemberg verwendet. Bei der BIOPRO bin ich dann auf den Bereich Biopolymere/Biowerkstoffe gestoßen und habe mir, da mich das Thema interessierte, die Clusterbroschüre zukommen lassen. Letztendlich habe ich mich dann, auch durch die räumliche Nähe, bei GEHR in Mannheim initiativ beworben. GEHR besaß damals schon die Produktlinie ECOGEHR, die jedoch noch keinen Vollzeit-Produktmanager hatte. Durch meinen biologischen Hintergrund, der in einem Kunststoffunternehmen eigentlich nicht zu finden ist, kam meine Initiativbewerbung sehr gut an, so dass die Firma GEHR sich mit mir einen Bioniker mit ins Boot holte.
Welche Vorteile ergeben sich für das Unternehmen, wenn es einen Biologen einstellt?
Das Unternehmen bekommt einen ganz anderen Blickwinkel auf seinen Themenbereich. Ich kenne diese Situation auch aus meinem Hintergrund der Bionik. Hier haben die Ingenieure eine ganz andere Herangehensweise an Problemstellungen als die Biologen. Bezüglich meiner jetzigen Anstellung bin ich natürlich durch mein Studium auch in den Bereichen Biochemie und Pflanzenphysiologie qualifiziert und habe mich schon im Studium mit dem Thema Biopolymere befasst. Damals lagen die Schwerpunkte allerdings auf der Spinnenseide und Chitosan.
Bei Ihrem Einstieg bei GEHR haben Sie zunächst die Biopolymerlinie ECOGEHR betreut. Wo lag dort Ihr Aufgabenbereich?
ECOGEHR PLA-L, ein Werkstoff aus Polymilchsäure
© GEHR
Ich habe mich in dieser Zeit um alle Betriebs- und Marketingangelegenheiten der ECOGEHR-Produktlinie gekümmert. Angefangen bei der Durchführung von Schulungen für unsere Kunden bis zur Erstellung von technischen Datenblättern sowie der Produktbroschüre. Ich habe Seminare und Kongresse zum Thema Biokunststoffe besucht und Fachbeiträge gehalten sowie ECOGEHR vorgestellt. Um ECOGEHR nach außen zu repräsentieren, habe ich Artikel in Fachzeitschriften veröffentlicht. Natürlich habe ich die Kunden auch technisch beraten sowie versucht neue Materialien, neue Biokunststoffe, für unsere Anwendung zu finden.
Und vor kurzem haben Sie ihren Arbeitsbereich gewechselt?
Seit Anfang Mai arbeite ich auf einem neuen Themengebiet. Es geht letztendlich um das Problem, dass nachwachsende Rohstoffe im Moment noch aus Pflanzen bezogene werden, die bezüglich der Anbauflächen mit Nahrungsmitteln in Konkurrenz stehen. Mit Algen hat man nun einen alternativen Biomasselieferanten gefunden. Hier bekommt man schon ein relativ reines Ausgangsmaterial und Algenkulturen können das ganze Jahr über geerntet werden. Ich mache im Moment eine Marktanalyse inwieweit transparente Kunststoffmaterialien für Photobioreaktoren von Interesse sind. Der Markt für diese Bioreaktoren wird in den nächsten Jahren deutlich zunehmen. Die Fragen sind: Wie sind die Anforderungsprofile? Was wird gebraucht? Ich bin daher in nächster Zeit in Deutschland unterwegs, um mit den verantwortlichen Instituten und Anlagenbauern zu sprechen. Unter anderem werde ich auch in Stuttgart das Fraunhofer IGB und deren Ausgründung Subitec GmbH besuchen. GEHR wird in diesem Bereich mit Sicherheit noch ein wenig Entwicklungsarbeit hineinstecken müssen, da die Materialien noch nicht optimal geeignet sein werden. Im Anschluss kann man mit schon angepassten Materialien die ersten Extrusionsversuche machen.
Wie hilft Ihnen Ihr Biologiestudium beim Absolvieren dieser Aufgaben?
Während meiner Tätigkeit bei GEHR konnte ich mittlerweile natürlich auch Erfahrung im allgemeinen Kunststoffsektor sammeln. Der Vorteil des Biologen liegt darin, dass man die Brücke zwischen den beiden Themen schlagen kann. Ich bin also nicht nur der Kunststofffachmann, sondern auch Biologe. Ich kann schneller verstehen, warum genau diese Anforderungsprofile von den Anlagenbauern und den Forschungsinstituten gewünscht werden.
Haben Biologen eine Zukunft in technischen Unternehmen?
Ich sehe das nach wie vor zweigeteilt. Als Biologe muss man immer die Initiative zeigen und sich auch bei Unternehmen bewerben, obwohl man dort vermutlich der einzige Biologe sein wird. In meinen Fall als Bioniker ist es zum Beispiel so, dass Stellen für Bioniker in den meisten Fällen nicht für Biologen, sondern für Ingenieure ausgeschrieben werden. Hier muss man den Arbeitgeber dann ganz klar überzeugen, warum dieser einen Biologen einstellen sollte und nicht doch einen Ingenieur.
Ich meine, dass es in diesen neuen Fachrichtungen besonders wichtig ist interdisziplinärer zu denken, weil es dadurch auch neue Entwicklungsimpulse geben kann. Allerdings müssen die Biologen und auch ihre Vertretungen noch an ihrem Auftreten arbeiten, um in den von Ingenieuren und Chemikern geprägten Unternehmen Einzug zu erlangen. Hier sind besonders die Verbände gefragt. Denn in vielen biochemischen Unternehmen werden die meisten Aufgaben von Chemikern ausgeführt, die aber ein Biologe genauso gut erledigen könnte. Hier müssen die Unternehmen umdenken und die Verbände das Bild des Biologen in der Industrie neu prägen.
Was würden Sie Absolventen raten, die sich um einen Job bemühen?
Möchte man in einem eher technischen Berufsfeld als Biologe Fuß fassen, kann ich nur raten, sich nicht entmutigen zu lassen, wenn andere Fachbereiche bevorzugt werden. Weiterhin muss man sehr viel mit Initiativbewerbungen arbeiten, da nur wenige Stellen tatsächlich für Biologen ausgeschrieben sind. Wenn man seine Promotion absolvieren will, dann sollte man dies an technischeren Instituten, wie zum Beispiel den Fraunhofer Instituten machen, um dann später eine Brücke schlagen zu können. Denn an solchen Instituten ist nicht nur die Grundlagenforschung von Interesse, sondern eben auch die Umsetzung zur Anwendung.