Circadiane Rhythmen und molekulare Uhren
Die Forschungsgruppe des Heidelberger Biochemikers Professor Michael Brunner untersucht die molekularen Grundlagen der im 24-Stunden-Takt schwingenden inneren Uhr bei Neurospora crassa. Jetzt konnten die Forscher klären, wie der Pilz den Tag-Nacht-Rhythmus trotz störender Lichtsignale in der Nacht beibehält.
Neurospora crassa. In einer Rosette angeordnete Asci mit den durch H1-GFP angefärbten Zellkernen der Ascosporen.
© N.B.Raju, Stanford University, für NIH. gov.
Neurospora crassa wurde unter Biologen über die kleine Zunft der Mykologen (Pilzforscher) hinaus bekannt, als die US-amerikanischen Wissenschaftler George W. Beadle und Edward L. Tatum durch Untersuchungen an diesem unscheinbaren Schimmelpilz zu ihrer „Ein-Gen-ein-Enzym"-Hypothese gelangten, für die sie 1958 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden. Das war ein Meilenstein der Molekularbiologie, auch wenn die Hypothese inzwischen längst überholt ist.
Seitdem wird dieser kleine filamentöse Pilz gern als Modellorganismus für genetische Untersuchungen verwendet: Er ist leicht im Labor zu halten und besitzt als Asci (Mehrzahl von Ascus) bezeichnete Vermehrungsorgane, in denen die Sporen einfach und übersichtlich angeordnet sind. In jedem Ascus teilen sich die Zellen nach erfolgter Meiose noch einmal mitotisch und bleiben dann genau in der Reihenfolge, in der sie entstehen, im Ascus-Schlauch liegen - wie Erbsen in der Hülse. Alle acht Ascosporen (die haploid und deswegen gut genetisch zu analysieren sind) können einzeln entnommen, kultiviert und untersucht werden.
Ein Pilz für die Erforschung der inneren Uhr
Prof. Dr. Michael Brunner
© BZH
Der Biochemiker Prof. Dr. Michael Brunner hat N. crassa gewählt, um mit seiner Forschungsgruppe am Biochemie-Zentrum Heidelberg (BZH) die molekularen Grundlagen der inneren Uhr, die die Lebensrhythmen der Organismen mit dem durch die Erdrotation bedingten Tag-Nacht-Zyklus von 24 Stunden synchronisiert, zu untersuchen. Die meisten Lebewesen besitzen solche, mit einer Periode von 24 Stunden schwingenden „circadiane" Uhren (lateinisch: „circa" - um herum; „dies" - der Tag). Uns Menschen sind sie vor allem vertraut, weil sie den Schlaf-Wach-Rhythmus und die an Tageszeiten gebundenen Verhaltensweisen und Stoffwechselaktivitäten kontrollieren. Dass wir eine circadiane Uhr besitzen, spüren wir besonders dann, wenn sie gegenüber der äußeren Zeit aus dem Takt geraten ist, beispielweise bei einem Jetlag nach Flugreisen über mehrere Zeitzonen.
Circadiane Uhren sind molekulare Oszillatoren, die innerhalb der Zellen von eukaryontischen Organismen die Expression einer großen Zahl von Genen in einem Rhythmus von ungefähr 24 Stunden kontrollieren. Dadurch bewirken sie, dass zahllose biochemische, physiologische und verhaltensbiologische Funktionen in einer tageszeitenspezifischen Weise ablaufen können. Circadiane Uhren bestehen aus einem Netzwerk miteinander verbundener, positiver und negativer Rückkopplungsschleifen, die die periodische Expression und Modifikation eines oder mehrerer Uhrenproteine bewirken. Diese circadianen Oszillationen werden ohne Beeinflussung durch die Umwelt mit einer Periodizität von ungefähr 24 Stunden aufrechterhalten.
Unter natürlichen Bedingungen wird die circadiane Uhr durch Umweltsignale - sogenannte „Zeitgeber" (ein Wort, das in der deutschen Form auch in die englische Fachsprache übernommen worden ist) - in der Weise beeinflusst, dass sie mit der 24-Stunden-Periode der Erdrotation synchronisiert wird. Die stärksten Zeitgeber sind Licht, Temperatur und Nahrungsstoffe. Brunners Forschungsgruppe am BZH der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg verwendet N. crassa als Modellorganismus, um den molekularen Mechanismus der circadianen Uhr zu verstehen, über den komplexe Expressionsprofile in zeitabhängiger Weise koordiniert werden.
Die molekulare Uhr von Neurospora crassa
Ein Schlüsselelement der circadianen Uhr von Neurospora ist das Gen „frequency" (frq). Die Expression dieses Gens oszilliert sowohl auf der Ebene der frq-RNA als auch der des FRQ-Proteins in einem circadianen Rhythmus; sie wird durch die Transkriptionsfaktoren White Collar-1 (WC-1) und WC-2 kontrolliert. WC-1 und WC-2 (die zur Gruppe der GATA-Typ Zinkfinger-Transkriptionsfaktoren gehören) lagern sich zu einem heterooligomeren Proteinkomplex, dem White Collar Complex (WCC), zusammen. Sie binden an zwei spezifische Elemente im frq-Promotor auf der DNA und aktivieren die Transkription der frq-RNA unter Kontrolle der inneren Uhr als auch die Transkription in Abhängigkeit von Licht. Das FRQ-Protein, ein dimeres Phosphoprotein, ist Bestandteil einer negativen Rückkopplungsschleife, welche die Synthese der eigenen frq-RNA inhibiert. Im Verlauf des Tages wird das FRQ-Protein immer stärker hyperphosphoryliert und abgebaut. In dem Maße, wie der Spiegel an FRQ-Protein absinkt, schwächt sich der negative Rückkopplungseffekt ab; der Spiegel an frq-RNA steigt an und eine neue circadiane Periode beginnt. Das FRQ-Protein wirkt aber nicht als Repressor seiner eigenen RNA, es aktiviert auch - in einer positiven Feedbackschleife - die Bildung von WC-1 und WC-2 (https://www.biooekonomie-bw.debzh.db-engine.de/default.asp?lfn=2573).
Eine molekulare Sonnenbrille stabilisiert die circadiane Uhr
Neurospora crassa; Hyphen
© Mykologie, Universität Kaiserslautern
Der FRQ/WCC-Oszillator moduliert bei Neurospora die rhythmische Expression von etwa 1.000 Genen (das sind etwa zehn Prozent des ganzen Genoms), aber nur ein Bruchteil dieser Gene wird direkt durch den White Collar Complex auf Transkriptionsebene geschaltet. Wie das Netzwerk der von der inneren Uhr kontrollierten Gene organisiert und reguliert ist, bleibt Gegenstand intensiver Forschung.
Unklar war bisher auch, wie die circadiane Uhr die Genexpression in einer präzisen 24-Stunden-Periodizität mit Licht als Zeitgeber synchronisieren kann, selbst wenn andere Lichtsignale aus der Umwelt, beispielsweise künstliche Beleuchtung oder Mondschein, den Rhythmus stören. Diese Frage haben Brunner und sein Team in Zusammenarbeit mit der ungarischen Wissenschaftlerin Dr. Krisztina Káldi vom Physiologischen Institut der Semmelweis Universität Budapest jetzt klären können. Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Cell" veröffentlicht.
Die Lichtadaptation, die bei niedrigen Lichtintensitäten (zum Beispiel durch Mond- oder Lampenlicht) die Transkription unterdrückt, hängt vom Zusammenspiel zweier antagonistisch wirkender Fotorezeptoren ab: der LOV („light-oxygen-voltage")-Domäne des Transkriptionsfaktors WCC sowie dem Rezeptor VVD, der ebenfalls eine LOV-Domäne besitzt, die aber als negativer Regulator dient. Das Gen vvd wird bei Aktivierung von WCC exprimiert. Der von Brunner und Mitarbeitern entdeckte Regelkreis kann vereinfacht folgendermaßen beschrieben werden:
- Bei Dunkelheit liegt der Transkriptionsfaktor und Lichtrezeptor WCC in einer inaktiven monomeren Form vor. Der Lichtrezeptor VVD wird nicht exprimiert.
- Wenn bei Tagesanbruch die Helligkeit steigt, induziert das Licht die Dimerisierung und Aktivierung von WCC; dabei werden auch die beiden LOV-Domänen aneinander gebunden. Die Aktivierung von WCC führt zur Expression des negativen Regulator-Gens vvd sowie anderer lichtinduzierter Gene.
- Für die Lichtadaptation bindet das durch Licht aktivierte Regulatorprotein VVD über seine LOV-Domäne an die LOV-Domäne von WCC und inhibiert so die Dimerisierung von WCC. Das wiederum führt zu einer Abnahme der Transkription von VVD und anderen lichtinduzierten Genen.
- Das tagsüber produzierte VVD-Protein wirkt in der darauffolgenden Nacht als molekulares Gedächtnis für die Helligkeit des vorangegangenen Tages nach: Es verhindert die Dimerisierung und Aktivierung von WCC durch niedrige Lichtintensitäten. Wenn es am nächsten Morgen wieder hell wird, ist der größte Teil des VVD-Proteins abgebaut, so dass der Transkriptionsfaktor WCC wieder aktiviert werden kann.
Dieser Regelkreis sorgt also wie eine „molekulare Sonnenbrille“ dafür, dass die innere Uhr von Neurospora crassa Tag und Nacht nicht durch störende Lichtsignale wie Mondschein oder künstliche Beleuchtung verwechseln kann.