Ein Protein bringt Stress zur Sprache
In der Evolution mussten Pflanzen lernen, mit Stressfaktoren wie Trockenheit oder hohen Salzkonzentrationen im Boden umzugehen. Die Biologen um Professor Dr. Ralf Reski und Privatdozent Dr. Wolfgang Frank von der Universität Freiburg haben nun gemeinsam mit britischen Forschern ein Protein gefunden, das hilft, die Zellkerne einer Moospflanze über ungemütliche Umweltreize zu informieren. Es scheint wichtig zu sein, damit die Zellen eine Art Stress-Sprache beherrschen und Gegenmaßnahmen einleiten können.
Mit dem Schritt aufs Land handelten sich Pflanzen Probleme ein. Seit rund 450 Millionen Jahren müssen sie nun schon trockene Perioden überstehen oder sich gegen zuviel Salz im Boden wehren. Die ersten grünen Landeroberer entwickelten daher ein System aus miteinander verschalteten Molekülen, das Stress wahrnimmt und die Zellkerne darüber informiert. In den Zellkernen werden dann Gene aktiv und leiten Gegenreaktionen ein. „Dieses System haben die Samenpflanzen, zu denen auch die meisten Nutzpflanzen gehören, sekundär verloren“, sagt Professor Dr. Ralf Reski, Inhaber des Lehrstuhls für Pflanzenbiotechnologie an der Universität Freiburg. „Sie haben spezielle Gewebe entwickelt, mit denen sie Salz los werden oder Wasser speichern können und haben diese Fähigkeit nicht mehr gebraucht.“ Den Rest hat der Mensch besorgt: er züchtete für ihn wichtige Arten unter Bedingungen, in denen sie so gut wie keine Stressabwehr benötigten. Er verdrängte damit die Fähigkeit zur Stresstoleranz aus ihren Genen. Das ist gerade heute fatal: „Der Klimawandel und die intensive Landwirtschaft verschärfen die Austrocknung und Übersalzung von Böden“, sagt Reski. „Und das wird in Zukunft noch schlimmer werden.“
Sprachbegabte Pflänzchen
Das Kleine Blasenmützenmoos Physcomitrella patens dient am Lehrstuhl für Pflanzenbiotechnologie der Universität Freiburg als Modellorganismus zur Untersuchung molekularer Mechanismen der Stressanpassung.
© Prof. Dr. Ralf Reski
Ist es möglich, Samenpflanzen den Umgang mit Stress wieder beizubringen? Einen guten Lehrer könnte das Kleine Blasenmützenmoos (Physcomitrella patens) abgeben. Der Modellorganismus aus dem Labor von Reski ist nicht aus so vielen spezialisierten Geweben aufgebaut wie Samenpflanzen. Moose waren die ersten Grünlinge, die aus dem Meer aufs Land kamen. Sie zählen zu den so genannten Generalisten, die in jeder Umgebung einigermaßen gut gedeihen können. „Wir haben Studien an dem Kleinen Blasenmützenmoos gemacht, die gezeigt haben, dass es mit abiotischem Stress wie Trockenheit oder Übersalzung sehr gut umgehen kann“, sagt Privatdozent Dr. Wolfgang Frank, Leiter einer Arbeitsgruppe an Reskis Lehrstuhl. Alle Zellen des Mooses können Salzstress wahrnehmen und ihn sowohl ihren Zellkernen als auch ihren Nachbarzellen mitteilen. Wie sie ihre Botschaft in Worte fassen, verstehen die Freiburger nach ihren neuesten Experimenten ein Stückchen besser.
„Man wusste bereits, dass Mooszellen nach Stressreizen ein Kalzium-Signal erzeugen“, sagt Frank. „Dieses Signal besteht aus oszillierenden Konzentrationsabnahmen und –zunahmen des Ions im Zellinneren.“ Ein Wellenmuster entsteht also in einer gestressten Zelle und breitet sich auch in die Umgebung aus. Die Täler der Wellen sind unterschiedlich tief und weit von einander entfernt, je nach dem, ob sie eine hohe Salzkonzentration, Trockenheit oder andere Stressfaktoren codieren. „Es handelt sich um eine Art Sprache“, sagt Reski. „Die Zellen im Moos nehmen äußere Reize wahr und verschlüsseln sie in Form dieser unterschiedlichen Kalzium-Wellenmuster.“ Die Zellkerne lesen diese Sprache und schalten unterschiedliche genetische Programme ein. Dass molekulare Pumpen an der Zellwand und an den Membranen von Speicherorganen im Zellinneren bei Stress regelmäßig Kalzium-Ionen in die Zelle pumpen, wussten Wissenschaftler schon seit längerem. So entstehen die Berge in den Wellen. Was aber sorgt dafür, dass die Kalziumkonzentrationen in regelmäßigen Abständen auch wieder abnehmen? Was erzeugt die Täler?
Eine Pumpe und ein Speicherorgan
„Um Faktoren zu finden, die mit diesen Prozessen etwas zu tun haben, untersuchten wir, welche Gene in einer Mooszelle sehr früh nach Stresseinwirkung angeschaltet werden“, erklärt Frank. Eines dieser Gene hatte eine bekannte Sequenz: Es codiert offenbar für eine Ionen-Pumpe. Wenn Frank und seine Mitarbeiter dieses Gen ausschalteten, dann verloren die Moospflanzen ihre Toleranz gegenüber hohen Salzkonzentrationen. Applizierten die Forscher Farbstoffe in die Zellen, die Kalzium binden können und in Abhängigkeit von seiner Konzentration stärker oder schwächer leuchten, dann sahen sie bei ihren Mutanten auch keine Oszillation der Farbintensität mehr – ein Hinweis darauf, dass sich die Kalziumwellen nicht mehr ausbildeten. Die Konzentration stieg zwar zunächst, schrumpfte dann aber nicht mehr, sondern blieb auf dem erhöhten Wert. Genau der Schritt schien gestört zu sein, der ein Tal in der Kalziumwelle erzeugt.
Normale Moospflanzen (Wildtyp) können hohe Salzkonzentrationen tolerieren. Pflanzen, bei denen das Gen für die so genannte Kalzium-ATPase ausgeschaltet wurde, bleichen aus und sterben.
© Prof. Dr. Ralf Reski
Durch Kopplung des Gens für die Kalzium-ATPase an das Gen für das Grün Fluoreszierende Protein GFP wiesen die Forscher die Position der Ionen-Pumpe in dieser Mooszelle nach. Rot leuchten die Chloroplasten, grün leuchten die Membranen der kleinen Vakuolen mit der ATPase.
© Prof. Dr. Ralf Reski
„Das Gen, das wir gefunden haben, codiert für eine so genannte Kalzium-ATPase“, sagt Frank. „Dieses Protein sitzt an den Membranen von kleinen Vakuolen und pumpt unter Verbrauch von Energie Kalzium-Ionen aus dem Zellinneren in diese Speicherorgane zurück.“ Kleine Vakuolen sind Membranbläschen, die neben der zentralen großen Vakuole in jeder Mooszelle vorkommen. Ihre Funktion war bisher unbekannt. Dass die Kalzium-ATPasen genau an der Schnittstelle zwischen diesen Speichern und dem Zellinneren sitzen, zeigten die Forscher, indem sie das Gen für die Pumpe mit einem Gen für das Grün Fluoreszierende Protein (GFP) koppelten. Die Zellen stellten dann ein Fusionsmolekül aus diesen beiden Proteinen her. In mikroskopischen Aufnahmen leuchteten die Membranen der kleinen Vakuolen und verrieten die Position der ATPase.
„Unsere Arbeit zeigt zum ersten Mal, wie die Täler in den Kalziumwellen entstehen“, sagt Reski. Damit verstehen die Freiburger jetzt besser, wie die Worte in der Sprache der Mooszellen gebildet werden. Auch in Samenpflanzen wie Reis gibt es möglicherweise rudimentäre Ansätze zu einer Stress-Sprache. Vielleicht können Forscher sie mit dem neuen Wissen in Zukunft fördern. Die Zellen im Reis könnten dann lernen, bei Stress ihre Zellkerne wachzurütteln.