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Naturstoff mit Herbizidpotenzial

Gleich und doch anders: Was macht den Zucker 7Sdh zum besseren Herbizid?

Der Zucker 7-Desoxy-Sedoheptulose (7dSh) wird von Cyanobakterien gebildet und hemmt den gleichen Stoffwechselweg wie das Breitbandherbizid Glyphosat – und ist damit ein hervorragender Herbizidanwärter. Trotz dieser erstaunlichen Gemeinsamkeit geht Mikrobiologe und Entdecker Prof. Dr. Karl Forchhammer von deutlichen ökologischen Vorteilen des Zuckers aus. Welche das sind, und welche Schwierigkeiten auf dem Weg zur Isolation des Zuckermoleküls gemeistert werden mussten, erzählte er im Gespräch mit Rebecca Debo.

Die Veröffentlichung Ihrer Entdeckung hat damals, im April 2019, hohe Wellen geschlagen. Hatten Sie mit diesem großen medialen Echo gerechnet?

Portraitbild des Mikrobiologen Prof. Dr. Karl Forchhammer
Im Arbeitskreis von Prof. Dr. Karl Forchhammer an der Universität Tübingen wurde der biogene Zucker 7dSh aus Cyanobakterien isoliert und seine herbizide Wirkung erstmals beschrieben. © Prof. Dr. Karl Forchhammer

Forchhammer: Nein, überhaupt nicht, wir waren völlig überrascht. In der Grundlagenforschung habe ich schon viel bedeutendere Entdeckungen gemacht, für die hat sich kaum jemand interessiert. Und plötzlich wird aus einem Nebenprojekt das große Ding. Im Nachgang wurde mir dann klar, warum wir so viel Aufmerksamkeit bekamen. Zum Zeitpunkt der Meldung war das Thema Glyphosat unheimlich stark in der Presse vertreten: Bayer hatte gerade Monsanto übernommen, und die weitere Zulassung von Glyphosat war ja auch schon in der Diskussion.

Dazu kommt, dass es keine Alternativen gibt. Glyphosat wirkt einfach unheimlich gut – wären da nicht diese Nebenwirkungen, vor allem für die Ökologie. Glyphosat geht an seinem eigenen Erfolg zugrunde, weil es im Übermaß verwendet wird. Selbst wenn es vorwiegend abgebaut werden würde, bleiben nicht abbaubare Nebenprodukte in der Umwelt zurück. Das kann man bei den Mengen, die ausgebracht werden, gar nicht verhindern. In dieser Diskussion sah unsere Entdeckung so aus, als böten wir einen Ausweg aus dieser Sackgasse.

Ihre Entdeckung, der Zucker 7-Desoxy-Sedoheptulose (7dSh), ist ein Naturstoff. Kommt es häufig vor, dass man Naturstoffe mit einem solchen Anwendungspotenzial findet?

Forchhammer: Nein, das kommt nicht häufig vor. So etwas ist ein Zufallsfund, mit dem niemand gerechnet hatte. Es ist heute überhaupt sehr schwierig, noch neue Substanzen zu finden. Beinahe alle Substanzen, die entdeckt werden, sind schon einmal beschrieben worden. Auch unsere Substanz wurde bereits Anfang der 1970er Jahre von einer japanischen Arbeitsgruppe beschrieben. Damals wusste man noch nicht, wofür sie gut ist. Wir haben nun zeigen können, dass die Substanz eine hemmende Wirkung auf andere Cyanobakterien hat und das Auskeimen von Arabidopsis-Samen verhindert.

Bezüglich der Entdeckung an sich: Wie genau hat die Isolation des Zuckers funktioniert, und was war dabei die größte Herausforderung?

Fünf Blubberflaschen mit grüner Flüssigkeit in einem Laborständer
Der Naturstoff 7dSh wurde aus Kulturen des Süßwasser-Cyanobakteriums Synechococcus elongatus isoliert. © Klaus Brilisauer

Forchhammer: Die klassischen Arbeitsprotokolle sind für die Isolation von eher hydrophoben Substanzen geeignet. Wir hatten es aber mit einer unbekannten Substanz zu tun, die immer auf der Säule durchrauschte. Dann kamen wir darauf, dass es sich vielleicht um eine polare Substanz handeln könnte. Mit geeigneten Methoden hat sich Klaus Brilisauer (ehemaliger Doktorand von Prof. Forchhammer, Anm. d. Red.) langsam vorarbeiten können und erhielt aktive Fraktionen, die immer weniger Moleküle enthielten. Um zu prüfen, wie komplex die Mischung noch ist, kann eine aktive Fraktion zum Beispiel durch eine Massenspektroskopie analysiert werden. Das Ziel ist, die Mischung so weit aufzureinigen, bis sie nur noch eine Substanz enthält. Dieser Prozess hat fast zwei Jahre gedauert und war eigentlich der schwierigste Teil.

Anschließend ging es darum, aus der Masse eine Molekülformel zu bekommen. Dazu nutzt man die Methode des NMR (Kernspinresonanzspektroskopie, Anm. d. Red.). Anhand von NMR-Spektren konnte unsere Partnerin aus der Organischen Chemie, Frau Prof. Grond, bestimmen, um welches Molekül es sich handelt.

Wie haben Sie die Wirkweise des Zuckers bestimmen können?

Forchhammer: Wir wussten nun, dass es sich um einen Zucker handelt, und dass dieser einige Cyanobakterien hemmt. Aber wir hatten noch keine Ahnung, über welchen Mechanismus der Zucker hemmt, oder dass er das Potenzial eines Herbizids hat. Um den genauen Wirkort des Zuckers herauszufinden, verglichen wir die Metabolite (in einer Zelle durch Stoffwechselvorgänge gebildete Zwischenstufen oder Abbauprodukte, Anm. d. Red.) von mit dem Zucker behandelten und nicht behandelten Cyanobakterien und machten eine sogenannte nicht-gezielte metabolomische Analyse. Dabei werden sämtliche Metabolite analysiert und verglichen. Es wurden nur die Peaks beachtet, die sich in behandelten und unbehandelten Zellen unterscheiden. Dabei kam heraus, dass sich ein Molekül am Anfang des Shikimat-Wegs massiv akkumuliert, in dem Stoffwechselweg, der zu aromatischen Aminosäuren führt. Ab da war dann klar: Wenn sich dieses Molekül anhäuft, dann muss das unser Target sein.

Als ich hörte, dass diese Substanz den Shikimat-Weg hemmt, war mir sofort klar, dass wir wahrscheinlich eine Substanz mit wertvoller herbizider Aktivität gefunden hatten. Denn Glyphosat hemmt denselben Stoffwechselweg, nur an einer etwas anderen Stelle.

Trotzdem sprechen Sie schon jetzt von einem großen Vorteil des Zuckers gegenüber Glyphosat. Worin genau besteht für Sie dieser Vorteil?

Der Forscher im Labor, wie er einen Erlenmeyer-Kolben mit grüner Cyanobakterien-Kultur in der Hand hält.
Der Mikrobiologe Dr. Klaus Brilisauer hat ein ungewöhnliches Zuckermolekül entdeckt, das von Cyanobakterien hergestellt wird und Glyphosat vielleicht bald Konkurrenz machen könnte – ohne schädliche Nebenwirkungen auf Mensch und Umwelt. © Klaus Brilisauer

Forchhammer: Unser Zucker ist ein Naturstoff, der vermutlich seit Millionen Jahren gebildet wird. Andere Organismen sind seitdem mit diesem Stoff in der Umwelt konfrontiert. Und es gibt praktisch keinen Naturstoff, der nicht abbaubar ist. Schon aus Gründen der Plausibilität muss es daher viele Bodenbakterien geben, die diese Substanz im Nu metabolisieren können. Und auch in unseren ersten Vorstudien sieht es so aus, als ob die Substanz relativ schnell im Boden verschwindet.

Wir haben auch eine Vergleichsstudie mit Prof. Dr. Köhler (Institut für Ökologie und Evolution, Universität Tübingen) gemacht, in der die Wirkung von Glyphosat und 7dSh auf Zebrafischembryonen verglichen wurde – hier konnte keinerlei negativer Effekt unseres Zuckers gemessen werden.

Glyphosat hemmt, ebenso wie Ihr Zucker, den Shikimatweg, der ja nicht nur in Bakterien und Pflanzen vorhanden ist, sondern auch in Archaeen, Protozoen sowie vielen Algen und Pilzen. Schon aus diesem Grund hat Glyphosat auch einen großen Einfluss auf die Biodiversität. Wäre dieser Effekt auch bei Ihrem Zucker denkbar?

Forchhammer: Glyphosat hat aufgrund einer relativ langen Bodenverweildauer diesen starken Einfluss auf die Biodiversität. Je länger die Substanz im Boden verweilt, umso stärker kann dieser Effekt auf die Biodiversität sein. Da unser Zucker mutmaßlich eine kurze Bodenverweildauer aufweist, könnte ich mir vorstellen, dass der Effekt auf die Biodiversität wesentlich milder ausfällt.

Sie stellen den Zucker über eine chemoenzymatische Synthese her. Was genau versteht man darunter?

Forchhammer: Bei einer chemoenzymatischen Synthese werden chemische Reaktionen mit enzymatischen Reaktionen gekoppelt. Das Problem mit Zuckermolekülen ist, dass man sie rein chemisch gar nicht in Reinform herstellen kann. Zucker sind aufgrund ihrer Stereochemie sehr komplex. Die einzelnen anhängenden Gruppen können in verschiedene Richtung abstehen; vergleichbar mit Ästen, die aus einem Baumstamm ragen – und das beeinflusst die biologische Wirkung. Wenn nur eine einzige Gruppe eine falsche Stereochemie aufweist, verliert der Zucker seine Wirkung. Das haben wir auch bei unserer Substanz getestet und verschiedene Stereoisomere von 7dSh hergestellt. Der Zucker verlor daraufhin seine herbizide Wirkung.

Wir haben mittlerweile einen Prozess, mit dem wir 7dSh herstellen können. Für die Synthese werden zwei Vorstufen benötigt, ein biologisch hergestellter C5-Zucker und chemisch hergestelltes Hydroxypyruvat. Eine Transketolase stellt im letzten Reaktionsschritt die Endsubstanz her.

Welche nächsten Schritte stehen bei der Entwicklung vom Zucker zum Herbizid nun an?

Forchhammer: Bisher wissen wir, dass die Wirkung auf auskeimende Pflanzensamen besonders groß ist, was vermutlich an der effizienten Zuckeraufnahme der Keimlinge liegt. Die Schwierigkeit besteht darin, die Aufnahme der Substanz in eine weiter entwickelte Pflanze zu bewirken. Dazu gab es bereits einige Versuche, aber noch keinen großen Durchbruch. Deshalb haben wir ein Folgeprojekt mit weiteren Kooperationspartnern beim BMBF beantragt, in dem es um genau diese Weiterentwicklung des Zuckers geht.

Die Seite der Wirkung ist geklärt. Jetzt geht es darum, wie man aus dem Zucker ein Herbizid macht. Denn der Zucker ist noch kein Herbizid: Wenn man den Zucker von außen einfach auf eine Pflanze gibt, muss das noch keine Hemmwirkung entfalten.

Wie schätzen Sie die wirtschaftliche Zukunft des Zuckers ein?

Forchhammer: Die Herstellungsweise ist natürlich nicht billig, und das ist momentan eine große Hürde für die Industrie. Aber wenn wir glauben, dass die Substanz nützlich ist und einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft leisten kann, dann ist es eigentlich in unser aller Interesse, den Zucker zur Anwendung zu bringen. Das geht aber nur mit einen Industriepartner, der auch mitzieht.

Vielen Dank für das Gespräch.

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/gleich-und-doch-anders-was-macht-den-zucker-7sdh-zum-besseren-herbizid