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Heike Frühwirth bringt Ingenieurskunst in den Algenhype

Bei Heike Frühwirth zerplatzen euphorische Potenzialabschätzungen wie Gasblasen im Algenreaktor. Denn die Österreicherin kennt die Fallstricke der Theorie aus praktischer Anschauung. Seit 2012 ist die Ingenieurin an der Hochschule Biberach im Studiengang Industrielle Biotechnologie für Verfahrenstechnik zuständig. Ihr Spezialgebiet sind Algen. An kaum einem anderen biogenen Rohstoff entzünden sich so viele Phantasien. Kaum eine andere Biomasse weckt so viele Hoffnungen auf eine zukünftige Bioökonomie.

Nicht, dass Heike Frühwirth solche Erwartungen nicht verstünde. Als Kind der 70er Jahre wollte auch sie die Welt retten, begann Müll zu trennen und Energie zu sparen. Allerdings wählte sie, die sich selbst „Anwältin der Umwelt“ nennt, einen pragmatischen Weg, „wo ich ganz konkret etwas bewegen kann“. An der TU Graz studierte sie Verfahrenstechnik und sah sich rasch bestätigt, denn ihr Studium war tatsächlich, so sagt sie rückblickend, die reine Umwelttechnologie.

Biotech-Liaison startet mit Promotion

Algenexpertin und Verfahrenstechnikerin Prof. Dr. Heike Frühwirth © Hochschule Biberach

Auf die Biotechnologie stieß Frühwirth erst während ihrer Promotion, wo sie im Rahmen eines EU-Projektes ein neues Verfahren zur Aufreinigung von Biokunststoffen bis in den Technikumsmaßstab entwickelte. Sie versetzte salzliebenden Archaebakterien, die mit dem Reststoff Molke gefüttert wurden, einen osmotischen Schock und „befreite" sie auf elegante Art und Weise von ihrer wertvollen Fracht Polyhydroxybutyrat (PHB). Das Biopolymer, von den Bakterien gespeichert, lässt sich zu Kunststoff verarbeiten.  

2005, nach einem kurzen Postdoc-Aufenthalt, wechselte Frühwirth zum Anlagenbauer BDI - BioEnergy International AG in die Forschungs-Abteilung. Dort sollte sie zunächst das Biokunststoff-Projekt weiterführen. Rasch aber sah sich die Verfahrenstechnikerin mit dem Algen-Hype konfrontiert. Von phantastischen Hektarerträgen und waghalsigen Maßstabsvergrößerungen auf Basis von Labordaten wimmelte die Literatur, die Frühwirth durchkämmte.

Sie untersuchte daraufhin Algen auf ihre Tauglichkeit als Rohstoffquelle für Biodiesel. Ihr Fazit, nachdem sie viele Isolate und Stämme aus Mikroalgen-Sammlungen auf schnelles Wachstum und Fettproduktion durchmustert hatte: Mikroalgen sind auf den ersten Blick keine wünschenswerten Produzenten für die Biodiesel-Produktion, da ihre Kultivierung viel Energie erfordert.

Kardinalproblem: viel Wasser, wenig Alge

Algen wachsen rasend schnell, weiß Prof. Dr. Heike Frühwirth. © Pytlik

Das Hauptproblem: Algen liegen anders als Hefen nur in hoher Verdünnung vor, im günstigen Fall beträgt die Ausbeute gerade mal zehn Gramm pro Liter: „Ein Prozent Feststoff und 99 Prozent Wasser". Und dieses eine Prozent Feststoff ist auch noch kein direkt verwertbares Öl, sondern lediglich Biomasse, aus der erst noch Öl gewonnen werden muss. Überdies, so Frühwirths Fazit, besitzen Algen nicht nur Neutralfette, die sich sehr gut zur Umesterung eignen, sondern auch viele Lipide mit polarem Anteil, aus denen sich kein Biodiesel herstellen lässt.

Die Konsequenz aus den Testreihen: Statt Biodiesel ist es lohnender, hochpreisige Wertstoffe wie Omega-3-Fettsäuren aus Mikroalgen zu  gewinnen; langkettige (C26-) Omega-3-Fettsäuren als Nahrungsergänzung, auch als Futtermittel zur Steigerung der Tiergesundheit und der Qualität von Fleisch und Eiern seien ökonomisch von kaum zu überschätzender Bedeutung, lernte Heike Frühwirth. Als Forschungsleiterin entwickelte sie neue Prozesse zuvor selektierter Algen vom Erlenmeyer-Kolben bis zum 300-Liter-Reaktor für das operative Geschäft mit mittelfristiger Perspektive. Auch grundlagenorientierte Projekte wie die Wasserstoffgewinnung aus Algen verfolgte die Verfahrenstechnikerin mit Begeisterung.

Teure Radikalfänger

Der Abschied aus der Industrie fiel Frühwirth dennoch nicht zu schwer. Schließlich konnte sie die oft marktgetriebene Projektarbeit gegen die Freiheit der Forschung („das ist etwas Großartiges, das Spannende und Tolle anzugehen“) eintauschen - trotz hoher Lehrverpflichtung. Nach einjähriger lehrebedingter „Algen-Abstinenz“ stießen ihre Studierenden Heike Frühwirth wieder auf ihr Spezialgebiet.

In Biberach entwickelt sie mit Hilfe der Alge Haematococcus Astaxanthin, ein rotes Pigment, das der Einzeller unter Stress herstellt. Für den Radikalfänger werden am Weltmarkt einige tausend Euro pro Gramm erlöst. Der Farbstoff lässt sich auch chemisch herstellen. Auf dem Weltmarkt gibt es zwei Unternehmen, die den Wertstoff auf Algenbasis produzieren, weiß Frühwirth.

Zweiter Forschungsschwerpunkt ist die Entwicklung von Adsorbern. Algen können Schwermetalle an ihrer Oberfläche anlagern, was in den Biberacher Laboren mit Blei und Arsen untersucht wurde. Zusammen mit ihren Studierenden will Frühwirth in die Arsen-Adsorption einsteigen und damit ein Trinkwasserproblem in Bangladesch anpacken. Dort ist das aus den Brunnen geförderte Trinkwasser oft hochgradig mit Arsen verseucht und bedroht die Bevölkerung. Das Biberacher Projekt will Hilfe zur Selbsthilfe leisten: „Wir wollen einen einfachen, robusten Prozess zur Kultivierung von Algen entwickeln, sodass Menschen vor Ort an Algen ihr Trinkwasser reinigen können, ohne von einer energieaufwendigen Trinkwasseraufbereitungsanlage abhängig zu sein.“ Inzwischen spielen sie in den Laboren einige Konzepte durch. Viele Studierende sind daran interessiert, „die Welt zu verbessern“, sagt ihre Lehrerin lächelnd und fühlt sich offenkundig an ihre Grazer Anfänge erinnert.

Zurück zu den Grundformen

Grün ist die Hoffnung: Algenreaktor an der Hochschule Biberach © Hochschule Biberach

In Biberach setzt Heike Frühwirth ihre zuvor unterbrochene Entwicklung von Algen-Reaktoren wieder fort. Analog zum Forschungsansatz des AlgaePARC im niederländischen Wageningen setzt die Verfahrenstechnikerin bei den Grundformen der Reaktoren an. Nur damit ließen sich die Biosynthese und der jeweilige Einfluss der Technik vergleichen und damit ein optimales Reaktordesign erzielen. In unterschiedlichen Reaktoren wird die jeweilige Astaxanthin-Synthese miteinander verglichen. Ähnlich verfährt Frühwirth beim Lichteintrag, den sie in Zusammenarbeit mit einem Biberacher Energieingenieur untersucht.

Ihre Forschung gehorcht dem verfahrenstechnischen Grundsatz, wonach Systeme für eine Maßstabsvergrößerung physikalisch und geometrisch ähnlich sein müssen. Mag das Scale-up technisch gelingen - die Unsicherheit biologischer Systeme ist damit noch nicht gebannt, weiß Heike Frühwirth. Wie weit die industrielle Algenproduktion noch von technologischer Reife entfernt ist, verdeutlicht zum Beispiel die Tatsache, dass die automatische Dichtemessung in einem Algenreaktor noch an Kleinigkeiten scheitert, an Gasblasen und Algenanhaftung. Damit ist eine automatische Ernte verfahrenstechnisch nicht möglich. Grundsätzlich lässt sich die Dichte in Flüssigkeiten gut messen, solange sich darin keine Gasblasen befinden und keine Algen anwachsen. So wird die Dichtemessung in dem Dreiphasen-System zur technischen Herausforderung.

Wassermanagement - ein Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg

Für den wirtschaftlichen Betrieb von Algenreaktoren ist auch der Wasserhaushalt eminent wichtig. Heike Frühwirth hat dazu ein Recyling-Konzept entwickelt, das den Fermentationsüberstand mit einem einfachen Schritt aufarbeitet und damit einen 1.800-Stunden-Betrieb ermöglicht, das Wasser also mehrere Monate im geschlossenen System hält.

Angesichts des frühen Entwicklungsstadiums algenbasierter Bulk-Produktion ist es nicht verwunderlich, dass mancher Laboransatz bei der Maßstabsvergrößerung oft abrupt endet. Algen sind die Biomasse der Zukunft, ist die Ingenieurin dennoch überzeugt. Angesichts knapper werdender Roh- und Reststoffressourcen sei es vorteilhaft, dass Algen keine landwirtschaftlichen Flächen benötigen. Denkbar für die Algenexpertin wäre es, Algenreaktoren auf Dächer zu stellen, wenn andere Biomassen teuer werden. Dann ließen sich auch Demonstrationsanlagen wirtschaftlich betreiben. Verfahrenstechnisch sei das machbar, Sonnenlicht, Wasser und CO2 gebe es reichlich.

Algen-Technologie noch vor großen Herausforderungen

Chlorella-Algen haben eine Verdopplungsrate von 20 Stunden. © Pytlik

Noch aber ist dies Zukunftsmusik. Auf kurze Sicht lassen sich heute schon im Hochpreis-Segment Algen verwerten, ist Heike Frühwirth überzeugt. So wie die Erzeugung von Omega-3-Fettsäuren, die auf direktem Weg und nicht über den aufwendigen Prozess-Umweg über Fischöl wohl auch in einer Ökobilanz ordentlich abschneiden könnte, sofern der Wasserkreislauf verfahrenstechnisch gelöst wird.

Grundsätzlich hält die Biberacher Algenexpertin auch die schiere Massenproduktion von Algen mittel- bis langfristig für machbar, wenn die Technologie nach vier, fünf Jahrzehnten Entwicklung gereift ist. Dann können Algen ihr Potenzial ausspielen, weil sie Sonnenstrahlen effizienter als Landpflanzen verwerten. Noch aber muss die Algenbiotechnologie nach Heike Frühwirths Einschätzung vier große Herausforderungen meistern: die Wasseraufbereitung (-Kreislauf), den Temperatureintrag über Sonnenlicht, den noch geringen Automatisierungsgrad und den noch nicht optimierten Energieeinsatz zum Anlagenbetrieb.

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