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Einfacher Zucker könnte Glyphosat bald Konkurrenz machen

Glyphosat in Pflanzenschutzmitteln wird in der Landwirtschaft weltweit seit Jahrzehnten eingesetzt, obwohl die gesundheits- und umweltschädliche Wirkung des Herbizids kontrovers diskutiert wird. Nun ist eine nachhaltigere Alternative in Sicht: Forscher der Universität Tübingen haben das Zuckermolekül 7-Desoxy-Sedoheptulose (7dSH) entdeckt, das Pflanzen und Mikroorganismen hemmt, aber für menschliche Zellen völlig ungefährlich zu sein scheint. Langzeitstudien stehen nun an.

Eine moderne, auf Hochleistung ausgerichtete Landwirtschaft ist ohne den Einsatz von Unkrautvernichtungsmitteln heutzutage praktisch nicht denkbar. Einer der derzeit gebräuchlichsten Hauptinhaltsstoffe von Pflanzengiften ist das Glyphosat, von dem jährlich weltweit hunderttausende Tonnen produziert werden. Alle mit dem Toxin behandelten Pflanzen sterben innerhalb kürzester Zeit ab – mit Ausnahme von gentechnisch veränderten Organismen. Allerdings wird der Einsatz seit einigen Jahren kontrovers diskutiert. Vor allem, weil Studien die Chemikalie in Verbindung mit negativen gesundheitlichen Folgen bringen. 2015 wurde sie von der Internationalen Agentur für Krebsforschung als „für den Menschen wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Andere Behörden und Organisationen widersprachen dieser Bewertung allerdings, sodass Glyphosat 2017 von der EU erneut zugelassen wurde.

Der Mikrobiologe Dr. Klaus Brilisauer hat ein ungewöhnliches Zuckermolekül entdeckt, das von Cyanobakterien hergestellt wird und Glyphosat vielleicht bald Konkurrenz machen könnte – ohne schädliche Nebenwirkungen auf Mensch und Umwelt. © Klaus Brilisauer

Nun hat ein Forscherteam der Universität Tübingen einen Naturstoff entdeckt, der dem umstrittenen Unkrautvernichtungsmittel Konkurrenz machen könnte: ein einfaches, aber ungewöhnliches Zuckermolekül aus Cyanobakterien, das das Wachstum von Mikroorganismen und Pflanzen nachhaltig hemmt, aber für menschliche Zellen ungefährlich ist. Die Studie wurde unter der Leitung von Dr. Klaus Brilisauer und Prof. Dr. Karl Forchhammer vom Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin sowie Prof. Dr. Stephanie Grond vom Institut für Organische Chemie durchgeführt. *

Zuckermolekül wirkt als Antimetabolit 

Bereits vor Jahren hatten die Wissenschaftler beobachtet, dass es Cyanobakterien gibt, die das Wachstum anderer Mikroorganismen hemmen, waren dieser Tatsache aber zunächst nicht näher nachgegangen. Im Rahmen seiner Doktorarbeit fand der Mikrobiologe Klaus Brilisauer nun heraus, wie diese Wachstumshemmung entsteht – und stieß auf dabei auf ein außergewöhnliches Zuckermolekül: die 7-Desoxy-Sedoheptulose (7dSh). „Dass es sich um einen Naturstoff mit einer so einfachen chemischen Struktur handelt, ist erstaunlich“, erklärt der Forscher. „Aber die Strukturaufklärung durch NMR (Kernspinresonanzspektroskopie) war zunächst gar nicht so einfach. Wir hatten zwar schnell die Idee, dass es sich um einen 7er-Zucker handeln könnte. Aber um dies final zu bestätigen, wollten wir die Substanz synthetisieren lassen. Allerdings erklärten uns die Experten, dass dies rein chemisch viel zu kompliziert sei – geht gar nicht, sagte man uns.“

Chemische Struktur der 7-Desoxy-Sedoheptulose (7dSh) © Klaus Brilisauer

So ging der Mikrobiologe selbst zurück ans Reißbrett, um zu überlegen, wie man an den Naturstoff kommen könne. Schließlich isolierte er ein Enzym aus Cyanobakterienkulturen: die Transketolase, um möglichst nah am biologischen System zu bleiben. Er versuchte, mit ihrer Hilfe 7dSh herzustellen – mit Erfolg. „Die Synthese lief tatsächlich ganz gut“, sagt der Forscher. „Mittlerweile stellen wir sogar das Ausgangsprodukt – einen C5-Zucker – aus normaler Ribose selbst her, weil das wesentlich günstiger ist. Und was noch ganz interessant ist: Wir haben im Nachhinein festgestellt, dass die 7dSh-Synthese in den Bakterien ganz genauso abläuft wie bei uns im Reagenzglas – eine lustige Entdeckung für uns.“

Heute können die Wissenschaftler 7dSh leicht schon im Milligrammbereich herstellen und aufreinigen. Dabei wird vom Enzym eine C2-Gruppe auf den C5-Zucker, die 5-Desoxy-Ribose, übertragen, sodass als Endprodukt der Synthese der gewünschte C7-Zucker entsteht. Chemoenzymatische Synthese wird dieses in Tübingen verwendete Verfahren genannt.

Gehemmter Stoffwechselweg existiert bei Mensch und Tier nicht

Keimlinge von Arabidopsis thaliana nach Auskeimung und 7-tägigem Wachstum: Während sich die Kontrollgruppe normal entwickelt hat, wurde das Wachstum nach Gabe von je 250 µg Glyphosat oder 7dSh deutlich gehemmt (Skalierung in allen Bildern identisch). © Klaus Brilisauer

Mit dem synthetisierten Zucker machten sich die Forscher anschließend an die Aufklärung des molekularen Wirkprinzips der Wachstumshemmung. Sie behandelten Cyanobakterien mit 7dSh und untersuchten sie per Massenspektrometrie. „Dabei haben wir gesehen, dass sich an einer Stelle des Stoffwechsels eine bestimmte Substanz ansammelt“, berichtet Brilisauer. „Damit war der Wirkort geklärt: 7dSh blockiert ein Enzym des Shikimatwegs, die Dehydrochinatsynthase (DHQS), die 7dSh mit dem „richtigen“ Substrat verwechselt, sodass die komplette Enzymaktivität und damit auch der Stoffwechselweg zusammenbricht. Und das Interessante daran ist, dass der Shikimatweg nur bei Pflanzen und Mikroorganismen vorkommt, bei Mensch und Tier jedoch nicht existiert.“

Enzyme dieses Stoffwechselwegs sind also generell attraktive Ziele für herbizid wirkende Substanzen: Einer der bislang bekanntesten Inhibitoren ist Glyphosat. Anders als das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel aber handelt es sich bei 7dSh um ein reines Naturprodukt. Erste Untersuchungen konnten auch bereits die Unbedenklichkeit für Mensch und Tier nachweisen. „Hierfür haben wir humane Zelllinien mit extrem hohen Konzentrationen des Zuckers behandelt, um wirklich sicherzugehen, dass dieser keine toxische Wirkung hat, und er erwies sich als völlig unbedenklich“, so Brilisauer.

Weiterhin behandelten die Forscher Zebrafisch-Embryonen mit 7dSh, um die ökotoxische Wirkung auf Wasserorganismen zu testen. Wiederum erwies sich die Substanz als völlig unbedenklich. „Sehr vieles spricht dafür, dass sich keine nachteiligen Effekte auf Mensch und Tier ergeben, auch wenn man den Zucker in hohen Konzentrationen auf den Feldern ausbringen würde“, sagt der Biologe. „Zudem produzieren die Cyanobakterien diesen Stoff ja schon seit Jahrmillionen, ohne dass dies irgendeinen Effekt auf die Umwelt hatte. Wir haben zwar noch keine größer angelegten Tierversuche gemacht, weil es sich ja bisher um reine Grundlagenforschung handelte, aber wir sind sehr positiv gestimmt.“

Suche nach geeigneten Kooperationspartnern läuft

Der Naturstoff 7dSh wurde aus Kulturen des Süßwasser-Cyanobakteriums Synechococcus elongatus isoliert. © Klaus Brilisauer

Dass 7dSh aber im Gegenzug das Wachstum von Pflanzen nachhaltig hemmt, ist sicher. „Es scheint so, als ob die Pflanze den Zucker über die Wurzeln aufnimmt: Er muss aber aktiv aufgenommen werden, deshalb ist es wahrscheinlich nicht möglich, den Wirkstoff nur auf die Blätter aufzusprühen“, berichtet Brilisauer. „Wir sind jedoch keine Herbizidforscher. Das müssen wir in Kooperation mit Experten klären. Es gibt sicher Hilfsmittel, die die Aufnahme erleichtern. Aber man muss natürlich auch eine Substanz finden, die selbst auch umweltverträglich ist.“

Für Kooperationen gäbe es derzeit viele Interessenten – sowohl aus der Industrie als auch aus Universitäten, meint der Forscher: „Die Universität Tübingen hat das Patent angemeldet, nun müssen wir sehen, dass wir geeignete Kooperationspartner finden, um effektiv weiterarbeiten zu können. Denn gibt es noch eine ganz Reihe Fragen zu klären: zum Beispiel, wie die Substanz in die Zellen aufgenommen wird und ob man chemische Derivate herstellen kann. Parallel dazu müssen wir natürlich in Langzeitstudien das Umweltverhalten überprüfen. Wir hoffen natürlich sehr, dass 7dSh eine Chance hat, in vielleicht zwei, drei Jahren den Weg vom Labor aufs Feld zu finden. Aber wir sind da wirklich positiv gestimmt, dass das klappt – unsere Daten sind sehr vielversprechend.“

Literatur:

* Brilisauer, K., Rapp, J., Rath, P., Schöllhorn, A., Bleul, L., Weiß, E., ... & Forchhammer, K. (2019). Cyanobacterial antimetabolite 7-deoxy-sedoheptulose blocks the shikimate pathway to inhibit the growth of prototrophic organisms. Nature Communications, 10(1), 545, https://doi.org/10.1038/s41467-019-08476-8

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