Ein Biotest für Umweltgifte
Täglich atmen wir sie ein: Gase aus Müllverbrennungsanlagen, Ausdünstungen aus Holzmöbeln, Feinstaubpartikel aus Autoauspuffen oder Bürogeräten. Was davon unsere Körperzellen schädigt, untersuchen die Wissenschaftler um Dr. rer. nat. Richard Gminski vom Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene (IUK) der Universitätsklinik Freiburg. Mit Hilfe lebender menschlicher Zellen testen sie, was passieren kann, wenn wir die luftgetragenen Schadstoffe über Inhalation in den Körper aufnehmen. Molekularbiologische Experimente enthüllen anschließend, was die giftigen Gase oder feinen Stäube zum Beispiel mit unserer DNS anrichten.
Die Emissionsprüfkammer mit Laserdrucker als Prüfobjekt
© Dr. rer. nat. Richard Gminski
Ist der Laserdrucker der saubere Freund des Büromenschen? Die sogenannte Tonerstudie des Instituts für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene (IUK) unter der Leitung von Direktor Prof. Dr. med. Volker Mersch-Sundermann an der Universitätsklinik Freiburg zeigte im vergangenen Jahr, dass Bürogeräte Hunderte potenziell giftige Chemikalien aushusten. Und das ist nur eine von vielen Quellen für luftgetragene Giftstoffe, denen wir täglich ausgesetzt sind. Holz- oder Pflanzenschutzmittel, Leim in Holzplatten, Nanopartikel in Autoabgasen, Zigarettenrauch - das alles gelangt in unsere Lunge und vielleicht noch tiefer in unseren Körper hinein. „Wir kennen einige der Verbindungen, die in allen diesen Aerosolen enthalten sind", sagt Dr. Richard Gminski von der Abteilung für Innenraumtoxikologie des IUK. „Wir wissen von einzelnen, dass sie entweder giftig oder ungiftig sind. Aber wir wissen nur wenig darüber, was die in der Umwelt tatsächlich vorkommenden Gemische in ihrem Zusammenspiel anrichten."
Kometenhafte Auswirkungen
Zu diesem Zweck setzen die Forscher am IUK menschliche Zellen Umweltbedingungen aus, denen auch wir Menschen im Alltag ausgesetzt sind. Dazu haben sie eine sogenannte Emissionsprüfkammer und eine dazugehörige Expositionseinheit entwickelt. Beim ersteren handelt es sich um einen abgeschlossenen Raum, in dem konstante Temperatur, Luftfeuchtigkeit sowie konstanter Druck herrschen. In diese Kammer können die Forscher im Prinzip alles hineinstellen, was „hässliche" chemische Verbindungen oder Stäube ausdünstet: Laserdrucker, Holzplatten, ein geleimtes Möbelstück. Schläuche leiten die ausströmenden Gase zur Expositionseinheit, dem Herzstück der Anlage. Hier sitzen auf Teflon-Membranen menschliche Lungenzellen oder isolierte Zellen aus dem menschlichen Blut. Von unten haben diese Zellen Kontakt mit einem Nährmedium und von oben sind die Zellen dem Luftschadstoffgemisch aus der Emissionsprüfkammer ausgesetzt. „Ähnlich der Situation, die wir auch beim Inhalieren von Luftverunreinigungen in der Lunge haben", sagt Gminski. „Die Frage ist, wie die Zellen auf die verschiedenen luftgetragenen Schadstoffe reagieren."
In Zellen, die mit einem Gasgemisch mit Nanopartikeln behandelt wurden, entstehen freie Sauerstoffradikale, die man im Fluoreszenzmikroskop mit einem grün fluoreszierenden Farbstoff nachweisen kann.
© Dr. rer. nat. Richard Gminski
Im Prinzip lassen sich auf diese Art und Weise alle möglichen Umwelteinwirkungen simulieren. Neben einem druckenden Laserdrucker oder einem Baumaterial, das giftige Verbindungen ausdünstet, untersuchen Gminski und seine Mitarbeiter in letzter Zeit auch natürliche und künstliche Nanopartikel. Diese extrem kleinen, oftmals metall- oder kohlenstoffhaltigen Teilchen sind heute in vielen Produkten enthalten - etwa in Nahrungsmitteln, Kleidungsstücken, Sonnencremes, Farben oder als Katalysatoren in Verbrennungsmotoren. Diese Teilchen sind so klein, dass sie beim Einatmen bis in kleinste Lungenbläschen vordringen und dort zu Entzündungen oder anderweitigen, noch nicht untersuchten Veränderungen führen können. Manche der Nanoteilchen gelangen von dort aus auch in die Blutgefäße und damit in jedes Organ des Körpers. In Versuchen am IUK, in denen Lungenzellen gegenüber Nanopartikeln exponiert wurden, wanderten die Teilchen bis in die Kerne und schädigten dort das Erbgut (DNS). Die Freiburger Wissenschaftler setzen ihre Zellen normalerweise eine Stunde lang der mit Nanoteilchen angereicherten Luft aus. Zum einen testen sie, wie viele Zellen danach noch leben. Zum anderen messen sie, was im Zellinneren passiert ist. Und das kann etwa auf der Ebene der DNS sogar „kometenhafte" Züge annehmen.
Einer der Tests, die Gminski und seine Mitarbeiter einsetzen, ist der sogenannte Komet-Test. Er zeigt, ob ein Luftschadstoffgemisch DNS-Brüche zur Folge haben kann. Die Wissenschaftler betten die Zellen dazu in Agarose, lösen ihre Membranen auf und setzen sie einem elektrischen Feld aus, der sogenannten Elektrophorese. Während der Elektrophorese wandert die negativ geladene DNS zum Pluspol und dank der Poren in der Agarose trennen sich die Bruchstücke der Größe nach auf. Die kleineren Bruchstücke legen in bestimmter Zeit eine weitere Strecke zurück als die größeren. Geschädigte, bruchstückhafte DNS ist in der Lage, aus dem Zellkern herauszuwandern. Unter dem Mikroskop scheinen die beschädigten Zellen, welche vorher mit Fluoreszenzfarbstoffen wie Ethidiumbromid angefärbt wurden, einen Schweif aus DNS-Bruchstücken zu haben. „Eine Zelle bzw. ihr Kern, der durch bestimmte Schadstoffe geschädigt wurde, sieht aus wie ein Komet“, sagt Gminski. „Nicht beschädigte Zellkerne hingegen sehen aus wie leuchtende Kugeln.“ Neben dem Komet-Test benutzen die Wissenschaftler auch einen weiteren Test, der ihnen verrät, ob in menschlichen Lungenzellen durch Schadstoffe Chromosomenschäden ausgelöst werden können: den sogenannten Mikrokerntest. Außerdem messen sie, ob die Emissionen der Prüfobjekte in den Zellen freie Radikale (insbesondere Sauerstoffradikale) erzeugen können.
Allergische Reaktionen
Ob Emissionen aus aktiven Bürogeräten eine schädigende Wirkung auf menschliche Zellen haben, wird sich schon bald zeigen. Gminski und seine Mitarbeiter führen neben ihren Versuchen mit der Emissionsprüfkammer aber auch Humanstudien durch. So haben sie zum Beispiel zur Abschätzung einer möglichen Gesundheitsgefährdung durch Holz- bzw. Holzwerkstoff-Emissionen kontrollierte Expositionsexperimente am Menschen durchgeführt. Außerdem haben sie sogenannte periphere mononukleäre Blutzellen (PBMC) des Menschen der Abluft aus der Emissionskammer ausgesetzt und die Art und Menge an Botenstoffen bestimmt, die von diesen Zellen nach Begasung produziert werden. Das sind zum Beispiel Zytokine, die von bestimmten Blutzellen ausgesendet werden, um das Immunsystem über das Eindringen unerwünschter Fremdstoffe zu alarmieren. „Auf Grund des Auftretens und der Zusammensetzung dieser gemessenen Zytokine können wir Hinweise darüber erhalten, ob durch die Einwirkung gewisser Emissionen auf menschliche Zellen möglicherweise eine entzündliche oder allergene Wirkung ausgelöst werden kann”, sagt Gminski. Formaldehyd etwa, das in Zigarettenrauch und in Holzklebern enthalten ist, und dessen krebserregende Wirkung hinreichend belegt ist, löst in diesem Zusammenhang zumeist auch allergische Reaktionen aus und ist durch eine bestimmte Kombination der freigesetzten Zytokine charakterisiert.
Neben der Grundlagenforschung könnte in Zukunft auch die Industrie von der Arbeit am IUK profitieren. „Unsere experimentellen Möglichkeiten bieten wir auch verschiedenen Herstellerfirmen an“, sagt Gminski. „In der Emissionsprüfkammer können wir für sie zum Beispiel prüfen, ob ihr Produkt bzw. Emissionen daraus für den Menschen unbedenklich sind, oder wie das Produkt für eine sichere Nutzung optimiert werden muss.“ Umwelttoxikologische Forschung nah am Menschen also.