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Evolutionsbiologie – Verbindungen zwischen Umgebung und Phänotyp

Die Erhaltung und der Schutz von Habitaten ist ein wichtiger Weg, um das Aussterben von Arten zu verhindern. Zuvor müssen jedoch einige wichtige Fragen geklärt werden: Wie entstehen und verbreiten sich neue Arten? Wie passen sie sich an eine neue Umgebung an?

Organismen sind zahlreichen unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt, und die Summe dieser Einflüsse ist entscheidend an der Artentstehung beteiligt. Helen Gunter und Julia Jones, Wissenschaftlicherinnen am Zukunftskolleg der Universität Konstanz, untersuchen zwei dieser Einflüsse. Helen Gunter ist besonders an den Umwelteinflüssen bei der Artentstehung interessiert, während Julia Jones den Genfluss zwischen Elternfischen und deren hybrider Nachkommen untersucht.

Helen Gunter im Labor © Universität Konstanz

Evolution wird in der Regel durch die Selektion von Organismen mit vorteilhaften Genen vorangetrieben. Unter Umständen führt diese Selektion zur Artbildung. Arten können aber auch durch den direkten Einfluss der Umgebung auf den Phänotyp eines Organismus entstehen, ohne dass es hierbei zu Genveränderungen kommt. Dieser Prozess wird “phänotypische Plastizität” genannt und ist einer der Aspekte, denen sich Helen Gunter widmet. “Die Evolution von Fischen aufgrund phäntotypischer Plastizität ist von besonderem Interesse für Entwicklungsbiologen, da diese Arten sehr schnell entstehen können. Ein Teil dieser Veränderungen steht in engem Zusammenhang mit dem Zugang der Fische zu neuen Futterquellen,” berichtet Helen Gunter, die sich speziell mit dem Kauapparat von Buntbarschen im Viktoriasee befasst.

Phänotypische Plastizität – Starke Variabilität des Erscheinungsbildes einer Art

Die Buntbarsche (Cichliden) im Viktoriasee ernähren sich von Fischen, Schnecken, Algen und Pflanzen. Diese Fische haben einen besonders anpassungsfähigen Kauapparat, mit dem sich den Fischen ganz unterschiedliche Nahrungsquellen erschließen. Diese Ernährungsweisen lassen sich auch deutlich an der Maulform ablesen. Während Fische, die sich hauptsächlich von anderen Fischen ernähren, stärkere Kauapparate mit einer geringeren Anzahl an Zähnen haben, entwickeln Fische, die sich auf eine weichere Nahrung spezialisiert haben, einen bezahnten Schlund und Gaumen mit Papillen. “Wenn es uns gelingt, die Gene zu identifizieren, die zu neuen Gebissmorphologien bei Buntbarschen führen, dann können wir womöglich auch die Bedeutung dieser Gene bei der Artbildung verstehen,“ sagt Helen Gunter. Die Kauapparate von Cichliden weisen einige Besonderheiten auf. Sie haben neben den Zähnen im Maul noch weitere Zähne tiefer im Schlund, in der Nähe der Kiemenbögen. Diese Zähne dienen dazu, die Nahrung nach dem Verschlingen zu zerkleinern. Die Mundgebisse dienen zum Festhalten der Beute.

Männliche Xiphophorus clemenciae Stechmücke mit Skala © Universität Konstanz

„Veränderungen der Größe des Schlundgebisses haben auch einen Einfluss auf andere Kopfstrukturen,“ berichtet Helen Gunter. Zum Beispiel gibt es eine direkte Verbindung zwischen den Gebissen und den Kiemenbögen, das heißt, die Größe des Kauapparates hängt direkt von der Größe der Kiemen ab. Daher hängt die Versorgung der Fische mit Sauerstoff auch von der Größe des Kauapparates ab. Zudem muss der Schädel von Fischen, die sich von harter Nahrung ernähren, deutlich kräftiger sein als der von Fischen, die sich auf weichere Nahrung spezialisiert haben. Der Grund hierfür liegt in dem größeren Druck, der beim Kauen harter Nahrung ausgeübt wird.

Die Dominanz von Genen

Die Konstanzer Wissenschaftlerinnen führten einen Fütterungsversuch durch, in dem die untersuchten Fische in zwei Gruppen unterteilt wurden, die entweder nur mit harter oder mit weicher Nahrung gefüttert wurden. Die Genexpressionsanalyse zeigte, dass der Einfluss der Gene größer ist als der Einfluss der Umgebung. „Wir sind natürlich weiterhin daran interessiert herauszufinden, wie die Umgebung die Genaktivität beeinflusst. Das ist immer noch ein Gebiet, das bisher wenig verstanden ist,“ kommentiert Helen Gunter.

Die Rolle natürlicher Hybridisierung bei der Evolution and Artentstehung

Julia Jones führt Messungen in der Natur durch © Universität Konstanz

Populationsgenetik und Evolutionsbiologie sind für Julia Jones wichtige Disziplinen bei ihren Untersuchungen wie sich biologische Diversität entwickelt und wie sie in der Natur aufrechterhalten wird. Die Erforschung der Interaktionen innerhalb einer Art und zwischen unterschiedlichen Arten, sowie deren Wechselbeziehungen mit der Umwelt bildet eine wichtige Basis zum Verständnis dieser Prozesse.

Der recht kleine Süsswasserfisch Xiphophorus clemenciae ist eine der wenigen Tierarten, bei der der natürlichen Hybridisierung eine wichtige Rolle bei der Artenbildung zukommt. Hybridisierung ist ein Prozess bei dem sich unterschiedliche Tier- oder Pflanzenarten kreuzen oder gekreuzt werden und zu Bastarden (Hybriden) führen. Julia Jones befasst sich hierbei mit zwei sehr wichtigen Fragestellungen: Ist die Hybridisierung das Resultat seltener oder isolierter Ereignisse oder eher ein konstanter Prozess über längere Zeiträume hinweg? Welche Genomregionen werden dabei zusammengeführt und welcher Teil des Genoms ist betroffen?

Bei Tieren lassen sich die Fälle, bei denen die Arthybridisierung ein seltenes oder isoliertes Ereignis darstellt, nur schwierig nachweisen. Dieses Problem kann möglicherweise dadurch umgangen werden, indem phylogenetische Datensätze mit genetischen Markern erstellt und anschließend untersucht werden. Sollten hierbei Unstimmigkeiten nachgewiesen werden, dann deutet es mit großer Wahrscheinlichkeit darauf hin, dass die Hybridiserung in der Vergangenheit stattfand. „Wenn sowohl eine frühere und als auch eine aktuelle Hybridiserung nachgewiesen werden kann, dann können wir davon ausgehen, dass der Prozess der Hybridisierung noch andauert,“ erwähnt Julia Jones. Sie folgert daher, dass von einer andauernden Hybridisierung nur dann gesprochen werden kann, wenn eine aktuelle Hybridisierung beobachtet wird.

Die genetischen Auswirkungen der Arthybridisierung (oder in anderen Worten die genetische Struktur infolge der Hybridisierung) können sehr unterschiedlich sein. Der Genomanteil, der an der Hybridisierung beteiligt ist, hängt vorwiegend von den daran beteiligten Prozessen ab.

Wie funktioniert die Arthybridisierung?

Julia Jones bei ihrer Arbeit in einem Fluss © Universität Konstanz

Es gibt zwei unterschiedliche Formen der Artenbildung durch Hybridisierung, d.h. Hybridbildung. Bei der polyploiden Artbildung kommt es zur Bildung einer neuen Art, die dann mehr als zwei Sätze von Chromosomen in den Zellen besitzt. Die Artbildung als Folge der Vermischung des Erbguts der elterlichen Arten, der sogenannten Rekombination, wird folgendermaßen beschrieben: „Die Hybridbildung zwischen zwei Arten führt zu einer neuen Linie, die sowohl fertil als auch reproduktionsfähig ist, aber von den elterlichen Arten reproduktiv isoliert ist,“ erklärt Julia Jones. Sie fügt hinzu, dass die Hybridbildung eine zudem wichtige Rolle bei der Kolonisierung unbewohnter Nischen spielt, d.h. bei der Besiedlung von Habitaten, die den elterlichen Arten nicht zugänglich waren.

Julia Jones verwendet sowohl genetische als auch nicht-genetische Untersuchungsmethoden. „Um die Natur und den Einfluss von Hybridbildung zu verstehen, müssen wir eine Vielzahl unterschiedlicher Aspekte eines Systems untersuchen,“ erklärt Jones. Eine der von ihr verwendeten Methoden ist das sogenannte „Next Generation Sequencing“, das es ihr relativ rasch ermöglicht, die genetische Variabilität in Modell- und anderen Organismen zu untersuchen. Die Einflüsse der Umwelt auf eine Population können mithilfe genetischer Methoden der  Landschaftsökologie (Landschaftsgenetik) identifiziert werden. Mithilfe dieser Methoden kann Julia Jones ein umfassendes Bild über die Prozesse, die zu Arthybridisierung und der daran geknüpften biologischen Diversität führen, erstellen.

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