Die Schlacht um wettbewerbsfähige Obstklone
Der Bodenseeraum ist eines der großen Obstanbaugebiete in Europa. Sanfte Biotechnologie trägt dazu bei, dass sich der Erwerbsobstbau sogar mit Wettbewerbern aus Südafrika und China messen kann. Die bisherigen Erfolge bei der Bestimmung von Obst für den Anbau, der Verarbeitungseignung wie der Sortenzüchtung sind ermutigend. Noch wird die Schlacht um wettbewerbsfähige Obstklone über Preis, Menge und Werbung bestimmt.
Der Bodenseeraum ist eine der großen Obstregionen in Europa. 2007 erzeugten die Landwirte hier allein bei Äpfeln und nur auf deutscher Seite 3,3% (281.000 Tonnen) der gesamten Apfel-Produktion in der EU (25). Bezogen auf Deutschland lag der Anteil bei 29,6%. Rund 1.600 Betriebe zählt der Erwerbsobstbau in dieser Region. Zusammen mit Saisonarbeitskräften und dem nachgelagerten Bereich arbeiten rund 9.000 Personen in diesem Agrarsektor. Trotz solcher beeindruckenden Zahlen ist der Sektor kein Selbstläufer.
In ganz Deutschland deckt die einheimische Obstproduktion gerade einmal 22 Prozent der Inlandsnachfrage ab. Der Bedarf ist größer als das, was im Inland produziert werden kann. Die meisten Obstimporte kommen heute aus Europa. Wenn es um verarbeitete Fruchtprodukte (z.B. Apfelsaftkonzentrate), die im Folgenden nur am Rande ein Thema sind, oder leistungsfähigere Sortenzüchtungen geht, dann mischen auch Länder wie die USA, Australien und China mit. Globalisierte Warenströme sind nicht nur Realität, sie sind schiere Notwendigkeit, damit die Bevölkerung sicher und zu bezahlbaren Preisen versorgt wird.
Haibo Xuan vom Kompetenzzentrum Obstbau-Bodensee in Bavendorf
© Wolf G Kroner
Die offenen Grenzen bewirken einen Strukturwandel im Erwerbsobstbau. Während in Deutschland die Baumobst-Anbauflächen zwischen 1997 und 2007 um rund 13% zurückgingen, sank im selben Zeitraum die Zahl der Erzeugerbetriebe um 47% auf 11.500 (Agrarmärkte 2008:83). Als Wachstumsschwelle gelten 10 Hektar. 2007 erreichten nicht mehr als 1.148 Betriebe diese Größe. Den Löwenanteil an der deutschen Obstproduktion macht das Kernobst – Äpfel und Birnen – aus. Im Berichtsjahr waren es 1.120 Mio. Tonnen. Es folgen das Steinobst mit 134,6 Mio Tonnen und das Beerenobst mit 177,4 Mio. Tonnen (davon 89% Erdbeeren). Der Wettbewerb ist hart. Die Ertragssituation der inländischen Erzeugerbetriebe wird bestimmt vom Angebot auf den internationalen Märkten. Das gilt auch für die Schweiz, wo demnächst die Barrieren im Handel mit der EU fallen. Der schweizerische Erwerbsobstbau ist ebenso wie seine Konkurrenten jenseits der Grenze auf ungehinderte Vermarktung bzw. verbilligte Exporte angewiesen. Eine kritische Rolle für diesen Wirtschaftszweig spielt gerade in Europa der Handel. Dieser strukturiert wiederum mit seinen Angeboten die Konsumentennachfrage vor. Auf diese Weise werden Marktgeschehen und Ertragsaussichten heute bestimmt von drei Birnen- und acht Apfelsorten (aus mehr als 2.400 bekannten).
Bei hoher Qualität von Tafelobst zählen die Erstellungs- und Produktionskosten. Faustregel für das Ertragspotenzial bei der Apfelproduktion: mindestens 30 t/ha, aber die größte Betriebsgröße ist nicht die wirtschaftlichste.
© Zürcher M, Leumann M (2006): Kostenfaktoren im Erwerbsobstbau. Ein Vergleich zwischen Baden-Württemberg und der Schweiz. Vortrag 5. Schweizer Obstkulturtage, 13. Januar LBBZ Arenenberg Thurgau. (Angaben umgerechnet in €; 1 Euro = 1,5 CHF; Vergleich unter
Marktobstbau in ausgewählten EU-Ländern
© Agrarmärkte 2008:79
Manfred Büchele, Agrarökonom und Geschäftsführer der Stiftung Kompetenzzentrum Obstbau-Bodensee (KOB) ist überzeugt, dass der heimische Erwerbsobstbau im internationalen Wettbewerb durchaus mithalten kann: ”Verlässlichkeit, Qualität und Service kommen an erster Stelle. Zum Schluss redet man dann auch mal über den Preis”, sagt Büchele. Ein Wettbewerbsvorteil gegenüber osteuropäischen Billigobst-Anbietern ist die Vernetzung der einzelnen Obstbauern untereinander in Erzeugergemeinschaften und deren Integration in die Lieferkette des Handels. Das gilt für konventionell angebautes Obst (landwirtschaftliche Verkaufserlöse Deutschland 2007: 2.012 Mio €) wie für Bio-Früchte (78 Mio. €), denn Anbieter und Vermarkter fahrenin der Regel mehrspurig. Freilich: Die Optimierungspotenziale bei traditioneller Produktion, bei der Logistik und Vermarktung sind immer mehr ausgereizt. Angesichts massiver staatlicher Verschuldung im Zuge der Bankenkrise müssen nach den Wahlen wohl auch die Agrarsubventionen gekürzt werden.
Mit Biotechnologie besser durch die Krise?
Noch kaum gehoben ist einer der größten Schätze, den die hiesige Landwirtschaft im internationalen Wettbewerb besitzt: das biotechnologische Know-how. Einst unterentwickelte Länder wie China, Indien oder Brasilien machen vor wie das geht. Man braucht das Rad nicht neu erfinden. Häufig reicht es, das zu nutzen, was sich andernorts an biotechnologischen Methoden und Instrumenten schon bewährt hat. Ein Beispiel sind Methoden des genetic fingerprinting und Biomarker, die in der Sortenbestimmung und zur Selektion von Züchtungsmerkmalen einsetzbar sind.
Vaterschaftstest für’s Obst: schlechte Zeiten für Trittbrettfahrer und Produktpiraten
Sortenpiraten machen heute Züchtern und Baumschulen das Leben schwer. Imitationszüchtungen (UPOV 2006) sind relativ einfach. Der Rechteklau ist schwer zu kontrollieren und die Dunkelziffer hoch. Selbst der weltweite Züchterverband CIOPORA verfügt über keine Überblickszahlen, wie viel wirtschaftlicher Schaden durch illegale Pflanzenvermehrung entsteht. Branchen-Insider schätzen, dass sich ein Obstbauer hierzulande bis zu 3.000 Euro pro Hektar sparen kann, wenn er illegal Apfel- oder Birnenbäume vermehrt. Diese hohe Summe ergibt sich, wenn man die Praxis der Dichtpflanzungen in Rechnung stellt. Nach Erhebungen der ZMP (Agrarmärkte 2008) standen 2007 auf 75% der Apfel- und 41% der Birnenplantagen Deutschlands mehr als 1.600 Bäume pro Hektar (+ 16% gegenüber Vorjahr). Beim Kernobst empfehlen Schweizer Agronomen je nach Sorte zwischen 2.000 und 3.000 Bäume pro Hektar. Amtliche eidgenössische Schätzungen (2006/2007) gehen davon aus, dass immerhin 10 bis 15 Prozent der Obstbäume (Erdbeeren 5-10%) nachgebaut werden, ohne Lizenzgebühren an die Züchter zu zahlen.
Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee
© KOB
Es fehlen eindeutige Tests, die den Produktpiraten und Trittbrettfahrern der Innovation das Handwerk legen. Seit 2004 entwickelt man am KOB Bavensdorf bei Ravensburg molekulargenetische Schnelltests zur Sortenbestimmung. 10 bis 50 mg Pflanzenteile (außer Samen und abgehende Blüten) reichen, um mittels DNA-Analyse die spezifische Obstsorte identifizieren und in ihrer genetischen Zusammensetzung charakterisieren zu können. Aus biotechnologischer Sicht ist die verwendete Methode, der genetische Fingerabruck ”ein alter Hut”, denn in der Gerichtsmedizin wird sie als Vaterschaftstest seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts eingesetzt. Gleichwohl sind die KOB-Tests innovativ. Man muss sich erst einmal die Mühe machen, die Methode für die Obstuntersuchung anzupassen. So umfasst das Apfelgenom rund 35.000 Gene, 10.000 mehr als beim Menschen. Jede Sorte ist durch die spezifische Rekombination der Artengene bestimmt. Mehr noch: Die Entwickler molekulargenetischer Obstsortentests muss sich darauf verlassen, dass die gängigen morphologischen und phänologischen Klassifizierungsmethoden der Pomologen (lat. Poma = Obst) eindeutig und voneinander abgrenzbar sind.
Experten bestimmen alte Rebsorten im Kanton Zürich und der Ostschweiz (2007).
© IG Erhaltung alter Rebsorten
Das beginnt schon bei den Obstbezeichnungen, bei denen nach Homonymen (Sorten mit gleichem Namen) und Synonymen (Sorten mit verschiedenen Namen) unterschieden werden muss (vgl. (Xuan/Büchele 2008). Aus biotechnischer Sicht geht es darum, die optimale molekulargenetische Pflanzenbestimmungsmethode auszuwählen. Seit den Neunziger Jahren bedient man sich der RAPD (Randomly Amplified Polymorphic DNA)-Methode, doch die KOB-Forscher haben herausgefunden, dass beim Obst die SSR-(Simple Sequence Repeats)-Methode leistungsfähiger ist. Angesichts geringer finanzieller Mittel und knapper personeller Ausstattung hat man es in Bavendorf geschafft, immerhin für eine Handvoll Apfel-, Birnen- und Kirschensorten Tests zu entwickeln.
Vaterschaftstest für Äpfel, Birnen und Kirschen: Mit Haibo Xuan aus China gewann das KOB eine versierte Forscherin. Deshalb kann man am KOB auch die Entwicklung in Fernost besser einschätzen. Man weiß, wie man geeignete Partner identifiziert.
© KOB
Doch solange das Gros der Sorten nicht genotypisch erfasst (und damit die Variation messbar) ist, bleibt die erfahrungsgeleitete Klassifikation (Szalatnay/Kellerhals 2007) unverzichtbar. Dabei sind die üblichen morphologischen Bestimmungsmerkmale unzuverlässig, da sie je nach Boden, Anbaumethode und mikroklimatischen Bedingungen bei derselben Sorte variieren. Selbst erfahrene Züchter und Baumschuler können daneben liegen, weiß der Tübinger Musikinstrumentenbauer und Pomologe Eckhard Fritz, ein gefragter Fachmann in Deutschland und der Schweiz. Das Problem der Sortenbestimmung sind fehlende Referenzmuster, bemerkt Christoph Köhler von der Schweizerische Kommission für die Erhaltung von Kulturpflanzen (SKEKA). Innerhalb eines EU-geförderten Konsortiums arbeitet man deshalb auf der Südseite des Bodensees an einem komplementären Ansatz zum Fingerprinting.
Der Pomologe Fritz Eckhard entdeckte 2005 diesen Apfel unbekannter Sorte in Russland.
© Fritz Eckhard
Forscher am Agroscope Wädenswil suchen Biomarker im Obstgenom (vgl. Khan et al. 2007), bringen hunderte artenspezifische Biomarker auf Arrays und können mit diesem hochparallelen Ansatz ein breiteres Sortenspektrum untersuchen bzw. entsprechende Bestimmungstests entwickeln. Die Kirschensorten sind größtenteils erfasst und analysiert, sagt Hanspeter Kreis, Thurgauer Züchter und Obstkoordinator bei der SKEKA. Bei den Apfelsorten hat man in der Schweiz erst begonnen, die molekulargenetischen Methoden breiter einzusetzen.
Marketingschlacht bei Obstklonen
© Consorzio Vivaisti Frutticoli Altoatesini
Die eindeutige und schnelle Sortenbestimmung ist im Erwerbsobstbau von hoher ökonomischer Bedeutung. Das gilt für Züchter und Baumschulen ebenso wie für den Handel. Die Einkäufer müssen sicher sein, Chargen mit der georderten Sorte und genau dieser geliefert zu erhalten. Die Sortenbestimmung ist deshalb für die Preisfestsetzung ebenso wichtig wie für die Wareneingangskontrolle. Am Ende nutzt sie den Obsterzeugern und ihren Qualitätssicherungsmaßnahmen. Freilich: Solange der Einsatz biotechnischer Methoden im Erwerbsobstbau unterentwickelt ist, bleibt Marketing Trumpf im internationalen Wettbewerb.
Literatur:
Khan MA, Durel C-E, Duffy B, Drouet D, Kellerhals M, Gessler C, Patocchi A (2007) Development of molecular markers linked to the ’Fiesta’ linkage group 7 major QTL for fire blight resistance and their application for marker-assisted selection. Genome 50: 568-577.
Landesanstalt für Entwicklung der Landwirtschaft und der Ländlichen Räume LEL (2009): Agrarmärkte 2008. März, Schwäbisch Gmünd: März. www.landwirtschaft-bw.info/servlet/PB/show/1242023/Agrarmaerkte 2008 BW_1.pdf.
Szalatnay D, Kellerhals M (2007): Obstvielfalt beschreiben und nutzen. Schweiz. Zeit. Obst-Weinbau 1: 11-13.
Union internationale pour la protection des obtentions végétales UPOV (2006): Erläuterungen zu Sortenbezeichnungennach dem UPOV-Übereinkommen. 18. Oktober. www.upov.int/export/sites/upov/de/publications/pdf/inf_12_1.pdf.
Xuan H, Büchele M (2008): Fingerprinting zur Sortenbestimmung von Obstgehölzen. Obstbau: 420-421.
Zürcher M, Leumann M (2006): Kostenfaktoren im Erwerbsobstbau. Ein Vergleich zwischen baden-Württemberg und der Schweiz. Vortrag 5. Schweizer Obstkulturtage, 13. Januar.
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