Einblick in die Geheimnisse der DyP-Peroxidasen
Die DyP-Peroxidase AauDyP, ein Enzym aus dem Speisepilz Judasohr, ist zusammen mit anderen Hämperoxidasen Forschungsgegenstand der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Dietmar Plattner vom Institut für Organische Chemie der Universität Freiburg. Seine Mitarbeiter Dr. Klaus Piontek und Eric Strittmatter haben, in Zusammenarbeit mit Kollegen des Internationalen Hochschulinstitutes Zittau, mit kristallografischen Methoden die atomare Struktur des Enzyms vollständig aufklären können. Ihre Absicht ist es, die Funktionsweise der Peroxidase besser zu verstehen, um mit diesem Wissen zukünftig Enzyme herzustellen, die in der Biotechnologie Verwendung finden.
Im Judasohr (Auricularia auricula-judae), das bevorzugt am Holz von alten Holunderbüschen wächst und tatsächlich ein bisschen aussieht wie ein Ohr, finden sich viele Enzyme, die dem Pilz unter anderem seine Ernährung sichern. Darunter auch Peroxidasen, deren Aufgabe der Auf- und Abbau bestimmter Stoffe ist. Peroxidasen sind spezielle Enzyme, die sogenannte Peroxide umsetzen, Stoffe, die eine reaktive Sauerstoff-Sauerstoff-Bindung enthalten. Dadurch werden die Peroxidasen für weitere chemische Umsetzungen aktiviert. Peroxidasen sind gerade in Pilzen und Bakterien sehr weit verbreitet. Doch auch im menschlichen Körper sind sie zahlreich zu finden und hier beispielsweise am Steroidauf- und abbau beteiligt oder auch dafür notwendig, Fettsäuren zu verstoffwechseln. Bei der alltäglichen Arbeit dieser Enzyme werden auch Gifte eliminiert, die den Körper schädigen können. „Das ist allerdings nur ein erwünschter Nebeneffekt der Peroxidasen, den man biotechnologisch nutzen kann“, erklärt Prof. Dr. Dietmar Plattner vom Institut für Organische Chemie der Universität Freiburg, „aber es ist nicht ihr primärer biologischer Zweck.“
Pilzliche Enzyme können unter anderem dann für den Menschen interessant sein, wenn diese in der Lage sind, Lignin abzubauen. Lignin ist ein Bestandteil von Holz, den nur ganz wenige Organismen zersetzen können. Oder wenn man die Enzyme einsetzen kann, um Farbstoffe farblos zu machen, so wie es in der Jeansherstellung bei dem gewünschten Stonewashed-Effekt der Fall ist.
Die Molekülstruktur wird sichtbar
Judasohr (Auricularia auricula-judae)
© Dr. Klaus Piontek, Universität Freiburg
Seit Jahren gilt nun schon das Forschungsinteresse der Gruppe um Plattner den Hämperoxidasen, jenen Enzymen, die wie das Hämoglobin als zentralen Kofaktor ein Häm, bekannt als Blutfarbstoff, besitzen. Die aus dem Judasohr stammende DyP-Peroxidase (Dye-decolorizing) ist eine von vielen Hämperoxidasen und sie hat den Wissenschaftlern das Geheimnis ihres Aufbaus preisgegeben. Ganz einfach war das jedoch nicht. Zunächst brauchten sie eine Pilz-Reinkultur, um an das Enzym zu kommen. Zur Analyse muss man einen Einkristall des Enzyms züchten, einen einzelnen, morphologisch eindeutigen Kristall, der nur über einen langsamen Prozess zu gewinnen ist. Erst durch seinen regelmäßigen hochsymmetrischen Aufbau lässt sich nun mit dem sehr aufwendigen Verfahren der Röntgenkristallografie seine molekulare Struktur näher beleuchten.
Zu diesem Zweck fährt das Team nach Grenoble zum ESRF (European Synchrotron Radiation Facility), einem riesigen Teilchenbeschleuniger. Die dort erzeugte Röntgenstrahlung hat eine extrem hohe Intensität und ist optimal geeignet, Materie auf atomarer Ebene zu untersuchen. Beim Enzymkristall wird durch diese Methode ein Beugungsbild erzeugt, auf Basis dessen letztendlich die Elektronenverteilung im Molekül sichtbar gemacht werden kann. „Das ist sozusagen der Mantel oder die Verkleidung der einzelnen Atome“, veranschaulicht Dr. Klaus Piontek, „man sieht nur die Umhüllende und kann somit den Aufbau des Gesamtmoleküls rekonstruieren“. Plattner vergleicht das zugrunde liegende Prinzip mit dem eines Mikroskops, bei dem das Licht von einer Linse zu einem Bild zusammengefasst wird. Einziges Problem dabei: „Es gibt keine Röntgenlinse“, so der Chemiker, „aber man kann sich helfen: Der Computer, mit dem wir unsere Daten auswerten, ist quasi unsere Linse und so bekommen wir ein Bild“.
Verstehen, wie Enzyme arbeiten
Gezüchtete Kristalle der DyP-Peroxidase
© Dr. Klaus Piontek, Universität Freiburg
Wie Dietmar Plattner, Klaus Piontek und Eric Strittmatter gemeinsam mit Forschern des Internationalen Hochschulinstitutes Zittau herausgefunden haben, spielen zwei Aminosäuren bei der Arbeit der DyP-Peroxidase eine entscheidende Rolle. „Wir haben mit unseren Methoden belegt, dass ein bestimmtes Tyrosin an der Enzymoberfläche verantwortlich für die Wechselwirkung mit dem Substrat ist“, erläutert Piontek. Dieses Tyrosin ist es nämlich, das dem Substrat ein Elektron wegnimmt und so den Elektronenfluss einleitet, der letztlich zur Entfärbung von Farbstoffen führt. Über die zweite Aminosäure fließt das Elektron zum zentralen Eisenatom der Hämgruppe im Inneren der DyP-Peroxidase.
Ebenso konnte das Wissenschaftlerteam, das sich aus Chemikern und Strukturbiologen zusammensetzt, mit kristallografischen Methoden klären, dass speziell diese DyP-Peroxidase zwei unterschiedliche Vertiefungen oder Bindungstaschen hat, die Substratmoleküle unterschiedlicher Größe aufnehmen können. Dadurch ist es dem Enzym möglich, verschiedene Substanzen umzusetzen.
Maßgeschneiderte Enzyme für die Biotechnologie
Bändermodell der DyP-Peroxidase. Zentrale Hämgruppe (rot), beteiligte Aminosäuren (pink)
© Dr. Klaus Piontek, Universität Freiburg
Warum ist es nun interessant, Moleküle bis ins letzte Detail zu erforschen? „Wir versuchen neben der klassischen chemischen Synthese auch immer mehr von der Natur zu lernen“, sagt Plattner, „weil wir auf die Art vielleicht die Funktionsweise des Enzyms auf chemische Verfahren übertragen können. Das nennt sich biomimetische Synthese.“ Insbesondere für Moleküle, die auf traditionelle Weise nur schwer oder gar nicht synthetisierbar sind, ist das Enzym-Know-how von unschätzbarem Wert.
Im Zuge der „Green Chemistry“ ist das Einsetzen von Enzymen als Synthesereagenzien ein erstrebenswerter Weg, möglichst umweltverträglich zu produzieren, weil Enzyme wegen ihrer milden Reaktionsbedingungen den chemischen Verfahren oft überlegen sind.
Mit dem Verständnis, wie etwa Peroxidasen arbeiten, lässt sich sogar eine Verbesserung hinsichtlich bestimmter Eigenschaften erreichen. „Wie kann man also Enzyme modifizieren, um sie industriell besser anwendbar zu machen?“ lautet die Frage, die Piontek in den Raum wirft. Damit meint er beispielsweise eine Erweiterung oder Einschränkung des Substratspektrums. Eric Strittmatter, der einzige Biologe im Team, weiß die Antwort: „Man produziert mittels gentechnischer Methoden eine Variante des Enzyms. Auf diese Art kann man beispielsweise eine Aminosäure austauschen, die Teil der Bindungstasche ist. Dann passen unterschiedliche Substrate hinein und damit kann man ein bisschen steuern, was das Enzym letztlich umsetzt.“ Denkbar wäre ferner, durch solche Mutationen die Aktivität des Enzyms in organischen Lösungsmitteln, wie Aceton oder Alkohol, in denen der kleine Helfer normalerweise denaturieren würde, zu erhalten.
Im Rahmen des vierjährigen EU-Projektes BIORENEW und des aktuellen Programms BioIndustrie2021 haben die Wissenschaftler an Hämperoxidasen gearbeitet. Angesichts der finanziellen Grundausstattung der Universitäten durch das Land betrachten sie ihre Forschung an der Uni allerdings als Hobby. „Wenn jeder hier nur seine 40 Stunden in der Woche arbeiten würde, gäbe es keine Forschung“, sagt einer von ihnen.