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Chitin von Edelkrebsen als Rohstoff gewinnen

Zerkleinerte Krebsschalen wurden schon vor langer Zeit von Indianern zur beschleunigten Wundheilung eingesetzt. Das in den Schalen enthaltene Chitin, eine komplexe Verbindung aus Zuckerbausteinen, wirkt als Pflaster antibakteriell und kann selbst bei starken Verbrennungen eine narbenfreie Heilung bewirken. Gegenwärtige Forschungen haben unter anderem zum Ziel, Impfungen über Nasensprays statt Spritzen zu ermöglichen. Mit seinem Projektbüro Vegafood in Konstanz möchte Dr. Peter May durch nachhaltige Edelkrebszucht am Bodensee nun die Chitinforschung im industriellen Maßstab vorantreiben. Die europäischen Edelkrebse häuten sich mehrmals jährlich, weshalb interessierten Forschungseinrichtungen und Herstellern von Chitinprodukten die sogenannten Panzer zur Verfügung stehen.

Dr. Peter May arbeitet an der Errichtung einer Edelkrebszuchtanlage. © Biolago

Seitdem die in Europa heimischen Flusskrebse, insbesondere Edelkrebse, Mitte des 20. Jahrhunderts von der amerikanischen Krebspest ausgelöscht wurden, sind Konsumenten überwiegend auf Importe aus Osteuropa, Vorderasien und Afrika angewiesen. Da es in Deutschland und der nahen Schweiz keine größere Edelkrebszucht gibt, aber Nachfragen aus Gastronomie und Pharmazie wie von Kosmetikherstellern bestehen, plant Dr. Peter May eine Edelkrebszuchtanlage zu errichten. Auf einer wirtschaftlichen Größe von etwa 4.500 Quadratmetern sollen die Innen- und Außenbecken unter Nutzung von Abwärme beheizt werden, während Quell- oder Grundwasser die nötige Wasserqualität sichert. Die Abwärme könnte beispielsweise von einem benachbarten Kühlhaus stammen.

Während das Krebsfleisch der Gastronomie angeboten wird, dient das Krebsskelett, genauer gesagt der Panzer, Forschungseinrichtungen und Herstellern dazu, Produkte zu entwickeln. „Chitin ist zwar auch in Insektenpanzern, Pilzen und Würmern enthalten, aber Krebsschalen sind für seine Gewinnung besonders geeignet, denn sie enthalten sehr viel von dem Biopolymer“ erklärt May.

In Japan und den USA wird die Forschung an dem alternativen Rohstoff Chitin bereits stark unterstützt. Es ist für diverse medizinische Zwecke nutzbar. Zunächst muss das Chitin aber in einem aufwendigen Verfahren aus den Krebspanzern gewonnen werden. Dazu werden die Schalen zermahlen und mit Natronlauge versetzt, um Stoffverbindungen zu lösen. Nachdem das Pulver getrocknet ist, wird der Kalk durch Säure herausgelöst. Übrig bleiben Verbindungen aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Stickstoff - Chitin. Das Biopolymer hemmt das Wachstum von Pilzen und Bakterien und verfügt über wundheilende Eigenschaften. Krabbenfischer beispielsweise kauen die chitinhaltigen Schalen, was ihren Mundraum pflegt und sogar Karies verursachende Streptokokken bindet.

Narbenfrei durch Chitosanpflaster

Die in Europa einst heimischen Edelkrebse wurden durch eine Krebspest fast ausgelöscht. © Tropenhaus Frutigen

Chitin ist aber nur schwer löslich und muss deshalb erst weiterverarbeitet werden, um ein breiteres Anwendungsgebiet zu eröffnen. Durch eine zusätzliche Behandlung mit Natronlauge entsteht Essigsäure und schließlich Chitosan. „Diese Verbindung aus stickstoffhaltigen Zuckerbausteinen ist proteinfrei und wird vom Körper nicht abgestoßen. Als Pflaster wirkt es nicht nur antibakteriell, sondern nimmt auch das 50-Fache seines Eigengewichts an Wundflüssigkeit auf“, erklärt Peter May. Nach der Wundheilung wird das Pflaster dann gleichermaßen wie chirurgische Fäden aus Chitosan von körpereigenen Enzymen aufgelöst. Selbst bei schweren Brandwunden kann eine Chitosanschicht eine narbenfreie Abheilung bewirken.

Auch Spritzen könnten durch Chitin in Zukunft überflüssig werden. Hierbei nutzen Forscher die Eigenschaft des Chitosans, in Lösungen Nanopartikel zu bilden, um die Nasenschleimhaut zu überwinden und die Aufnahme von Wirkstoffen zu steigern. Anstatt über Spritzen könnten Impfungen so durch Nasensprays vollzogen werden. Insbesondere Diabetiker würden davon profitieren. Eine weitere Eigenschaft von Chitosan ist, durch seine starke positive Ladung negativ geladene Ionen anzuziehen. Dadurch bindet es Blutfett und mindert so das Herzinfarkt- sowie das Schlaganfallrisiko. „Chitosan bindet aber auch Schwermetalle und kann so zur Bodenentgiftung und Abwasserreinigung beitragen“ so May.

Die geplante Zuchtanlage erfordert bestimmte Rahmenbedingungen

Forschung und Produktherstellung benötigen aber vor allem Ausgangsmaterial für die Chitingewinnung. Bislang werden beispielsweise die ebenfalls Chitin bildenden Nordseekrabben zum Pulen ins Ausland verschifft. Nach Wochen kommen sie dann zurück, nur dass die wertvollen Schalen als Abfall bei den Pulern zurückbleiben. Inspiriert für den Aufbau einer Edelkrebszuchtanlage wurde Peter May während der Leitung eines Projekts zur Shrimpszucht in Thailand, bei der er auf die verbreitete Verwendung von Hormonen und Antibiotika aufmerksam wurde. Nun setzt er mit der Initiative auf Reinheit des Körpers statt auf Belastung durch Medikamente, Insektizide oder Fungizide. „Stress schadet den Krebsen sowie ihrer Fleisch- und Panzerqualität“, sagt Peter May, der langjährige Erfahrung mit Aquakulturen hat. Er möchte in der Anlage nicht nur Krebszucht betreiben, sondern auch die Zuchtbedingungen erforschen und optimieren. Zurzeit erwägt er, in Symbiose mit Fischen lebende Krebse zu züchten.

Um die Zyklen der Paarung, Eibildung und -ablage sowie Häutung der Edelkrebse der Natur anzupassen, muss die Wassertemperatur über das Jahr kontinuierlich parallel zur Entwicklung des Krebses gesteuert werden. Für die Eiablage, die im Winter geschieht, ist beispielsweise eine Wassertemperatur zwischen fünf und sieben Grad Celsius wichtig, während sich die Panzer im Sommer am besten bei einer Temperatur von 20 bis 22 Grad Celsius entwickeln. „Mit einer künstlich erhöhten Temperatur ab Mai können wir zudem das Wachstum der Krebse beschleunigen“, merkt May an. Auch die sogenannte Besatzdichte (= Anzahl der Krebse pro Quadratmeter) muss bei Hundert- bis Zweihundertausend Krebsen ständig kontrolliert werden. Sind in der Begattungsphase zu viele Männchen vorhanden, bekämpfen sie sich gegenseitig.

Das richtige Futter besteht aus 30 Prozent abgestorbenen Algen und Laub, 30 Prozent Pflanzen und Moosen sowie 40 Prozent lebenden Tieren, hier vor allem Schnecken. Läuft alles gut, wachsen die jungen Krebse, und bis zu sechs Mal im Jahr häuten sie sich, das heißt sie werfen ihren Panzer ab. Ältere Krebse häuten sich nur noch zwei- bis dreimal jährlich. Aber nicht alle Panzer dürfen zur Chitingewinnung entnommen werden. „Das darin enthaltende Calcium stellt für die Krebse eine äußerst wichtige Quelle für ihre Skelettbildung dar“, betont May. Nach drei Jahren sind die Krebse mit einer Länge von 20 Zentimetern schließlich ausgewachsen.
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