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Entwicklungsziel: Online-Glucose-Sensor für Bioreaktoren

Kleinstlebewesen und empfindliche Zellen in Bioreaktoren brauchen eine geregelte Umgebung und Ernährung, damit sie das tun, was sie sollen: wachsen und produzieren. In vielen Fermentern überwachen Sonden die für den Bioprozess wichtigen Größen Temperatur, pH-Wert und Sauerstoff kontinuierlich. Eine Online-Sonde für Glucose und Ethanol fehlt geregelten Bioreaktoren bislang, obwohl dadurch der Bioprozess schneller und wirtschaftlicher zu gestalten wäre. Ein Verbund aus Forschungseinrichtungen und kleinen Firmen versucht diese messtechnische Lücke in der Bioproduktion zu schließen, an der sich seit 20 Jahren Forscher und Entwickler erfolglos versuchen.

Mit Mitteln des Bundeswirtschaftsministeriums aus dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand arbeiten die Hochschulen Ulm und Aalen sowie die Unternehmen J & M Analytik aus Essingen (Ostalbkreis), Faseroptik Henning (Allersberg bei Nürnberg) und EPIGAP Optronic (Berlin) an einer universellen optischen Multiparametersonde für Bioprozesse. Das System soll aus optischer Sonde, Spektrometer und Auswertealgorithmen bestehen, sich in verschiedenen Bioprozessen und Bioreaktoren einsetzen lassen und bei 121 Grad Celsius sterilisierbar sein. 

Zuversicht: Zeit und Technologien sind reif

Das Absorptionsspektrum im NIR-Bereich reicht nicht, deshalb soll auch der MIR-Bereich herangezogen werden. © HS Ulm

Das mit insgesamt rund einer Million Euro unterstützte Verbundvorhaben verfolgt nach Einschätzung von Martin Heßling von der Ulmer Hochschule (Fakultät für Mechatronik und Medizintechnik) sehr ehrgeizige, aber nicht utopische Ziele. Mittlerweile seien die Voraussetzungen günstiger als zu Beginn ähnlicher Vorhaben. Den meisten Biotechnologen fehlte das gerätetechnische Know-how, auch die komplexe rasche mathematische Auswertung der Messergebnisse sei mit der speziellen Auswertetechnik der Chemometrie möglich, zudem seien inzwischen auch bessere Spektrometer erhältlich. Anders als ihre ‚Vorgänger‘ versuchen die Projektpartner von „Biosens" die Messung nicht mit einem, sondern mit verschiedenen Wellenbereichen durchzuführen.

Im Bioreaktor sind - anders als beim Menschen, der seinen Blutzucker immer noch enzymatisch misst - die Zutaten bekannt, insofern reproduzierbar; mit einer Einschränkung, die auch Heßling kennt: Denn der bestens erforschte, eigentlich gläserne Mikroorganismus Hefe - an dem die Versuche im eigens entwickelten und optimierten 7-Liter-Bioreaktor durchgeführt werden - kann möglicherweise doch Neben- oder Begleitprodukte erzeugen, die noch nicht bekannt sind.

Messung meist zeitversetzt

Bis dato, so geht aus der gesichteten Fachliteratur hervor, kann in Bioreaktoren Glucose noch immer nicht online gemessen werden. Gewöhnlich werden Proben aus der Fermentationsbrühe gezogen und (oft enzymatisch) ausgewertet oder abgeleitet, so dass die Bedingungen im Reaktor kaum realistisch abgebildet werden. Stand der Praxis sind diskontinuierliche Verfahren. Die Messung außerhalb des Reaktors geschieht zeitversetzt, so dass im Grundsatz die Gefahr des Glucosemangels, einer Nahrungsunterversorgung besteht und nicht rechtzeitig behoben werden kann.

Zwar lässt sich dieses Risiko durch ein Mehr an Glucose verringern, was aber wenig wirtschaftlich ist. Zudem droht die Bioproduktion aus dem Ruder zu laufen, wenn der Glucoseüberschuss zu unerwünschten Stoffwechseln führt. So wächst die Backhefe (Saccharomyces cerevisiae) bereits bei Glucosekonzentrationen von nur 0,1 Gramm Glucose/Liter deutlich langsamer und bildet selbst unter aeroben Bedingungen Ethanol (Crabtree-Effekt). Enzym-Sensoren im Reaktorsystem zu etablieren scheitert gewöhnlich an ihrer fehlenden thermischen Stabilität, die die übliche Hitzesterilisation von 121 Grad Celsius nicht überstehen.

Ähnlich ist die Situation bei Ethanol. Auch hier gibt es Messverfahren, aber obwohl Ethanol ein wichtiges biotechnisches (Zwischen-) Produkt ist, fehlte bislang eine Ethanolsonde, die einen Online-Einsatz unter typischen bioprozesstechnischen Randbedingungen ermöglicht. Bis auf wenige Ausnahmen wird der Agraralkohol dem Fermenter als Probe entnommen und teilweise noch manuell im Labor bestimmt. Dies läuft einer schnellen Bioreaktorregelung zuwider und ist bei tage- und wochenlang ununterbrochen laufenden Prozessen wenig wirtschaftlich.

Größerer spektraler Bereich

Projektteam der Hochschule Ulm, v.l. Rudolf Miller (Bioreaktor), Sascha Princz (Fermentation, Chemometrie), Prof. Martin Heßling (Projektleiter), Inga Nurtdinow. Nicht auf dem Bild: U. Wenzel und Linda Gröber. © HS Ulm

Ein Schwerpunkt des Projekts liegt auf den Absorptionsmessungen im Mittleren Infraroten (MIR) Spektralbereich, da hier deutlicher als im Nahen Infraroten (NIR) Spektralbereich starke charakteristische Absorptionsbanden der Substanzen Glucose und Ethanol vorliegen. Ergänzt werden sollen diese Messungen durch Fluoreszenz- und Absorptionsmessungen im UV/VIS-Bereich (ultraviolettes und sichtbares Licht) und NIS-Bereich (NIS: Nahinfrarot-Strahlung). Durch dieses erweiterte Spektrum sollen Überlagerungseffekte des Wassers (das meist in 100fach höherer Konzentration vorliegt) bei Absorptionsmessungen ausgeglichen und die Nachweisgrenze der Glucosebestimmung gesteigert werden.

Als Lichtquelle sollen multispektrale LEDs und Lichtleitereinkopplung eingesetzt werden. Ambitioniert sind die Anforderungen an den Projektkoordinator J & M, der eine Sonde entwickeln muss, die über einen großen Spektralbereich (UV-VIS-NIR-MIR) nutzbar ist, sowohl Absorptions- als auch Fluoreszenzmessungen im Kulturmedium ermöglicht und schließlich zu reinigen und sterilisieren ist. In herkömmlichen Reaktoren könnte die Biosonde als Tauchsonde angebracht werden, in den neuerdings eingesetzten Einwegreaktoren denkt man an eine Messung durch die Wand hindurch. Die württembergische J & M Analytik AG und die benachbarte Hochschule Aalen entwickeln ein System aus MIR-Spektrometer und Absorptionssonde, das bald am Bioreaktor der Hochschule Ulm getestet werden soll.

Chemometrie wird mit Daten gefüttert

Dort, auf dem Ulmer Eselsberg, wird zusammen mit dem Projektkoordinator J & M unterdessen ein robustes mathematisches Verfahren, die Chemometrie, entwickelt. Diese soll aus unzähligen, rasch anfallenden Spektraldaten ebenso schnell die Konzentrationen entsprechender Substanzen (also zunächst Glucose und Ethanol) berechnen. Zur Modellierung werden mit selbst hergestellten klaren Lösungen aus Glucose und Ethanol in Wasser vereinfachte Bedingungen geschaffen. Ehe sich Stoffkonzentrationen in unbekannten Proben bestimmen lassen, muss das mathematische Modell mit bekannten Probenzusammensetzungen kalibriert werden.

Die zwei Mitarbeiter der Hochschule erklären gewissermaßen der Auswertungssoftware, welches Spektrum zu welcher Konzentration gehört. Diese Arbeiten werden momentan für den NIR-Bereich, im Sommer dann für den MIR-Bereich durchgeführt. Dazu werden die Kalibrationsproben spektral vermessen und diese Spektren mit den aus der Referenzanalytik bekannten Konzentrationen der gesuchten Substanzen verglichen. Derzeit werden die bisher vereinfachten Messbedingungen schrittweise der erheblich komplexeren Realität im Bioreaktor mit Luftblasen, streuenden und vom Rührer bewegten Zellen und vielen weiteren, auch unbekannten Substanzen angenähert und das chemometrische Modell bei jedem Schritt angepasst.

Entwicklungsarbeiten mit gut verstandener Hefe

Im Sommer sollen mit dann verbesserter Hardware die Messungen in Standardprozessen mit der billigen und gut verstandenen Hefe beginnen. Angesichts der relativ kurz bemessenen Projektlaufzeit hält es Heßling für realistisch, dass das chemometrische Verfahren etabliert ist, das bei Messungen unter einfachen Fermentationsbedingungen (Hefe, E. coli) zuverlässige Aussagen zur Glucose-Konzentration erlaubt. Noch offen sei, ob die Messungenauigkeit kritische Bereiche wie den erwähnten Crabtree-Effekt erkennt beziehungsweise nachweist. Im zweiten Projektjahr will der Verbund die Sonde für Einweg-Reaktoren angehen. Vorstellbar sind Messungen durch die Kunststoffwand (des Einwegreaktors) hindurch mit Hilfe des Messprinzips ATR (attenuated total reflection), das die Absorption misst, ohne dass der Sensor sich in der Kulturbrühe befinden muss.

Eine Multiparameter-Sonde in den zwei Jahren zu entwickeln, die sowohl in Hefe-, E.-coli-, als auch CHO (Chinese Hamster Ovary)-Fermentern die Glucose-Konzentration misst, gilt den Beteiligten als vermessen. Bewusst ist allen, dass eine solche Multiparameter-Online-Sonde für alle möglichen Bioprozesse hochinteressant ist. Überall dort, wo große Mengen produziert und Prozesse stets kontrolliert werden müssen, wie in der Biopharmazie, der Lebensmittelbranche und möglicherweise auch künftig in der Energiebranche.

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