Bioökonomie im Ländlichen Raum
Kompetenzzentren in BW – das Landwirtschaftliche Zentrum Baden-Württemberg
Das Landwirtschaftliche Zentrum Baden-Württemberg (LAZBW) ist eine von neun Landesanstalten, die sich mit verschiedenen Aspekten der Landwirtschaft beschäftigen. Diesen kommen im Zusammenhang mit der Förderung einer regionalen Bioökonomie entscheidende Funktionen zu. So widmet man sich am LAZBW der Ausbildung von zukünftigen Fachkräften, dem Wissenstransfer und nicht zuletzt auch der Nutzung von Grünland und Gewässern in Baden-Württemberg.
Der Wandel hin zu einer nachhaltigen, auf biogenen Ressourcen basierenden Wirtschaft kann nur gelingen, wenn einige Prinzipien in Forschung und Wirtschaft beachtet werden (diese werden im Artikel zum Landwirtschaftlichen Technologiezentrum Augustenberg näher vorgestellt). Hierzu gehören eine disziplinäre sowie sektorale Grenzen überschreitende Zusammenarbeit, eine mehrdimensionale Betrachtung aller Aktivitäten sowie die Einbeziehung relevanter Interessensgruppen. Darüber hinaus sollte eine effektive Verknüpfung von Wertschöpfungsketten auf regionaler Ebene erfolgen und die Bedeutung der Landwirtschaft Anerkennung finden.
In Baden-Württemberg entfällt über ein Drittel der landwirtschaftlich genutzten Fläche auf Dauergrünland. Der Bewirtschaftung dieser Flächen, welche als Kernkompetenz des LAZBW gilt, kommt somit eine herausragende Bedeutung für die Entwicklung einer nachhaltigen Bioökonomie zu. An den Standorten des LAZBW in Aulendorf, Wangen und Langenargen widmet man sich Themen der Rinderhaltung, Milchwirtschaft, Futterkonservierung sowie der Wild- und Fischereiforschung. Im Bereich der Aus- und Fortbildung werden Lehrgänge, Seminare und Veranstaltungen durchgeführt. Diese werden durch Angebote wie die Beratung von Biogaserzeugern und Direktvermarktern sowie das Schullandheim „Allgäuer Schulmolkerei“ ergänzt. Zusammen tragen diese zur Funktion des LAZBW als Multiplikator im sektoralen und gesellschaftlichen Diskurs bei.
Eine Einrichtung für die gesamte Wertschöpfungskette
Der einzige Geburtssimulator Deutschlands in Aulendorf bietet Auszubildenden die einzigartige Möglichkeit praxisnah zu üben und unterstreicht den Stellenwert der Ausbildung am LAZBW.
© Anita Herre, LAZBW
Neben den zahlreichen Bildungsangeboten ist besonders die „Anwenderforschung“, die sich mit aktuellen Fragen der praktischen Landwirtschaft auseinandersetzt, hervorzuheben. Versuche in Aulendorf und Wangen erfolgen vorwiegend auf den Gebieten der Rinderhaltung, der Grünlandwirtschaft, des Feldfutterbaus und der Milchwirtschaft. Charakteristisch ist dabei die Abdeckung der gesamten Milchproduktionskette durch die einzelnen Organisationseinheiten. Von der Futtermittelproduktion über die Fütterung der Kühe bis hin zu Gewinnung und Verarbeitung der Milch sind alle Schritte der Wertschöpfung am LAZBW abgebildet.
Dies ermöglicht systemische Betrachtungen der Prozesse in der Wertschöpfungskette. Beispielhaft hierfür steht ein Kooperationsprojekt von LAZBW, Universität Hohenheim, bäuerlichen Modellbetrieben und weiteren Partnern zur Optimierung einer wettbewerbsfähigen Grünlandnutzung auf ungünstigen Standorten in Baden-Württemberg. Diese Flächen erfüllen neben der Milchproduktion auch weitere Funktionen wie den Erhalt von Biodiversität und Landschaftsbild und sind daher für den Tourismus in diesen Regionen bedeutsam. Durch die interdisziplinäre Herangehensweise im Projekt können ganzheitliche Untersuchungen vorgenommen werden und so die Wahl des Kuhtyps bestmöglich an die lokalen Bedingungen angepasst und durch die Auswertung von ökonomischen und ökologischen Kennzahlen auf ihre Nachhaltigkeit untersucht werden. Die Milchproduktion auf diesen Flächen kann somit effektiv weiterentwickelt und auch funktionell mit anderen Wertschöpfungsketten verknüpft werden.
Wissenstransfer als zentrale Aufgabe
Um die größtmögliche Wirkung der Ergebnisse zu sichern, ist es essenziell, diese einem weiten Publikum zugänglich zu machen. Berater, Landwirte und andere Interessierte werden durch Workshops, Seminare, Foren und Veröffentlichungen über Neuerungen informiert und können somit Innovationspotenziale innerhalb und zwischen Wertschöpfungsketten besonders effektiv identifizieren. Bereits heute finden in der Milchverarbeitung Nebenströme wie Lactose, Lactoferrin oder Molkeproteine Anwendung in der Lebensmittel- und Pharmaindustrie. Jenseits dieser Produkte gibt es allerdings in Form von Milchsäure und Casein noch ungenutztes Potenzial für die stoffliche Nutzung.
Aquakultur als Quelle nachhaltigerer tierischer Proteine
Felchenzucht der Fischereiforschungsstelle Baden-Württemberg in Langenargen.
© FFS, LAZBW
Neben diesen eher klassischen landwirtschaftlichen Themen wird am LAZBW auch Wild- beziehungsweise Fischereiforschung betrieben. Letztere ist in der Fischereiforschungsstelle (FFS) in Langenargen am Bodensee angesiedelt und beschäftigt sich mit Fragen der Fischerei und Fischbiologie in Baden-Württemberg. Schwerpunkte sind die Fischerzeugung in Aquakulturen und die Bodenseefischerei. Bezüglich der nachhaltigen Nutzung der Gewässer kommen der Einrichtung wichtige Funktionen zu: Hierzu gehören die Analyse und der Schutz der Fischbestände sowie die praxisbezogene Weitergabe von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Aktuell steht besonders die Erzeugung von Bodenseefelchen in Aquakulturen im Bodensee im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit.
Über diesen Kontext hinaus wird in der FFS unter anderem an der Effizienz von Aquakulturen und ihrem ökologischen Fußabdruck gearbeitet. Zu letzterem gehören beispielsweise Ökobilanzierungen, die die Effizienz von Aquakulturen verständlich aufzeigen. Durch ihre hohe Nährstoffkonversionsrate und den hohen Grad der Verwertbarkeit stellen Fische aus der Aquakultur eine nachhaltige Alternative zur Versorgung mit tierischem Protein dar.1 Im Fall des Bodenseefelchens könnten hierdurch die bislang zur Deckung des Bedarfs notwendigen Importe ersetzt und so der regionalen Wertschöpfung Vorrang gegeben werden. Vorteilhaft hierfür ist die Möglichkeit, Fische in Aquakultur primär auf Basis pflanzlicher Proteine und Fette zu ernähren. Um die Erzeugung weiterzuentwickeln, setzt man in Langenargen ebenso auf völlig neue Herangehensweisen. Beispielhaft hierfür stehen Versuche zur Futterbeimischung geringer Mengen Guar gum*, wodurch die Stabilität der Ausscheidungen erhöht und die Separation von Fischkot wesentlich erleichtert wird. Die zusätzliche Addition von Korkpartikeln ermöglicht das Aufschwimmen der Kotpartikel und die nochmals leichtere Entnahme und Ablaufwasserreinigung der Aquakultur.2 Diese Fütterungsmethode stellt daher eine praxistaugliche Lösung dar und kann im Rahmen der gesellschaftlichen Debatte über die ökologischen Auswirkungen der Fischzucht weiter an Bedeutung gewinnen.
Die FFS steht hierdurch exemplarisch für die Schrittmacherfunktion des gesamten LAZBW in der Etablierung von Innovationen in der Praxis. Die Bedeutung der Tätigkeiten im Bereich der Weiterbildung und Durchführung von praxisbezogenen Versuchen ist gerade im Hinblick auf die aktuelle Entwicklung hin zu einer nachhaltigen Bioökonomie zu betonen. Die ausgeprägte Ausbildungstätigkeit, einschließlich des Schullandheims, ermöglicht es dem LAZBW außerdem, zukünftige Generationen zu prägen, weit in die Gesellschaft hineinzuwirken und diese für die Lebensmittelproduktion und damit einhergehende ökologische und sozioökonomische Betrachtungen zu sensibilisieren. Für eine langfristig angelegte gesellschaftliche Transformation ist der Stellenwert solcher Angebote zu unterstreichen.