Ein Pflanzenhormon und das Wachstum im Dunkeln
Auch Pflanzen haben Hormone. Zum Beispiel die Jasmonsäure, die lange Zeit vor allem als Botenstoff bekannt war, der Abwehrreaktionen gegen Pathogene einleitet. Vor einigen Jahren entdeckte Dr. Michael Riemann vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), dass sie auch Vorgänge beim Keimlingswachstum kontrolliert, das durch Licht reguliert wird. Was ist die molekulare Verbindung zwischen den Lichtrezeptoren einer Pflanze und dem Jasmonsäuresystem? Eine von mehreren Fragen, die in der Arbeitsgruppe von Riemann genauer untersucht werden. Die Modellpflanze der Karlsruher Botaniker ist der in vielen Regionen der Welt als Grundnahrungsmittel unentbehrliche Reis. Die Forschung könnte neue Ansätze für die biotechnologische Verbesserung von Reissorten einbringen, um sie resistenter und ertragreicher zu machen.
Wildtypkeimling (links) neben zwei Mutantenkeimlingen, die im Dauerlicht gewachsen sind, und bei denen die weiße Koleoptile sehr lang ist.
© Dr. Michael Riemann
Ein merkwürdiges Phänomen hatte Michael Riemann als Doktorand vor sich. Er beschäftigte sich mit einer Reismutante, deren Keimlinge sich genau umgekehrt verhielten wie die wildtypischen. In der Erde, also im Dunkeln, wächst ein normaler Reiskeimling zunächst mehrere Tage lang entgegen der Schwerkraft nach oben. Die als Koleoptile bezeichnete schraubenartige Hülle wird länger, dehnt sich und reißt an einer vorgeprägten Naht auf. Das Signal für den Wachstumsstopp und das Aufreißen bekommt sie durch das Licht, wenn sie die Erdoberfläche durchbohrt hat. Erst dann wächst aus der Hülle das erste Blättchen. „Bei der von uns untersuchten Mutante läuft alles spiegelverkehrt ab“, sagt Riemann, der heute promoviert ist und eine Arbeitsgruppe am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) leitet. „Im Dunkeln wächst die Koleoptile gar nicht, sie legt erst los, wenn sie Licht detektiert.“ Eine noch größere Überraschung war allerdings, welcher Defekt für dieses umgekehrte Verhalten zuständig ist. Ursprünglich hatten die Forscher um Riemann das schon seit langem bekannte Molekül Auxin im Verdacht, denn es reguliert in vielen Pflanzengeweben das lichtabhängige Wachstum. Durch Zufall entdeckten sie dann, dass ihre Reispflänzchen keine Jasmonsäure produzieren können.
Ein Molekül und das globale Hungerproblem
Jasmonsäure ist ein Pflanzenhormon. Es wird von einer Pflanzenzelle ausgeschüttet, wenn diese durch zum Beispiel Insektenfraß zerstört wird. Das Hormon leitet in der Umgebung der Blessur über ein komplexes System aus nachgeschalteten Molekülen eine Abwehrreaktion gegen den Angreifer ein. Die Pathogenabwehr ist die prominenteste Funktion des Botenstoffs, zahlreiche Forschungsgruppen haben die Zusammenhänge untersucht. Jasmonsäure kann aber noch mehr. Sie dient zum Beispiel als flüchtiges Pheromon bei der Kommunikation zwischen Pflanzen oder als Signal bei der Ausschüttung von Pollen durch die Staubgefäße. Und es leitet Maßnahmen ein, wenn abiotischer Stress wie Übersalzung des Bodens auftritt. „Dass es bei der sogenannten Photomorphogenese der Reiskeimlinge eine Rolle spielt, also beim lichtgesteuerten Wachstum, war bis dahin nicht bekannt“, sagt Riemann. Eine Entdeckung, die auch für die Industrie interessant sein könnte, selbst wenn Riemann und seine Gruppe momentan reine Grundlagenforschung betreiben. Denn gerade bei dem ernährungspolitisch so wichtigen Reis kann die Kenntnis der Zusammenhänge zwischen Pathogenabwehr, lichtgesteuertem Wachstum und Überlebensstrategien auf übersalzenen Böden wichtig sein. Zum Beispiel wenn es darum geht, die Pflanzen biotechnologisch widerstandsfähiger und ertragreicher zu machen. Und die Jasmonsäure ist offenbar der molekulare Schnittpunkt der drei Signalsysteme.
Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines belichteten Keimlings, bei dem sich die Koleoptile geöffnet hat.
© Dr. Michael Riemann
Riemann und seine Mitarbeiter machten sich nach ihrer Entdeckung auf die Suche nach den Mechanismen, die hinter dem merkwürdigen Verhalten ihrer Reiskeimlinge stehen. Zusammen mit Kooperationspartnern aus Japan, die über die Geräte und das Know-how für spezielle Mutationsanalysen bei Reis verfügen (das sogenannte Map based cloning), gelang es ihnen, mehrere Gene zu finden, die in den Reismutanten defekt sind. „Alle diese Gene haben entweder mit der Biosynthese der Jasmonsäure oder mit dem Netzwerk aus Signalen zu tun, über das die Jasmonsäure ihre Funktion als Botenstoff erfüllt“, sagt Riemann, der für die Arbeiten nach Japan gereist war. Die Ergebnisse der Mutationsanalysen werden demnächst publiziert. Warum nun aber wächst die Koleoptile der Reismutanten, die keine Jasmonsäure haben, nicht im Dunkeln, wie sie sollte, sondern erst im Licht? Anders gefragt: Welche Rolle spielt die Jasmonsäure bei den molekularen Prozessen, die das korrekte Wachstum und das Aufreißen der Koleoptile regulieren?
Suizid für korrektes Wachstum?
Diese Fragen verfolgen Riemann und sein Team in verschiedenen aktuellen Projekten. Eine der Arbeitshypothesen betrifft das Aufreißen der Koleoptile. „Wir vermuten, dass das mit dem programmierten Zelltod zu tun hat“, sagt Riemann. „Die Jasmonsäure könnte unter Lichteinfall aktiviert werden und den Zellen an der vorgeprägten Rissstelle den Befehl zur Apoptose geben.“ Diese Hypothese muss noch bewiesen werden. Außerdem interessieren Riemann und Co sich für die biochemischen Schritte, die notwendig sind, damit Jasmonsäure, die inzwischen selber als Vorläufermolekül für letztendlich signalwirksame Moleküle gilt, in die aktive Form überführt werden kann. Welche Enzyme sind hierfür notwendig? Was genau machen sie? Ein ganz neues Projekt, das mit dem lichtinduzierten Wachstum nicht direkt zu tun hat, adressiert die Frage, welche Rolle das Hormon beim Wachstum auf übersalzenen Böden spielt. Gibt es Mutanten, die entweder besser oder schlechter mit Salzstress umgehen können? Und was kann man mit ihrer Hilfe über die molekularen Mechanismen lernen, mit denen sich Pflanzen vor abiotischem Stress schützen?
Eines der LED-Felder, unter denen die Reiskeimlinge aufgezogen werden und mit deren Hilfe die Karlsruher Forscher verschiedene Lichtbedingungen simulieren können.
© Dr. Michael Riemann.
Für ihre Forschung verfügt die Gruppe von Riemann über eine eigene Mutantenkollektion, die in Zusammenarbeit mit dem Botanischen Garten zur Saatgutvermehrung nachgezogen wird. Die anspruchsvolle Hormonanalytik, bei der es darum geht, sehr kleine Konzentrationen der Botenstoffe in Pflanzenproben zu bestimmen, übernehmen die japanischen Kooperationspartner. In Karlsruhe finden zum Beispiel Experimente statt, die die Regulation von Genen in den Keimlingen anvisieren. Die Herstellung von rekombinanten Proteinen, Extraktion von RNAs, Tests verschiedener Enzyme sowie mikroskopische Analysen sind in Karlsruhe möglich. Unter LED-Lampen können die Forscher die Lichtverhältnisse manipulieren, unter denen ihre Reiskeimlinge gedeihen. So simulieren sie zum Beispiel die Dunkelheit im Erdreich oder die Helligkeit übertage. Und danach können sie überprüfen, welche Gene und welche Enzyme jeweils aktiviert wurden. Die Gruppe ist vierköpfig. „Aber wir sind sehr gut im Institut für Botanik am KIT eingegliedert“, sagt Riemann. „Viele der Projekte überschneiden sich thematisch mit den Projekten von anderen Arbeitsgruppen und man hilft sich gegenseitig."