Das Schilfsterben im Visier
Die Schilfgürtel an den europäischen Seen werden immer schmaler. Den Grund für das Schilfsterben untersucht der Biologe Dr. Jan Nechwatal von der Universität Konstanz. Er hat einen bislang unbekannten Pflanzenschädling identifiziert.
Dr. Jan Nechwatal untersucht an der Universität Konstanz die Ursache des Schilfsterbens
© Martina Keller-Ullrich
Zwar ist das Schilfsterben nicht so spektakulär wie das Waldsterben, weil es dem Laien nicht so direkt ins Auge fällt, aber Naturschützer und Limnologen in ganz Europa sind seit Jahren alarmiert. Verschiedene Ursachen wurden diskutiert, wie etwa Wellenschlag durch Schiffsverkehr, Überdüngung, Insektenfraß oder Zunahme der Kanadagänse. Besonders stark hat das Schilf am Bodensee unter dem Hochwasser im Jahr 1999 gelitten. Der Grund dafür war unklar, denn eine Pflanze wie Schilf müsste auch einen zeitweise höheren Wasserstand vertragen. Eine eigene Idee, was hinter dem Schilfsterben stecken könnte, verfolgen Biologen der Universität Konstanz. Vor allem Dr. Jan Nechwatal vom Sonderforschungsbereich ‚Bodenseelitoral’ am Lehrstuhl von Prof. Dr. Kurt Mendgen hat sich mit dem Schilfsterben befasst und einige grundlegende Entdeckungen gemacht.
Im Verdacht hatte er so genannte Oomyzeten, Organismen, die bereits aus anderen Bereichen als Pflanzenschädlinge bekannt sind. Oomyzeten sind genau genommen keine Pilze, sondern stehen eher den Algen näher. Eine bekannte Art, die so genannte Phytophthora infestans, verursacht etwa die Kartoffelfäule, die Ursache für die schwere Hungersnot in Irland im 19. Jahrhundert war. Viele andere Arten sind als landwirtschaftliche Schädlinge bekannt und nicht zuletzt wird auch ein Zusammenhang mit dem Waldsterben vermutet. Weltweit gibt es 80 bis 100 verschiedene Phytophthora-Arten, erklärt Dr. Jan Nechwatal, darunter auch eine besonders gefürchtete Art, die in Amerika den „sudden oak death“ auslöst. Um die Einschleppung dieses Schädlings nach Europa zu verhindern gelten strenge Einfuhrbestimmungen und Quarantänemaßnahmen für Hölzer und Zierpflanzen. Noch kommt der Schädling in der freien Wildbahn in Europa nicht vor. In Baumschulen sei er dagegen sicher schon vorhanden, fürchtet der Biologe.
Unbekannte Art identifiziert
Dass Oomyzeten für das Schilfsterben mitverantwortlich sind und um welche Art es sich dabei handelt, haben die Konstanzer Forscher inzwischen bewiesen. Zunächst haben sie dafür eine Vielzahl von Proben an verschiedenen Standorten genommen und diese geflutet, damit eventuell vorhandene Sporen im Wasser schwimmen. Die Wasseroberfläche haben die Forscher mit Schilfblättern als „Köder“ bestückt und die gefundenen Oomyzeten morphologisch und molekulargenetisch bestimmt. Das Ergebnis war eindeutig: Pythium phragmitis, eine bis dahin unbekannte Art, war in jeder der untersuchten Wasserproben nachzuweisen.
Pythium phragmitis ist eng verwandt mit dem Mais- und Getreideschädling Pythium arrhenomanes. Um den Beweis anzutreten, dass nicht die Überflutung bei Hochwasser an sich das Schilfsterben verursacht, sondern dass Pythium sie krank macht, haben die Biologen Schilfpflanzen in einem einfachen Topfversuch ganz oder teilweise unter Wasser gesetzt und die Pflanzen sogar noch abgeschnitten. Danach war klar: Ist Pythium im Wasser, wird das Schilf krank und stirbt ab. Die Überflutung dagegen überstehen die Pflanzen weitgehend unbeschadet.
Da Pythium phragmitis am See in allen Wasserproben nachgewiesen wurde, stellt sich die Frage, warum die Schilfpflanzen gerade bei Hochwasser so besonders anfällig sind. Auch dafür hat Dr. Jan Nechwatal eine Erklärung: Besonders die Blätter der Schilfpflanzen sind anfällig für das Pathogen, und diese kommen gerade bei Hochwasserereignissen verstärkt in Kontakt mit den im Wasser befindlichen Sporen. Wurzeln und Rhizome der Schilfpflanzen scheinen dagegen relativ resistent zu sein, möglicherweise schützen sie sich durch eine hydrophobe Oberfläche.
Befallene Schilfblätter im Laborversuch
© Jan Nechwatal
Die Untersuchung von Pythium phragmitis hat noch weitere interessante Erkenntnisse gebracht. So haben die Biologen herausgefunden, dass sie um ihre Sporen zu entlassen keinen Kälteschock benötigen, wie dies etwa vom Erreger der Kartoffelfäule bekannt ist. Im Gegenteil, Pythium phragmitis vermehrt sich bei Wärme besonders gut, optimal sind Temperaturen von 25 bis 30°C.
Da mit dem aktuellen Klimawandel sowohl die Temperaturen ansteigen als auch extreme Wetterereignisse und damit auch Hochwasser häufiger vorkommen werden, könnte dies den Rückgang der Schilfgürtel noch weiter vorantreiben. Da Hochwasser in der Regel im Sommer auftritt, ergibt dies optimale Infektionsbedingungen. Ein Rückgang des Schilfs hat wiederum Auswirkungen auf die Stabilität der Ufer sowie auf die Artenvielfalt, denn der Schilfgürtel ist unter anderem wichtig als Brutplatz für Vögel und als Kinderstube für Fische.
Entstehung von Hybriden
Typische Schäden beim Befall mit Pythium phragmitis.
© Carolin Bogs
Doch nicht nur Pythium phragmitis macht den Schilfpflanzen zu schaffen. Bei der molekularbiologischen Untersuchung haben die Konstanzer Forscher einen Hybrid identifiziert, der genetisch und morphologisch genau zwischen P. phragmitis und P. arrhenomanes steht. Während letzterer für die Schilfpflanzen ungefährlich ist und sich auch lieber in trockeneren Bereichen aufhält, ist der Hybrid für das Schilf sogar noch gefährlicher als P. phragmitis. Denn er greift die unterirdischen Pflanzenteile wesentlich aggressiver an. Der Hybrid ist zwar noch eine relativ junge Entwicklung, doch er ist schon weit verbreitet und kommt sogar häufiger vor als sein P.-phragmitis-Elternteil. Für die weitere Entwicklung stellt Dr. Jan Nechwatal fest: “Der Hybrid ist äußerst erfolgreich und wohl auf dem Wege, sich als eine neue Art zu stabilisieren.“ Damit stellt sich zum einen die Frage, ob die Gefahr für das Schilf wächst, und zum anderen, wo der Hybrid herkommt. Im Verdacht stehen Maisäcker in Ufernähe.
Im Zuge der globalen Erwärmung sowie der Einschleppung neuer Arten durch regen globalen Pflanzenhandel könnte es zur Entstehung von weiteren Hybriden kommen. Hilfe für die gefährdeten Schilfpflanzen könnte von anderen Pilzen, und zwar von echten Pilzen kommen. Stagonospora neglecta lebt endophytisch in Schilfpflanzen. Zurzeit arbeitet Jan Nechwatal daran zu zeigen, dass diese Pilze die Pflanzen widerstandsfähiger gegen Schädlinge machen. „Eventuell entwickeln sie dadurch eine Art Grundresistenz,“ erklärt der Forscher.