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Insektenchitin macht Textilherstellung nachhaltiger

Insekten haben ein Außenskelett, das vor allem aus Chitin besteht – einem langkettigen Zuckermolekül. Aufgrund seiner funktionellen Gruppen stellt es ein wertvolles neues Biopolymer für verschiedenste Anwendungen dar. Zudem sind die Vorkommen dieses Rohstoffs nahezu unerschöpflich, da Chitin permanent und tonnenweise aus verschiedenen Quellen in der Natur hergestellt wird. Bisher fokussierte sich die Chitingewinnung auf Fischereiabfälle. Die Isolierung aus Insekten wurde noch nicht in Betracht gezogen. Derzeit entwickeln Forscher des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) gemeinsam mit sechs Partnern ein neues biotechnologisches Verfahren. Insektenchitin soll nutzbar gemacht und für die Beschichtung von Textilien verwendet werden können.

Dr.-Ing. Thomas Hahn forscht nach Möglichkeiten, um Insektenchitin nutzbar machen zu können. © Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB)

Chitin ist ein Biopolymer, das aus langen Zuckerketten besteht. Es wird von vielen Lebewesen wie Insekten und Krustentieren als Außenskelett oder auch von Pilzen als Zellwandkomponente gebildet. Dadurch ist es eines der am häufigsten vorkommenden Polymere auf der Erde, von dem jährlich mehrere Milliarden Tonnen in der Natur hergestellt werden. Theoretisch also ein nahezu unerschöpflicher nachwachsender Rohstoff – allerdings bislang weitgehend ungenutzt. Erste Versuche, Krabbenschalen zu verarbeiten und als Rohstoffe für die Polymerindustrie bereitzustellen, wurden gemacht und werden auch bereits vermarktet. Insektenchitin blieb jedoch bisher völlig ungenutzt, da zum einen keine Methoden existierten, mit denen das Polymer nutzbar gemacht werden kann; zum anderen gab es bis vor Kurzem auch keine wirtschaftliche Chitinquelle.

Dr.-Ing. Thomas Hahn und sein Wissenschaftlerteam forschen unter Leitung von Dr.-Ing. Susanne Zibek am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) in Stuttgart in Kooperation mit sechs nationalen sowie internationalen Partnern seit 2015 im Projekt ChitoTex. Sie suchen nach einer Möglichkeit, Insektenchitin zu verarbeiten und als funktionelle Beschichtung für Garne und Stoffe in der Textilindustrie verwenden zu können. Chitinlieferant für die Forscher ist Hermetia illucens, die Schwarze Soldatenfliege, die von der niederländischen Firma Protix gezüchtet werden. „Eigentlich werden die Insekten dort auf pflanzlichen, GMP+-zertifizierten Reststoffen aus der Nahrungs- und Futtermittelindustrie kultiviert, um hochwertiges Protein für Tierfutter herzustellen – Gleiches ist übrigens auch in der Diskussion als Bestandteil menschlicher Nahrung“, berichtet Hahn. „Sobald sichergestellt ist, dass keine Kontaminanten oder Mikroorganismen im Produkt präsent sind, könnte diese Proteinnahrung durchaus auch für den Menschen infrage kommen.“

Insektenzucht auf Reststoffen

Kokons der Schwarzen Soldatenfliege (Hermetia illucens) nutzen die IGB-Forscher als Chitinquelle, um wertvolle neue Biopolymere herzustellen. © Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB)

Von der niederländischen Insektenfabrik erhielten die Chemiker zu Projektbeginn unterschiedliche Proben, die am Fraunhofer IGB auf Chitin untersucht wurden und jeweils verschiedene Anteile des Rohstoffs enthielten. Die Proben mit den höchsten Chitinanteilen wurden dann zur weiteren Verarbeitung ausgewählt. „In einem Vorgängerprojekt wurden bereits zwei Mikroorganismen isoliert, die chitinolytische Fähigkeiten zeigen“, sagt Hahn. „Zu unseren Aufgaben im laufenden Projekt gehört es jetzt, neben der Koordination von ChitoTex, gemeinsam mit den Projektpartnern Verfahren zur Aufreinigung des Insektenchitins, zum enzymatischen Abbau zu Chitosan und zur chemischen Modifikation zu entwickeln. Zudem führen wir die Chitinanalytik durch." Außerdem sollen zukünftig auch dezentrale Quellen für Chitin direkt vor Ort geschaffen werden – vor allem in Hinsicht auf die zukünftige Verwendung für die menschliche Nahrung: „Aus einem Kilogramm Essensresten kann man zwei Kilogramm Insekten gewinnen. Das ist wesentlich nachhaltiger als die Herstellung von Rind- oder Schweinefleisch“, fügt der Wissenschaftler an. „Chitin aus Insektenresten wird da ein Nebenprodukt darstellen.“

Aktuell ist schon ein großer Teil des Projekts, das im Moment Halbzeit hat, erfolgreich abgearbeitet: Vom norwegischen Projektpartner wurden mehrere Gene für chitinolytische Fähigkeiten identifiziert und vom österreichischen Partner, dem Enzymspezialisten EUCODIS Bioscience GmbH, werden diese exprimiert. „Wir am IGB werden später die Umsetzung des Insektenchitins mittels eines enzymatischen Cocktails durchführen“, berichtet Hahn. Chitosan kann als Rohstoff zur Herstellung der verschiedensten Biopolymere dienen. Derzeit testen die Fraunhofer-Wissenschaftler, die mit insgesamt drei Arbeitsgruppen am Projekt beteiligt sind, gemeinsam mit ihren Partnern aus der Textilindustrie, der Reutlinger Dr. Petry GmbH und der Lauchringer Lauffenmühle GmbH & Co KG, wie man das Chitosan am besten funktionalisieren und auf Textilien aufbringen kann. Man erhofft sich dadurch eine verstärkte Nachhaltigkeit in dem doch stark chemisch geprägten Textilumfeld.

Insektenchitin ersetzt petrochemische Ausgangsstoffe

„Wir wollen damit bessere und umweltfreundliche Produkte für die Textilindustrie schaffen“ sagt der Chemiker. „Beispielsweise kann man das Produkt aus Insektenchitin beim Schlichten1 einsetzen, bei dem Textilien sehr schnell verarbeitet werden. Mit der Chitosan-Beschichtung wird das Material so geschützt, dass es nicht beschädigt wird.“ Darüber hinaus wollen die Forscher eine Methode zur Aminfunktionalisierung von Chitosan etablieren; die Amingruppe könnte dann als Ankerpunkt für neue Moleküle verwendet werden. Beispielsweise erhofft man sich, damit die Waschbeständigkeit der Textilien erhöhen und eine weitere Funktionalität einführen zu können. Eine erste Beschichtung mit vielversprechenden Eigenschaften sei bereits gemacht, wie Hahn sagt. Aber diese seien noch nicht wie gewünscht. Sobald die Entwicklung abgeschlossen ist, soll der Herstellungsmaßstab vergrößert werden. Außerdem sollen positive Eigenschaften des Chitosans wie seine antimikrobielle Wirkung auf die Textilien übertragen werden. Denn Chitosan ist im Gegensatz zu anderen Substanzen wie Silberfäden, die zum Beispiel in Funktionssocken eingearbeitet werden, nicht toxisch und zudem biologisch abbaubar.

Generell wird es zukünftig vielfältige Anwendungen mit Insektenchitin geben, auch außerhalb der Textilindustrie – da ist sich der Stuttgarter Wissenschaftler sicher. Die Partner aus der Textilindustrie seien für biotechnologisch erzeugte Substanzen ausgesprochen aufgeschlossen, wie Hahn sagt. Derzeit kämen hier allerdings noch zu 90 Prozent petrochemische Ausgangsstoffe zum Einsatz: Zwar würde Cellulose verwendet, die Beschichtung aber sei fast ausschließlich aus wenig nachhaltig hergestellten Substanzen.

1 Schlichten: In der Textilindustrie wird eine Imprägnierflüssigkeit, die sogenannte Schlichte auf textile Fäden aufgebracht. Dieser Vorgang führt dazu, dass beschlichtete Fäden geschmeidiger und widerstandsfähiger gegenüber mechanischen Belastungen sind.

28.02.2017 – Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB): Wir danken dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für die Förderung im Rahmen des transnationalen Projektes ChitoTex (Förderkennzeichen: 031A567A)

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/insektenchitin-macht-textilherstellung-nachhaltiger