Ein künstliches Blatt zur Spaltung von Wasser
Mit chemischen Modellsystemen werden die Prozesse der pflanzlichen Fotosynthese erforscht – mit dem Ziel, das Sonnenlicht als Quelle für den Energiebedarf der Zukunft zu erschließen. Jetzt haben Ulmer Wissenschaftler ein „künstliches Blatt“ auf der Basis eines Manganvanadiumoxid-Katalysators entwickelt. Damit können sie eine entscheidende Reaktion der Fotosynthese, die fotokatalytische Oxidation von Wasser zu molekularem Sauerstoff, nachvollziehen und gegebenenfalls optimieren.
Blätter sind natürliche Solaranlagen.
© EDJ
Alles höhere Leben auf der Erde beruht auf der Fähigkeit der grünen Pflanzen, Algen und mancher Bakterien, durch Fotosynthese energiereiche Moleküle zu erzeugen. Dabei wird Lichtenergie der Sonne eingefangen und zur Synthese organischer Moleküle aus Kohlendioxid und Wasser verwendet. Das geschieht in zwei Schritten. Nur der erste, die Spaltung von Wasser in molekularen Sauerstoff und Wasserstoff, ist lichtabhängig. Der Sauerstoff wird als „Abfallprodukt“ freigesetzt, der Wasserstoff aber (genauer gesagt, sein Äquivalent aus Protonen und gebundenen Elektronen) wird in einem zweiten Schritt auf CO2 übertragen und die absorbierte Sonnenenergie als chemische Energie über viele Zwischenschritte in Kohlenhydraten gespeichert.
Der Fotosynthese-Apparat ist eine natürliche Solaranlage, die jedoch mit der Energie ihrer Lichtquelle verschwenderisch umgeht. Nur ein winziger Bruchteil – etwa 0,3 Prozent des einfallenden Sonnenlichts – werden verwertet; der Wirkungsgrad der Energieumwandlung beträgt etwa fünf Prozent. Mit modernen Solarzellen, die Licht direkt in Elektrizität verwandeln, erzielt man heute schon einen Wirkungsgrad von zwanzig Prozent. Allerdings lässt sich der entstandene Strom nicht so leicht speichern und bei Bedarf ohne nennenswerten Verlust aktivieren wie die Energiespeicher der Pflanzen.
Großansicht:
Giacomo Luigi Ciamician, Pionier der modernen Fotochemie und Prophet der artifiziellen Fotosynthese (geboren 1857 in Triest, gestorben 1922 in Bologna).
© Scienza in rete, Italia
Schon vor über hundert Jahren sagte der italienische Chemiker Giacomo Ciamician voraus, dass die Menschheit dereinst die fotochemischen Prozesse der Pflanzen nachbauen und die unerschöpfliche Energie der Sonne „ohne Rauch und Schornsteine“ nutzen werde, wenn dereinst die Kohlenvorkommen erschöpft seien. In unserem Jahrhundert, in dem der Ruf nach sauberen, nachhaltigen Energieträgern immer dringlicher wird, der Hunger nach Energie aber weiter wächst, wird die Erforschung der künstlichen Fotosynthese in vielen Laboratorien der Welt vorangetrieben.
Verbesserungen gegenüber der Natur
In Pflanzenzellen findet die Fotosynthese in speziellen Organellen statt, den Chloroplasten, die in den Zellen grüner Blätter zahlreich vorhanden sind. In diesen Solarkraftwerken der Pflanze erfolgt die Oxidation von Wassermolekülen zu molekularem Sauerstoff durch Sonnenlicht in einem hochkomplexen Enzymsystem mit einer Vielzahl von Komponenten, dem sogenannten Fotosystem II. In mehreren Laboratorien, unter anderem in den USA, Großbritannien und Deutschland, ist es in den letzten Jahren gelungen, diese Reaktion in Modellsystemen nachzuahmen. Zunächst wurden dazu Katalysatoren aus teuren Materialien wie Platin oder Iridium verwendet, deren Lebensdauer gering war, weil sie bei der Wasseroxidation Schaden nahmen.
Jetzt aber haben die beiden Ulmer Professoren Carsten Streb und Timo Jacob mit ihren Mitarbeitern einen wichtigen Fortschritt bei der Entwicklung eines künstlichen Blattes erzielt. Die Forscher verwendeten für die Katalyse ein molekulares Gerüst aus vergleichsweise billigem Manganvanadiumoxid. Bei ihrer Entwicklung orientierten sie sich an dem natürlichen Reaktionszentrum des Fotosystems II, in dem vier Manganatome mit Sauerstoff und einem Calciumatom verbunden sind.
Professor Dr. Carsten Streb, Institut für Anorganische Chemie I der Universität Ulm
© KIZ Ulm / Eberhardt
Zur Stabilisation des Reaktionszentrums in ihrem künstlichen Blatt setzten die Wissenschaftler bestimmte polymere Metall-Sauerstoff-Komplexe, sogenannte Polyoxometallate, ein, die weniger sauerstoffempfindlich sind. Damit war das Modell sogar gegenüber der Natur im Vorteil. Denn im lebenden Blatt zerstört sich das Reaktionszentrum durch die Oxidation bei der Fotosynthese selbst und muss ständig repariert werden, wie Streb erklärte.
Wie die von Timo Jacob und seinen Mitarbeitern am Institut für Elektrochemie vorgenommenen Messungen der Sauerstoffproduktion und der elektrochemischen Charakterisierung zeigten, kann sich das künstliche Blatt der Ulmer Forscher damit durchaus mit seinem natürlichen Vorbild vergleichen.
Umsetzung einer Vision
Professor Dr. Timo Jacob, Institut für Elektrochemie der Universität Ulm
© KIZ Ulm / Eberhardt
Zunächst war der Komplex aus Manganvanadiumoxid nicht mit Sonnenlicht, sondern mit elektrischem Strom angetrieben worden. Durch die Verwendung eines lichtabsorbierenden Antennenmoleküls, das wie die Chlorophyllmoleküle im grünen Blatt Lichtquanten einfängt und an das Reaktionszentrum weiterleitet, ähnelt das Modellsystem auch in dieser Hinsicht dem sauerstoffbildenden Komplex im Fotosystem II der grünen Pflanzen. Damit können die Forscher einen entscheidenden Schritt der Fotosynthese – das Einfangen der Sonnenenergie und deren Übertragung auf einen Katalysator, auf dem die Spaltung von Wasser zu Sauerstoff und Wasserstoff stattfindet – experimentell nachvollziehen, neue Einblicke in die chemischen Reaktionen gewinnen und sie gegebenenfalls weiter optimieren, um einen höheren Wirkungsgrad der Energieumwandlung als in Pflanzen zu erzielen.
Bis die Modellsysteme technisch ausgereift sind, sodass sie wirtschaftlich genutzt werden können, wird es noch dauern. Die Vision, mit Hilfe künstlicher Blätter das Sonnenlicht wie bei der Fotosynthese für eine saubere und nachhaltige Energiegewinnung und -speicherung zu nutzen, ist heute aber aktueller denn je. Giacomo Ciamician hatte sie bereits 1912 in seinem Aufsatz „The Photochemistry of the Future“ (Science 36, 385-394, 1912) beschworen: „Wenn unsere auf Kohle basierende schwarze und aufgeregte Zivilisation durch eine ruhigere Zivilisation abgelöst wird, die auf der Verwendung von Solarenergie beruht, dann wird das dem Fortschritt und dem Glück der Menschen nicht zum Schaden gereichen.“