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Ioanna Hariskos: Biogene Kalkbildung als Muster für die Industrie

Die Mikroalge Emiliania huxleyi ist einer der wichtigsten Kalkproduzenten der Weltmeere. Sie bildet mikroskopisch kleine Kalkplättchen. Dieser biogene Calcit unterscheidet sich von fossilem Kalk vor allem durch seine filigrane dreidimensionale Struktur. Ioanna Hariskos und weitere Wissenschaftler am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) produzieren die biogenen hochkomplexen Kalkpartikel und untersuchen ihre Biomineralisation. Wegen ihrer einzigartigen physiko-chemischen Eigenschaften sind die Mikrokalkplättchen sehr interessant für industrielle Anwendungen. Wie der Prozess der biogenen Kalkbildung auf zellfreie Systeme übertragen werden kann, wird derzeit im Kooperationsprojekt „Zellfreie Biomineralisation am Beispiel von Calciumcarbonat: Ein Weg zur in-vitro Synthese von hochstrukturierten Komposit-Materialien“ erforscht.

Algen produzieren viele Grundstoffe wie etwa Farbstoffe, ungesättigte Fettsäuren, Polysaccharide und Antioxidanzien für die pharmazeutische und die Lebensmittelindustrie. Algen sind allerdings eine bislang wenig genutzte natürliche Rohstoffquelle. Die in fast allen Weltmeeren vorkommende Mikroalge Emiliania huxleyi, eine einzellige Rotalge, ist zwar nur eine von etwa 5.000 verschiedenen Phytoplankton-Arten. Sie macht jedoch bis zu 80 Prozent der Phytoplankton-Gesamtmasse aus und gehört zu den interessantesten Lebewesen unserer Ozeane. Denn ihre Fähigkeit, durch Photosynthese erhebliche Mengen Kohlendioxid durch Kalkbildung zu binden*, stellt einen wichtigen Beitrag zum Ökosystem und für die (Meeres-)Wissenschaftler ein äußerst interessantes Forschungsgebiet dar. Dieser Calcit-bildenden Alge (Calcit: kristalline Form des Kalks) ist es auch zu verdanken, dass wir die Naturspektakel der Kalkfelsen auf Rügen und bei Dover bewundern können.

*Durch diesen als organische Kohlenstoffpumpe bezeichneten Prozess wird die CO2-Konzentration im Oberflächenwasser erniedrigt, sodass CO2 aus der Atmosphäre aufgenommen werden kann (Anm. d. R., nach Informationen des Alfred-Wegener-Instituts)

Kalkpartikel im Fokus der innovativen Materialentwicklung

Ioanna Hariskos züchtet Mikroalgen und untersucht deren Kalkpartikel. © Karlsruher Institut für Technologie

Ioanna Hariskos, Doktorandin am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Bereich Bioverfahrenstechnik am Institut für Bio- und Lebensmitteltechnik, betrachtet Emiliania huxleyi aus einem ganz anderen Blickwinkel: „Diese biogenen Kalkpartikel, welche die Mikroalge produziert, verfügen über hochkomplexe, dreidimensionale Strukturen, die man weder durch Ausfällen von Kalkmilch noch durch Zerkleinern von abgebautem Kalkstein erreichen kann. Daher können die Calcitpartikel aus Mikroalgen ein außergewöhnliches und zukunftsträchtiges Potenzial für industrielle Anwendungen beherbergen", erklärt die Biotechnologin, die sich nach ihrem Studium an der Universität Uppsala fortbildete.

Jeder dieser einzelligen Organismen weist an seiner Oberfläche einen Mantel von 15 bis 120 Kalkplättchen, sogenannte Coccolithen, mit teilweise hochfiligranen Strukturen auf. Die einzelnen, etwa 3 µm kleinen Coccolithen ähneln feinen Waschsieben, deren zentrale Röhre nach außen von einem gebogenen Schirm umgeben ist.

Die einzelnen Kristalle verzahnen sich untereinander und bilden so kompakte, robuste Strukturen. Das kontrollierte Kalkkristall-Wachstum im Zentrum der Alge, die Biomineralisation, ist ein hoch organisierter Prozess. „Doch gerade diese hochkomplexen Kalkplättchen, die im Gegensatz zu fossilem Kalk durch außergewöhnliche dreidimensionale Formen auffallen, haben besondere chemische und physikalische Eigenschaften", erklärt die Wissenschaftlerin.

Fossiler Kalk findet aufgrund seiner vielfältigen Eigenschaften schon seit jeher seine Anwendung in weitgefächerten Industriezweigen. „Bei der Suche nach innovativen Produkten sind darüber hinaus neue Materialeigenschaften wünschenswert. Deshalb entstand die Idee, Calcitpartikel mit ihrer außergewöhnlichen und hochfiligranen dreidimensionalen Struktur, die bei technischen Partikeln nicht vorhanden ist, aus gezüchteten Mikroalgen zu synthetisieren", erklärt Ioanna Hariskos das Ziel des Verbundprojekts „ZeBiCa² - Zellfreie Biomineralisation am Beispiel von Calciumcarbonat" am KIT. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Biotechnologin knackt das Geheimnis der stabilen Produktion

Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme der freien Kalkpartikel, sogenannte Coccolithen, der Mikroalge Emiliania huxleyi © Karlsruher Institut für Technologie

Voraussetzung für eine innovative Charakterisierung der Partikel in Hinblick auf industrielle Anwendung und zellfreie Synthese ist ein geeignetes Kultivierungsverfahren, um eine ausreichend große Masse an solchen Partikeln zu gewinnen. „Dabei geht es zunächst um die Untersuchung, was die Zelle benötigt, um Biominerale bilden zu können." Hariskos gelang im Rahmen des BMBF-geförderten Projektes die Entwicklung eines optimierten Photobioprozesses mit Fokus auf Coccolithen-Bildung.

Algenstämme können hinsichtlich ihrer morphologischen Struktur große Unterschiede aufweisen. Für die Partikelproduktion wurde ein Stamm mit starkem Kalzifizierungsgrad ausgewählt. Bei diesem sitzen die Einzelkristalle so dicht aneinander, dass keine Lücken mehr erkennbar sind, sondern ein geschlossener Mantel um die Zelle sichtbar ist. „Es war eine Herausforderung, eine Kultivierung des geeignetes Stamms unter dem Aspekt der höheren Zelldichte und nicht-natürlichen Bedingungen zu entwickeln", blickt die Wissenschaftlerin, die ihr Masterstudium an der RWTH Aachen in Biotechnologie mit Vertiefungsrichtung Verfahrenstechnik ablegte, auf den schweren ersten Schritt zurück. „Liegen die Zellen in einer höheren Dichte vor als in ihrer natürlichen Umgebung, dem Meerwasser, so können sie sich gegenseitig beeinflussen und auch die hohe Coccolithen-Konzentration kann störend wirken."

Es mussten optimale Prozessbedingungen ermittelt werden, um eine hohe Ausbeute zu erzielen. Gleichzeitig aber musste eine Schädigung der Kristalle vermieden werden. Als Substrat setzen Hariskos und ihr Team modifiziertes künstliches Meerwasser ein. Zusätzlich benötigt die Alge zur Photosynthese Licht. „Wir haben eine spezielle und bewährte LED-Technologie im Einsatz, die von unserem Institut entwickelt wurde und bereits seit einiger Zeit weltweit Anerkennung findet. Dieser LED-Mantel produziert weniger Wärme als Halogen- oder andere Leuchtquellen", beschreibt die Wissenschaftlerin die Vorteile des am KIT entwickelten Leuchtdioden-Mantels.

Kultivierung von Emiliania huxleyi im Bioreaktor mit Lichtmantel des KIT © Karlsruher Institut für Technologie

Im Bioreaktor können die Zellen somit rund um die Uhr mit Licht versorgt und die Lichtintensität der Kulturdichte entsprechend angepasst werden. Die Optimierung der Kultivierung erfolgte aufgrund der Variation verschiedener Prozessgrößen in verschiedenen Bioreaktoren. Zur Analyse wurden täglich Parameter wie Zellkonzentration, Gesamtalkalinität und die Konzentrationen an gelöstem anorganischen Kohlenstoff und Salzen herangezogen.

„Während sich in der Natur 1.000 bis maximal 100.000 Zellen der Kalkalgen pro Milliliter Meerwasser befinden, konnten wir eine Züchtung bis zu 100 Millionen Zellen pro Milliliter erreichen", erläutert Hariskos. Die erfolgreiche Entwicklung eines validen Produktionsprozess im 2-l-Bioreaktor mit ausgefeilter Mess- und Regeltechnik und definierten Umgebungsbedingungen stellt den Meilenstein der vergangenen zwei Jahre im Team Hariskos dar. „Erstmals konnten wir um den Faktor 10.000-100.000 höhere Zelldichten erreichen, so dass jetzt Coccolithen-Ausbeuten bis im g/l-Maßstab erreicht werden." Das ist ein bemerkenswerter Fortschritt, wenn man bedenkt, dass die Industriepartner beispielsweise für das Anwendungsfeld als Farbträger große Materialmengen benötigen. Um eine noch intensivere Charakterisierung der weitgehend noch unerforschten, aber potenzialbergenden Partikel zu erreichen und eine großtechnische Produktion zu ermöglichen, plant Hariskos den Prozessmaßstab zu vergrößern und ein geeignetes Abtrennverfahren zu integrieren.

Potenzieller Einsatz in der Industrie

Charakterisierungen wie die mittels Rasterelektronenmikroskopie, Weißwertbestimmung, Bestimmung der spezifischen Oberfläche und Porengrößenverteilung und chemische Analysen könnten dann noch ausgedehnt werden. Denn für Anwendungen in der Farb- und Oberflächenindustrie müssen Parameter wie Partikelgröße, spezifische Oberfläche und Weißwert berücksichtigt werden. Hariskos konnte weißes Coccolithen-Pulver mit einem geringen Gelbstich gewinnen. Das Potenzial für einen möglichen Einsatz in Farbanstrichen muss noch getestet werden. Coccolithen lassen aufgrund ihrer definierten Größe und der außergewöhnlichen, hochfiligranen Struktur hoffen, die Farb- und Glanzeigenschaften beeinflussen zu können.

Sehr interessant für die industrielle Applikation sind Kalk-Nanopartikel beispielsweise in der Herstellung von Spezialpapieren oder auch Schleifpapieren. „Vermutlich ist die chemische Komposition der Kalkpartikel beeinflussbar und die jeweils erzielten Eigenschaften, wie zum Beispiel erhöhte Abrasivität oder Scheuerfestigkeit, lassen sich an das industrielle Einsatzgebiet anpassen", erläutert die Wissenschaftlerin das Potenzial für die Verwendung in innovativen Produkten. Eine weitere bemerkenswerte Fähigkeit der Partikel ist die Doppelbrechung von Licht. Dies kann in der Optik von Nutzen sein. Jedoch ist hier Reinheit oberstes Gebot; da die Partikel biologisches, organisches Material enthalten, sind hierzu weiterführende wissenschaftliche Arbeiten erforderlich. „Die biogenen Partikel beherbergen ein noch unerschöpftes Potenzial - auch im Hinblick auf weitere medizinische Anwendungen", verrät die Bioverfahrenstechnikerin.

Hariskos hat mit der Produktion einer ausreichenden Menge an biogenen Kalkpartikeln die Tür geöffnet für die nächsten Schritte, das Scale-up und die Charakterisierung in Zusammenarbeit mit Industriepartnern. Gelingt es, Mittel für ein Anschlussprojekt einzuwerben, kann Ioanna Hariskos diese vielversprechenden und zukunftsträchtigen wissenschaftlichen Pläne in die Realität umsetzen.

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