Lignin: der alternative Rohstoff im Visier der Forschung
Lignin gehört mit der Cellulose zu den häufigsten organischen Verbindungen auf der Erde. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Chemische Technologie ICT versuchen mit neuen nachhaltigen Aufschluss- und Fraktionierungsverfahren für Lignin die Ausbeute von aromatischen Plattformchemikalien zu optimieren. Damit wollen sie eine Erdölalternative für Pharma-, Kunststoff- und Lebensmittelindustrie liefern.
Dr. Detlef Schmiedl, Projektleiter am Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT
© Fraunhofer ICT
Papier wird aus Holz hergestellt – das lernt man schon in der Schule. Dass jedoch aus Holz Kunststoffe, Medikamente und Klebstoffe gewonnen werden können, ist zunächst nicht so leicht zu verstehen. Die Basis sowohl für das Papier als auch für den Kunststoff ist der Naturstoff Lignocellulose, der als Strukturgerüst für die Zellwand von Bäumen dient. Lignocellulose besteht aus Cellulose, Hemicellulosen und Lignin. Während aus der Cellulose zurzeit Papier und Zellstoff hergestellt werden, dient das Lignin schon heute als Ausgangsstoff für Kunst- und Klebstoffe.
„Lignin hat aufgrund seiner Struktur und Zusammensetzung sehr interessante Funktionalitäten“, erklärt Dr. Detlef Schmiedl, Projektleiter am Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT in Pfinztal. „Denn Lignin ist der wichtigste nachwachsende Rohstoff, der bereits aromatische Strukturen enthält.“ Aromaten, zu denen unter anderem Benzol, Phenol, Toluol und Vanillin gehören, werden heute aus Erdöl gewonnen. Sie werden zur Herstellung von Kunststoffen, aber auch als Plattformchemikalien in der Pharmaindustrie verwendet.
Cellulose und Schwarzlauge
Holz enthält Lignin, das zur Herstellung von Plattformchemikalien und Kunststoffen verwendet werden kann.
© Pixabay CC0 Public Domain
In vielen Zellstoffwerken werden mit den sogenannten Sulfat- bzw. Sulfitverfahren mit Hilfe von Natronlauge, Natriumsulfit und -sulfat das Lignin und die Cellulose getrennt. Neben dem Hauptprodukt, der Cellulose, entsteht der Seitenstrom Lignin in Form der sogenannten Schwarzlauge. Die Schwarzlauge wird verbrannt, um Strom und Wasserdampf zu erzeugen und Aufschlusschemikalien zurückzugewinnen (Energieautarkie von Zellstoffwerken). Bis zu 20 % können jedoch, laut Schmiedl, für andere Prozesse verwendet werden. Denn die Lignine lassen sich aus der Schwarzlauge isolieren (Isolierungskonzepte: LignoboostTM und LignoforceTM). „Man gewinnt bei dieser Isolierung ein Gemisch von nieder-, mittel- und hochmolekularen Ligninen“, erklärt der Chemiker.
Ziel von Industrie und Wissenschaft ist es, diese verschiedenen Lignine zu fraktionieren und sie im Anschluss zu modifizieren. In einigen Fällen wird dies schon gemacht. So entwickelt die TECNARO GmbH aus den sogenannten Kraftligninen Kunststoffgranulate, die sich thermoplastisch verarbeiten lassen. Auch Monomere wie z.B. das Vanillin, Apocynin und Syringaldehyd lassen sich aus Ligninen gewinnen. Der Nachteil der Lignine aus Schwarzlaugen ist jedoch, dass sie aufgrund des Verfahrens Schwefel beinhalten. „Manche Schwefelverbindungen sind schädlich für die Umwelt und auch bei katalysierten Reaktionen häufig ein Problem, da katalytische Prozesse gehemmt werden können“, erklärt Schmiedl.
Zellstoff-Bioraffinerie
Die aktuellen Untersuchungen des Fraunhofer ICT befassen sich unter anderem mit einer schwefelfreien Gewinnung des Lignins und der Cellulose unter Verwendung des säurekatalysierten „Organosolv“-Verfahrens. Im Projekt „Optimierung Organosolv-Aufschluss: Gras-Laubholz/Ligninfraktionierung und Generierung polyfunktioneller Intermediate“ – als Teilprojekt im Forschungsprogramm Bioökonomie Baden-Württemberg gefördert – untersucht Viktoria Rohde im Rahmen ihrer Doktorarbeit, wie ligninbasierte polyfunktionellen Bausteinen für die Entwicklung chemischer Produkte, wie zum Beispiel Lacke oder Kleber, nachhaltig und mit hohen Ausbeuten hergestellt werden können. Die Wissenschaftlerin des Fraunhofer ICT verwendet dazu Pappelholz mit Rinde (Laubholz) beziehungsweise Miscanthus (Gras), die in Kurzumtriebsplantagen (KUP) angebaut werden. „Die beiden Pflanzen bieten sich für das Projekt an. Denn sowohl Pappel als auch Miscanthus haben einen hohen Lignin-Gehalt von 25 bis 30 Prozent“, sagt Schmiedl. „Ein weiterer Vorteil ist, dass sie in kurzen Zeiträumen von 3 bis 5 Jahren zur Verfügung stehen und das Kohlenstoffdioxid schnell aus der Luft fixiert wird.“
Lignin ohne Schwefel
Viktoria Rohde, Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT
© Fraunhofer ICT
Im Organosolv-Verfahren wird das Holz mit Hilfe von Wasser und Ethanol unter hohem Druck in Lignin, Cellulose sowie Hemicellulosen zerlegt. „Schwefelsäure wird nur in katalytischen Mengen von etwa 0,5 Prozent hinzugefügt“, erklärt Schmiedl, „sodass das mit dem Verfahren gewonnene Lignin eine hohe Reinheit hat und schwefelfrei ist.“ Das Verfahren wird für jeden Biomassetyp entsprechend angepasst. Es gibt also für Pappel und Miscanthus eigene Verfahren, um die bestmögliche Ausbeute und Qualität des Lignins zu erreichen. Und die drei Fraktionen lassen sich alle nutzen. Die Cellulose bleibt als Makromolekül erhalten und kann für Industrieanwendungen eingesetzt werden (Zellstoff, Viskose). „Die Cellulose kann auch verzuckert werden, um Zucker der zweiten Generation zu gewinnen“, sagt der Projektleiter. „Damit kann man dann in die biotechnologischen Prozesse einsteigen.“ Die Pilotanlage einer solchen Lignocellulose-Bioraffinerie steht bereits am Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP in Leuna.
Die Fraunhofer Forscher interessiert aber insbesondere das schwefelfreie Lignin. Viktoria Rohde analysiert die Lignine und trennt diese mithilfe thermischer Verfahren in nieder- und hochmolekulare Anteile auf. Das Ergebnis sind ligninbasierte Synthesebausteine, die weiter funktionalisiert werden sollen. Dazu werden verschiedene chemisch funktionelle Gruppen in das Molekül eingefügt, sodass das Molekül seine Eigenschaften verändert. Ziel ist die Synthese von Alkyl-Arylethern unterschiedlicher Funktionalität, die eine gute Basis für verschiedene stoffliche Anwendungen sind.
Lignin für Schaumstoffe
„Ein Ziel ist die stoffliche Verwertung, zum Beispiel in Polyurethanen oder Epoxidharzen“, sagt Schmiedl, wie sie in Schaum- und Klebstoffen enthalten sind. Ferner können Polymeradditive entwickelt werden. Besonders interessant ist jedoch, laut Schmiedl, die Produktion von aromatischen Plattformchemikalien. Dazu gehören 2-Methoxyphenole; 2, 6-Dimethoxyphenole; 1,2-Dihydroxybenzene, denn diese Stoffe stellen die Basis dar für Vanillin, Apocynin, Syringaldehyd sowie aromatische Diamine. Syringaldehyd ist eine Drop-in-Chemikalie zur Darstellung von Photostabilisatoren und Polymeradditiven. Hingegen ist Guajacol Ausgangspunkt zur Darstellung von Vanillin. Vanillin ist der Grundstoff für zahlreiche Naturstoff-Synthesen. Im Bereich der Arzneimittel wird es zur Synthese von L-DOPA, einer Vorstufe des Dopamins, angewendet, einem Medikament gegen Parkinson.
Lignin ist nicht gleich Lignin
Miscanthus- und Pappellignin haben einen unterschiedlichen Strukturaufbau. Schmiedl erklärt, dass das Lignin von Gras deutlich weniger vernetzt und aus drei Bausteinen aufgebaut ist. Daraus ergeben sich natürlich Vorteile: So sei die selektive, katalysierte Depolymerisation des sogenannten H/G/S-Lignins (Hydroxyphenyl-, Guajacyl- Syringyl-Elemente) einfacher und es würden sich höhere Ausbeuten an Monomeren ergeben. Ziel der Doktorarbeit von Rohde ist unter anderem, den Anteil der verschiedenen Monomere bei Pappel-Lignin (S/G-Lignin, Syringyl/Guajacyl-Elemente) und Gras-Lignin zu evaluieren.
Die anschließende Funktionalisierung soll nachhaltig gestaltet werden (12 Prinzipien der Grünen Chemie) und hochskalierbar sein. „Die Krönung wäre es, wenn der Katalysator im Molekül verbleiben könnte und für die Endformulierung verwendet wird“, sagt Schmiedl. So hätte man einen kontinuierlichen Prozess, kein Nebenprodukt und keine aufwendige Reinigung. Dass Lignocellulose ein Rohstoff mit Zukunft ist, weiß Schmiedl allerdings jetzt schon. „Mithilfe der selektiven Prozesse kann man die Ausbeuten der Plattformchemikalien erhöhen“, sagt der Experte „und auch neuartige Strukturen gewinnen“. Aus dem einstigen Energieträger Lignin könnte daher in Zukunft der Basis-Rohstoff für eine Vielzahl neuer Produkte werden.
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Chemische Funktionalisierung von Kraftligninfraktionen (Cat: Katalysator, t: Zeit, T: Temperatur, p: Druck). © Fraunhofer ICT
Chemisches Prinzip der Basen-katalysierten Bildung von primären und sekundären monomeren und oligomeren Ligninspaltprodukten sowie Bildung von Nebenprodukten (vereinfacht). © Fraunhofer ICT