Indikatoren für eine bessere Biomassenutzung in Baden-Württemberg
Handlungsentscheidungen sind umso belastbarer, je besser sie mit Fakten und Zahlen gestützt sowie ethisch reflektiert sind. Das gilt auch für die Biomassenutzung. Deshalb werden in einem interdisziplinären Forschungsprojekt der Universitäten Stuttgart und Tübingen Indikatoren dafür erarbeitet. Die Basis sind Untersuchungen der Nutzungspfade vom landwirtschaftlichen Rohstoff bis zum Lebensende der daraus hergestellten Produkte.
Der Biologe Dr. Ludger Eltrop leitet seit 2003 die Abteilung
Systemanalyse und erneuerbare Energien SEE am Institut für
Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung IER der Universität
Stuttgart.
© Eltrop
Vier der neun ökologischen Belastungsgrenzen (Planetary Boundaries 2.0), die ein weltweiter Zusammenschluss von Wissenschaftlern für die Erde definiert hat, gelten als bereits überschritten: Es sind die Grenzen in den Bereichen Klimawandel, Biodiversität, Landnutzung und biogeochemische Kreisläufe. Alle vier haben mit der Nutzung von Biomasse zu tun. Wie sie in diesem Kontext auf Landesebene einzuordnen und zu bewerten ist, untersuchen Wissenschaftler der Universitäten Stuttgart und Tübingen im Projekt „Indikatoren Biomassenutzung BW 2.0“. Die Arbeiten werden drei Jahre lang vom Land Baden-Württemberg gefördert und sollen dazu beitragen, die Biomassenutzung in Zukunft besser ausrichten zu können.
Projektleiter Dr. Ludger Eltrop vom Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung IER der Uni Stuttgart erklärt, warum das so wichtig ist. „Seit rund 15 Jahren steht die energetische Biomassenutzung stark im Vordergrund – eine hohe Vergütung für den Anbau nachwachsender Rohstoffe zur Energiegewinnung bot ab 2004 auch einen überschießenden Anreiz. Nun geht es darum, die Entwicklung zu justieren, die stoffliche Nutzung stärker ins Bewusstsein zu rücken und ein gutes Gleichgewicht einzustellen. Die Potenziale der Biomasse – besonders zur stofflichen Nutzung – sind noch nicht ausgeschöpft. Hier gilt es, die Biomassenutzung auf ein stabiles Gleichgewicht zu bringen.“
Um die Biomassenutzung besser bewerten zu können, müssen zunächst die stofflichen und energetischen Nutzungspfade so umfassend wie möglich quantifiziert werden. Dafür definiert das Projektteam ökonomische, ökologische und soziale Schlüsselindikatoren. Hier kommen auch die Projektpartner um Prof. Dr. Thomas Potthast vom Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Uni Tübingen ins Spiel. „Das IZEW ergänzt die quantitativen Analysen. Die Tübinger Kollegen reflektieren und bewerten die Arbeiten aus ethischer Perspektive und untersuchen zum Beispiel, ob Nachhaltigkeitsaspekte ausreichend berücksichtigt sind“, sagt Eltrop. Wann ist welches Produkt in der Kette der Biomassenutzung nachhaltig? Wie schwierig diese Frage zu beantworten ist, zeigt die Betrachtung im Gesamtkontext. Die Nutzung von Mais statt Erdöl zur Kunststoffherstellung könnte zum Beispiel die Menge an Treibhausgasen verringern, aber durch einen übermäßigen Maisanbau wird die Biodiversität geschädigt. Hier Licht in die Gesamtbetrachtung zu bringen, ist gemeinsame Aufgabe der Stuttgarter und Tübinger Projektpartner.
Stoffliche und energetische Nutzung ins Gleichgewicht bringen
Die Ingenieurin Natalia Matiz Rubio bearbeitet im Rahmen ihrer
Doktorarbeit am IER das Projekt „Indikatoren Biomassenutzung BW 2.0“.
© Matiz Rubio
Das Stuttgarter Team geht das Projekt aus seiner Expertise zur Lebenszyklusanalyse heraus an. „Der ganzheitliche Ansatz des Lebenszyklus eines Produkts ist ein guter Anfangspunkt, kann allerdings keinen vollständigen Ansatz bieten. Wir haben eine gewisse subjektive Auswahl an Kategorien getroffen, die wir betrachten, um das Ganze handhabbar zu machen“, sagt Eltrop. Natalia Matiz Rubio bearbeitet das Projekt im Rahmen ihrer Doktorarbeit am IER und erklärt das Vorgehen der Stuttgarter Gruppe: „Wir betrachten ökonomische, ökologische und soziale Indikatoren – allerdings nicht separat, sondern integrativ, wobei für uns die ökologische Perspektive im Vordergrund steht. Wir definieren Umweltwirkungsindikatoren in Anlehnung an die kritischen biophysikalischen Prozesse, die den genannten ökologischen Belastungsgrenzen entsprechen.“ Auch die stofflichen und energetischen Pfade werden nicht separat betrachtet, sondern in Kombination.
Matiz Rubio macht diese „Kaskadennutzung“ am Beispiel einer Fallstudie zur Maisnutzung deutlich: „Wir untersuchen die Auswirkungen, wenn Körnermais zum Beispiel einerseits als Rohstoff für Kunststoff genutzt wird oder andererseits für die Bioethanolproduktion. Dabei berücksichtigen wir aber auch, wie die Auswirkungen sind, wenn der Kunststoff später entsorgt und verbrannt wird und aus dieser Verbrennung Energie gewonnen wird.“ Einerlei, ob stoffliche oder energetische Produkte am Ende der Kette stehen: Die Wissenschaftler beziehen stets auch Substitutionsaspekte mit ein, wie Eltrop erklärt. „Wir untersuchen, welche Produkte in den Prozessketten substituiert werden, ob es sich dabei um wertvolle oder einfache Produkte handelt. Dabei können die Pfade auch mit Nebenpfaden verbunden sein, das heißt, wir untersuchen auch den Ansatz ‚Bioraffinerie‘, in dem die Nutzung aller Einzelkomponenten der biogenen Rohstoffe angestrebt wird.“ Um beim Beispiel Mais zu bleiben, wäre die energetische Nutzung eine relativ einfache Kette und die Verarbeitung zu Kunststoff im Rahmen einer kaskadischen Nutzung eher mit einer hohen Wertschöpfung verknüpft.
Systemische Analysen liefern Daten für Entscheidungen zur Biomassenutzung
Rund ein halbes Jahr vor Projektende haben die Wissenschaftler bereits einige Nutzungspfade so weit bilanziert, dass sie bewertet werden können. Zwar sind noch nicht alle Indikatoren ausgewertet, aber für CO2-Äquivalente als Wirkungsindikator für den Klimawandel kann Matiz Rubio schon ein Beispiel nennen: „Die energetische Nutzung von Mais ist als einfache Kette eher negativ zu bewerten. Hier werden nur Strom, Wärme oder Kraftstoffe substituiert. Die Nutzung von Mais zur Produktion von Kunststoff hingegen lohnt sich in der Bilanz, bei diesem Nutzungspfad wird zusätzlich Plastik substituiert.“
Weitere Indikatoren, etwa Stickstoff-Äquivalente als Indikator für die Eutrophierung, sind für diverse Nutzungspfade noch in Arbeit. Für vergleichsfähige Aussagen verfolgt das Team auch den Ansatz der Monetarisierung der Umweltwirkungen, auch wenn diese Methode ihre Grenzen hat. Dabei werden alle Einheiten bzw. Äquivalente in eine Einheit, und zwar den Euro, umgerechnet. Zumindest für die Auswahl der betrachteten Indikatoren wird so eine Aussage darüber möglich, welcher der untersuchten Nutzungspfade für einen bestimmten landwirtschaftlichen Rohstoff wie Mais der bessere ist. Solche Bewertungen bieten dann eine belastbare Basis für Handlungsempfehlungen an Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft und Forschung – mit dem großen übergeordneten Ziel, eine effizientere Biomassenutzung und damit biobasierte Wirtschaft zu ermöglichen.