Unternehmensporträt
Goldgrube Biomasse – carbonauten verwandeln Biomasse in hochwertige Plattformprodukte
Mittels der sogenannten „carbotwin“-Technologie kann Biomasse bei gleichzeitiger Energiegewinnung karbonisiert und in zertifizierten Kohlenstoff umgewandelt werden. Dieser kann dann wiederum als Ausgangsstoff für verschiedene Industriezweige eingesetzt werden (Verpackung, Landwirtschaft, Kosmetik etc.). Der Kohlenstoff wird so in den Endprodukten gespeichert und gelangt nicht, wie bei der einfachen Verbrennung, als CO2 in die Atmosphäre. Dass dies nicht nur umweltfreundlich, sondern auch wirtschaftlich rentabel ist, zeigt das Start-up carbonauten aus Giengen in Baden-Württemberg.
Das theoretische Biomasse-Reststoffpotenzial liegt laut der Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR) in Deutschland derzeit bei ca. 151 Mio. Tonnen Trockenmasse. Diese setzen sich aus insgesamt 77 Einzelbiomassen wie beispielsweise Landwirtschaftsabfällen, Siedlungsabfällen oder holz- und forstwirtschaftlichen Reststoffen zusammen. Rund 31 Mio. Tonnen davon bleiben jährlich ungenutzt und werden zum größten Teil der thermischen Verwertung (Verbrennung) zugeführt1. Letztere ist unter Umweltgesichtspunkten jedoch der mit Abstand ungünstigste Entsorgungsweg. Mit der carbotwin-Technologie der carbonauten gibt es nun eine umweltfreundliche Alternative auf dem Markt.
Die carbotwin-Technologie
Laut Torsten Becker, Gründer und Geschäftsführer der carbonauten UG, bietet die innovative Technologie neben ihrer Umweltfreundlichkeit noch viele weitere Vorteile: „Durch die modulare und robuste Bauweise ohne drehende Teile und das energiepositive Karbonisierungsverfahren sind unsere Anlagen sehr effizient und flexibel hinsichtlich verschiedener Biomassen“, erklärt er. Die Entwicklung und Erprobung der Technologie fand in Zusammenarbeit mit einem Ingenieurbüro in den Niederlanden statt. Ein Modul der Anlage umfasst 4 Retorten, d.h. Reaktoren, in denen jeweils bis zu 5m³ Biomasse verkohlt werden können. Die Verkohlung erfolgt mittels Pyrolyse im sogenannten Batch-Verfahren, einem Stapelprozess, bei dem Biomasse nicht kontinuierlich zugeführt werden muss, sondern die Reaktoren während der Karbonisierung verschlossen bleiben. Wie der Name carbotwin schon vermuten lässt, besteht ein Modul aus zwei identischen Wärmekammern, in denen sich jeweils zwei der Retorten befinden. Eine Wärmekammer dient dabei der Verkohlung, die bei Temperaturen zwischen 220 und 650 °C stattfindet und je nach Biomasse 3 bis 6,5 Stunden dauert. Danach wird die Retorte aus der Wärmekammer entfernt und ca. 3 Stunden abgekühlt, bevor die fertige Biokohle entnommen werden kann.
Der entscheidende Vorteil der Technologie: Während der Verkohlung entsteht Synthesegas, welches zu 700 bis 1.000 kW Hochtemperaturwärme umgewandelt werden kann und teilweise zur Erhitzung der Wärmekammern genutzt wird. Durch den geringen Energiebedarf des Produktionsprozesses verfügt die Technologie über eine positive Energiebilanz. „Das heißt, neben hochwertiger Biokohle können wir Strom und Heizwärme produzieren“, erklärt Torsten Becker begeistert. Konkret heißt das: Pro Jahr und Modul lassen sich 1.600 Tonnen Biokohle und 8.000 MWh Wärme produzieren.
Der Markt
Torsten Becker, Gründer und Geschäftsführer der carbonauten
© privat
Die erzeugte Biokohle soll an große Hersteller von Grillkohle verkauft werden, die diese dann als besonders umweltfreundliches Produkt vertreiben können. „Herkömmliche Grillkohle stammt nämlich größtenteils aus schmutzigen Quellen und enthält Tropenholz“, kritisiert Becker. Allein im Jahr 2017 wurden rund 217.000 Tonnen Holzkohle im Wert von 18 Mio. Euro nach Deutschland importiert – damit ist Deutschland EU-weit der größte Verbraucher in diesem Markt. Kritisch dabei: Das Holz für die Kohle stammt aufgrund niedrigerer Preise oft aus Paraguay oder Nigeria2. Als Konsequenz verschärft sich die Abholzungs-Problematik in diesen Ländern. Dem könnte mit der Biokohle aus dem carbotwin-Verfahren entgegengewirkt werden.
Aufgrund des geringen Personalaufwandes, der geringen Betriebskosten und des günstigen Preises für Restbiomasse (z.B. Abschnittsreste aus Sägewerken) ist die Biokohle der carbonauten sogar günstiger als die Konkurrenz aus fossilen Quellen. „Eine Anlage mit drei Modulen erzeugt rund 3 Mio. Euro Umsatz, davon bleibt ohne Einnahmen aus dem Verkauf der entstandenen Energie oder Wärme ein EBITDA (Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen) von rund 1 Mio. Euro. Bereits ab zwei Modulen ist die Technologie extrem wirtschaftlich“, rechnet der Geschäftsführer der carbonauten vor. Wichtig sei jedoch die Zusammenarbeit mit lokalen Recyclern, Sägewerken, Entsorgungsunternehmen und Kommunen, sodass die Biomasse ohne lange Transportwege zu der Verkohlungsanlage transportiert werden könne.
„Dezentralität ist uns sehr wichtig“, sagt Becker. Dies sei auch unter ökologischen Gesichtspunkten sinnvoll, fügt er hinzu. Weitere potenzielle Abnehmer sind neben dem Grillkohle-Sektor Aktivkohle-Hersteller und die Landwirtschaft. So wurden bereits Vorverträge mit einem Aktivkohle- und einem Grillkohlehersteller abgeschlossen, und auch aus der Landwirtschaft gibt es positives Feedback. Landwirte, die die Biokohle beispielsweise als Futtermittel-Zusatz in der Schweinemast oder Hühnerzucht verwenden, benötigen nachweislich weniger Medikamente für ihre Tiere, die zudem „munterer“ werden und an Gewicht zunehmen. Auch als Bodenhilfsstoff kann die Biokohle verwendet werden.
Weitere Anwendungsfelder wie Biokohle-Schaumstoffe für den Bausektor oder biokohlebasierte Kunststoffe befinden sich in der Entwicklung. Um auch hier immer auf dem neuesten Stand zu sein, kooperieren die carbonauten mit verschiedenen Forschungseinrichtungen, unter anderem mit der Universität Hohenheim, und beteiligen sich somit direkt an der Entwicklung innovativer, umweltfreundlicher Produkte für die Bioökonomie.
Regional und international
Die Kaskadennutzung von Ressourcen und das Schließen von Stoffkreisläufen liegt Becker dabei besonders am Herzen. „Es geht uns nicht nur um Gewinn“, sagt der Geschäftsführer, „wir haben den Anspruch, unseren Beitrag zu einer biobasierten, umweltfreundlichen und sozialverträglichen Wirtschaftsweise zu leisten. Ich bin überzeugt, dass uns das mithilfe der carbonauten gelingt.“ So wäre die Technologie auch besonders gut dezentral in Afrika oder Südamerika einsetzbar, wo sehr viel Biomasse anfällt, die relativ einfach und regional verwertet werden könnte. Dadurch könnte auch die lokale Wirtschaft nachhaltig gestärkt werden. Vielversprechende Kontakte nach Südafrika bestehen bereits. Doch auch die arabische Halbinsel, wo es einen hohen Bedarf an Grillkohle gibt, oder Australien hat der Firmengründer bereits ins Visier genommen und Kontakte geknüpft.
In Deutschland wird die erste Anlage in Eberswalde stehen. Weitere in Baden-Württemberg werden folgen. „Bis 2026 rechnen wir mit 15 bis 20 neuen Standorten und der Beschäftigung von ca. 250 Mitarbeitern. Unser Ziel ist die quantitative und qualitative Marktführerschaft in Europa mit mindestens 100.000 Tonnen Biokohlenstoff. Allein in Baden-Württemberg gibt es ein riesiges ungenutztes Potenzial im Bereich der Bioökonomie. So würde unsere Technologie zum Beispiel auch dazu beitragen, das Entsorgungsproblem der Kommunen zu lösen,“ erklärt Becker. Der Enthusiasmus des Firmengründers lässt keine Zweifel offen, dass den carbonauten dies gelingen wird. Für den Ausbau der Bioökonomie in Baden-Württemberg, Deutschland und weltweit sind Pioniere wie Becker und seine Kollegen schon jetzt eine treibende Kraft.