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Biokunststoffe

LIGNOSIT – Dem Lignin einen Wert geben

Die Umweltbilanz erdölbasierter Plastikprodukte sieht nicht gut aus. Für die Kunststoffherstellung findet ein Umdenken in Richtung nachwachsender Rohstoffe statt. Zeit für eine Renaissance des Holzes. Prof. Dr. Marie-Pierre Laborie forscht mit ihrem Team an der Professur für Forstliche Biomaterialien der Universität Freiburg am Nutzungspotenzial von Lignin, dem Klebstoff im Holz. Langfristig möchte sie ein Komposit kreieren, das für den 3D-Druck geeignet ist.

Jährlich werden über 300 Mio. Tonnen Plastik produziert, von denen etwa 4 bis 12 Mio. im Meer landen1. Jedes Jahr entstehen aber auch Mrd. Tonnen an Biomasse durch Photosynthese. Davon wird nur ein Bruchteil als Baumaterial oder für die chemische Industrie genutzt. In diesem Naturstoff liegt jedoch ein Riesenpotenzial, das noch lange nicht ausgeschöpft ist. Unternehmen, Hochschulen und Ministerien sind zunehmend bestrebt, den Plastikkonsum zu senken und erneuerbare Alternativen zu finden. Nur ein Prozent der Kunststoffe weltweit besteht aus nachwachsenden Rohstoffen, das Potenzial ist aber deutlich größer: Ökoplastik könnte aus technischer Sicht Erdölplastik ersetzen.

Chancenreiche Entwicklung biobasierter Produkte

Prof. Dr. Marie-Pierre Laborie ist auf der Suche nach stofflichen Nutzungsmöglichkeiten für den Holzbestandteil Lignin. © Prof. Dr. Marie-Pierre Laborie, privat.

Zellulose wurde bislang als interessantester Bestandteil von Holz für Papierherstellung erschlossen, das übriggebliebene Lignin als Nebenprodukt verfeuert. Im Sinne der Verbesserung der Rohstoff-Nutzungskaskaden ist jedoch eine vorrangig stoffliche Verwertung aller Holzreste wünschenswert, bevor sie energetisch genutzt werden. Die mehrfache Verwendung desselben Rohstoffs sowie eine Kreislaufwirtschaft ohne Abfall sind die ökologischen und ökonomischen Ziele. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) fördert bundesweit Pionierarbeit zur Entwicklung der stofflichen Biomassenutzung. Forscher untersuchen im Zuge der biobasierten Zukunft Pflanzen und deren Inhaltsstoffe auf Tauglichkeit als Industrierohstoffe. Das BMEL fördert die Entwicklung einer Lignozellulose-Bioraffinerie auf der Basis von Buchen- und Pappelholz in Leuna. Das Forschungszentrum Leuna soll die Lücke zwischen Grundlagenforschung und Industrie schließen. Hier werden Konzepte und Verfahren entwickelt, Holz bis zum letzten Span zu nutzen. Neben Zellulose und Hemizellulose rückt auch das Lignin als Rohstoff in den Fokus. Das reine Lignin wird hier in einem speziellen Organosolv-Prozess hergestellt und als dunkelbraunes Pulver weiteren Forschungs- und Entwicklungsprozessen zugeführt. Jährlich fallen in der Papierindustrie etwa 50 Mio. Tonnen Lignin an. Die Gesamtproduktion durch Pflanzen wird auf 20 Mrd. Tonnen geschätzt. „Im Labor lassen sich viele Dinge aus Lignin herstellen, aber es gibt noch nicht viele industrielle Produkte“, sagt Prof. Dr. Marie-Pierre Laborie von der Professur für Forstliche Biomaterialien an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Sie forscht daran, Lignin mit Zellulose in ein Komposit zusammenzuführen, das sich in flüssigem Zustand weiterverarbeiten lässt. Der Umweltgedanke: „Beim Herstellen von Ligninverbundstoffen wird eine CO2-Senke geschaffen“, meint sie, „es ist besser, wenn das CO2 vorerst im Holz bleibt, als das Material gleich zu verbrennen.“

Stoffliche Nutzung von Buchen-Lignin

Nun lässt sich Lignin nicht leicht verarbeiten, da es keine einheitliche Substanz ist, sondern eine Gruppe von Makromolekülen mit sehr komplexer Struktur. „Lignin im Baumholz ist ein heterogenes Molekül, das sich je nach Umweltbedingungen adaptiert und eine andere chemische Struktur bekommt“, weiß Laborie, „das ist ein Vorteil, allerdings vor allem für den Baum.“ Im Labor bedeutet mehr Variabilität weniger Planbarkeit. Normalerweise möchte man einen Rohstoff mit genau definierten und immer gleichen Eigenschaften haben. Bei künstlichen Polymeren aus der Ölindustrie ist dies im Gegensatz zum Naturprodukt durchaus gegeben. Auch wegen der hohen Verunreinigung und dem Schwefelanteil gibt es bisher nur wenige Ansätze, Polymere auf Ligninbasis herzustellen.
Im deutschen Forst hat in den letzten Jahrzehnten eine Umwandlung von Nadel- zu Laubholz, vor allem Buche, stattgefunden. „Es gibt noch Bedarf an industriellen Nutzungskonzepten für Buche“, sagt Laborie. Sie ist Teil des Forschungsprogramms Bioökonomie Baden-Württemberg, das von der Landesregierung zu den Themen Biogas, Lignozellulose und Mikroalgen aufgelegt wurde. Das Ligninpulver, das sie für ihre Forschung aus Leuna bekommt, stammt aus der Buche. „Für uns ist das besondere Interesse dem Buchenlignin einen Wert zu geben“, erklärt sie. In dem Organosolv-Verfahren findet eine Vorbehandlung mit Ethanol statt, die die einzelnen Fraktionen möglichst rein aus dem Holz löst. „Das Lignin wird dadurch ein bisschen kontrollierbarer in Bezug auf die Struktur, die Heterogenität und das Molekulargewicht“, zeigt die Forscherin. Nun ließe sich die Reaktivität des eigensinnigen Moleküls ein bisschen besser steuern. Einfach wird es damit noch lange nicht.

Nanokomposit mit flüssigkristallinen Eigenschaften

Ein braunes trockenes Pulver: Lignin in seiner reinen Form. © Uwe Uhlich, Universität Freiburg.

Zur Herstellung von Biowerkstoffen bietet sich Lignin an, da dieses hochkomplexe Material im Verhältnis deutlich mehr Kohlenstoff als Sauerstoff beinhaltet. Es ist sehr druckfest, stabil und kann nur schwer von Bakterien und Pilzen abgebaut werden. Lignin kann beispielsweise mit Naturfasern und natürlichen Additiven zu einem Faserverbundwerkstoff weiterverarbeitet werden (ARBOFORM®). Auch Rezepturen mit herkömmlichen Kunststoffen sind möglich (ARBOBLEND®). Labories Idee ist es, einen weitgehend naturbasierten Stoff zu synthetisieren und daher Lignin wieder mit der Zellulose zu verbinden, so ähnlich, wie es seit Jahrmillionen im Holz geschieht. LIGNOSIT ist ein wissenschaftliches Konzept, bei dem die beiden Holzkomponenten in eine flüssige Phase gebracht werden und sich nach der Trocknung ein fester Verbund mit guten mechanischen und physikalischen Merkmalen ergibt. Die flüssige Zwischenphase könnte im Optimalfall für einen 3D-Druck verwendet werden. Größte Herausforderung dabei ist, eine viskoelastische Konsistenz zu erreichen, mit der sich das Material durch die Druckerdüsen pressen lässt. Auch müssen zwei Substanzen mit unterschiedlicher Löslichkeit, die sich freiwillig nicht mischen, in Wasser zusammengebracht werden. In diesem vorerst flüssigkristallinen Verhältnis der beiden sollen die Nanokristalle der Zellulose quasi das Gerüst vorgeben, das den Ligninmolekülen sagt, wo diese sich positionieren sollen. „Wenn dann das Lösungsmittel wegfällt oder ein anderes dazu kommt und sich die Temperatur ändert, wird aus der Flüssigkeit ein flexibles und festes Material“, so Laborie, „dann können wir ihm eine Form geben.“ Die Hoffnung ist, dass die gleichmäßige definierte Ausrichtung der Zellulose-Nanokristalle helfen, den Stoff nutzbar zu machen. Die Frage: Bis zu welchem Anteil an Lignin bleibt das Komposit in der flüssigkristallinen Phase, in der es verarbeitet werden kann? Erste Ergebnisse zeigen, dass das Nanokomposit mit dem Modellmolekül Vanillin zusammen mit der Zellulose in der gewünschten Organisation bleibt. Der Vermittler zwischen Lignin und Zellulose ist noch nicht naturbasiert, aber ein erster Schritt in Richtung Biokunststoff ist getan.

Vielerlei Anwendungen

Plattformchemikalien sollen zukünftig stärker aus lignozellulosehaltigen Rohstoffen hergestellt werden. Wissenschaftler denken bei Lignin-Anwendungen auch an Karbonfasern, die unter anderem für Auto-, Flugzeug-, und Fahrradbau hochinteressant sind. Karbonfasern müssen einen Mindestanteil an Kohlenstoff haben, davon ist in Lignin reichlich vorhanden. Zunehmend sollen diese Fasern natürlich aus nachwachsenden Rohstoffen produziert werden. In Füll- und Bindemittel kann Lignin etwa als Alternative zu Phenolen und Formaldehyden durch seine ökologische Unbedenklichkeit glänzen.

Quellen

1 Jambeck et al.: Plastic waste inputs from land into the ocean, Science 13 Feb 2015, Vol. 347, Issue 6223, pp. 768-771, DOI: 10.1126/science.1260352

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/lignosit-dem-lignin-einen-wert-geben