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ITV Denkendorf – Hightech-Schmiede für Textilien

Das Institut für Textil- und Verfahrenstechnik ITV Denkendorf ist Deutschlands größtes und ältestes Textilforschungszentrum. In spezialisierten Labors und Technika wird hier vom Rohstoff bis zum Endprodukt sowohl im Grundlagenbereich als auch anwendungsorientiert geforscht. Die Projekte reichen von Faser- und Garntechnologien bis hin zu Funktionalisierungen, die der Natur abgeschaut wurden.

Die Wurzeln des heute größten deutschen Forschungszentrums seiner Art, des ITV Denkendorf, gehen ursprünglich auf eine kleine Webschule zurück, die im Jahr 1855 in Reutlingen gegründet wurde.

Die Forschungs- und Produktionsflächen des ITV in Denkendorf umfassen rund 15.000 m2. © ITV Denkendorf

Aus dieser entstand rund 40 Jahre später im nahe gelegenen Denkendorf ein Ableger: die Zellwolle-Lehrspinnerei, die in den darauf folgenden Jahren immer wieder erweitert wurde bis 1979 durch Zusammenlegung mehrerer Institute das Forschungszentrum der industriellen Gemeinschaftsforschung DITF Deutsche Institute für Textil- und Faserforschung wurde, zu dem auch das ITV gehört. Das ITV beschäftigt aktuell auf Forschungs- und Produktionsflächen von 15.000 m2 rund 200 Mitarbeiter, hält 450 Patente und führt etwa 600 Industrieberatungen pro Jahr durch. Geforscht wird häufig auch in Kooperation mit anderen Institutionen: Vor allem mit der Universität Stuttgart besteht eine enge Verbindung, aber auch mit anderen nationalen und internationalen Hochschulen sowie der Industrie.

Die komplette textile Produktionskette ist abgedeckt

Am ITV Denkendorf werden sämtliche Aspekte der textilen Produktionskette bearbeitet - von Faser oder Polymer bis hin zum fertigen Produkt. © ITV Denkendorf

Auftraggeber sind Unternehmen sowie die öffentliche Hand, für die das ITV nicht nur forscht und entwickelt, sondern auch Serviceleistungen in Prüflaboren oder einer Pilotfabrik erbringt. Zudem sorgt eine angegliederte Produktservice GmbH für den Technologietransfer in den Bereichen Medizintextilien und Biomaterialien. Das textile Know-how des ITV ist in sechs Geschäftsfelder mit insgesamt 29 Forschungsbereichen gegliedert: Hier werden sämtliche Aspekte der textilen Produktionskette bearbeitet.

Polymerschienen helfen Nerven wieder zusammenzuwachsen

Nervenleitschienen aus besonderen Polymeren können über die Enden durchtrennter Nerven geschoben werden, damit diese wieder zusammenwachsen. © ITV Denkendorf

Zum Beispiel beschäftigt man sich in der Abteilung „Faser- und Garntechnologien" mit der ersten Stufe der Textilherstellung wie der Entwicklung neuer Polymere und Fasern für die Medizin, aber auch der Faserherstellung und -verarbeitung, der Veredlung von Garnen oder der Verwendung nachwachsender Rohstoffe. Im Bereich Biomedizintechnik entwickelten Wissenschaftler besondere Nervenleitschienen aus neuen Polymeren, die, über die Enden durchtrennter Nerven geschoben, diese wieder zusammenwachsen lassen. Wie alle am ITV entwickelten resorbierbaren Polymere, lösen sie sich im Körper nach einer bestimmten Zeit selbst auf. „Die Nervenleitschienen befinden sich derzeit in der Vorbereitung für klinische Tests", sagt Dr. Michael Doser, Leiter der Biomedizintechnik am ITV „Wir wissen, wie viele Menschen hier auf eine Weiterentwicklung warten. Mit der Anwendung in der täglichen Praxis kann man langfristig ziemlich sicher rechnen."

Prinzipien der Bionik für technische Produkte

Der am ITV entwickelte technische Pflanzenhalm ist leicht, aber gleichzeitig stabil und kann für die verschiedensten Leichtbaukonstruktionen verwendet werden. © ITV Denkendorf

Arbeitsgruppen der „Flächen- und Strukturtechnologien" betrachten den nächsten Schritt der Produktionskette, hin zum textilen Flächengebilde. Hier arbeitet man sowohl an der Optimierung traditioneller als auch an neuen Techniken, mit deren Hilfe Stoffe mit speziellen Funktionen oder auch technische Textilien entstehen. Neben der Grundlagenforschung werden die neuen Materialien auch schon in Kleinserien gefertigt. In einem nächsten Schritt wird dann getestet, wie funktionelle Elemente in Fasern und Textilien integriert werden können. Dabei sind nachwachsende Rohstoffe wie Fasern aus Pflanzen, Biopolymere sowie Matrixsysteme in Faserverbünden (Polylactid, Chitosan) Themen aktueller Forschung. Hier greifen die Wissenschaftler des Bereichs „Funktionalisierung" zunehmend auch auf Prinzipien der Bionik zurück und nutzen damit natürliche Konstruktionen für die technischen Produkte: Zum Beispiel wurde ein technischer Pflanzenhalm aus Faserverbundmaterial geschaffen, der leicht und stabil zugleich ist, oder nach Anregung der Wasserjagdspinne ein Stoff für Bademode entwickelt, der nicht nass wird. „Der technische Pflanzenhalm ist für die verschiedensten Leichtbaukonstruktionen gedacht, wie etwa im Flugzeug, Auto oder bei Bauprojekten", erzählt Dr. Thomas Stegmaier, Leiter des Kompetenzzentrums Technische Textilien am ITV. Auch die Idee für einen lichtdurchlässigen, flexiblen Wärmedämmstoff kam aus der Natur: Nach dem Vorbild des Eisbärenfells wurde ein Material hergestellt, das unter anderem für die Abdeckung von Sonnenkollektoren verwendet werden kann. „Dieses Produkt ist auch tatsächlich schon erhältlich, die Serienproduktion durch unseren Industriepartner, die Firma SolarEnergie Stefanakis, ist vor kurzem angelaufen", so Thomas Stegmaier. Für seine Bionik-Forschung wurde das ITV in diesem Jahr im Wettbewerb „365 Orte im Land der Ideen" ausgezeichnet.

Herstellungsprozess wichtig für Wettbewerbsfähigkeit

Am ITV wird aber nicht nur das Produkt an sich, sondern auch die Wertschöpfung für die Herstellung betrachtet. Forschungsarbeiten sind hier die Rationalisierung und Automatisierung der Prozesse oder auch Umwelttechnologien. Dies ist insofern von Bedeutung als die Textilindustrie heute zu den Branchen mit dem höchsten Automatisierungsgrad zählt. Daher sind solche Innovationen eine wichtige Voraussetzung für zukünftige Wettbewerbsfähigkeit – auch gegenüber der internationalen Konkurrenz.

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