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Kieselalgen als Bioraffinerie

Mikroalgen: Nachhaltige Chemikalienproduktion in der Minifabrik

Nachwachsende Rohstoffe als Alternativen zu fossilen Ressourcen gibt es schon einige. Damit aus diesen allerdings Produkte unseres Alltags werden können, müssen Pflanzenöle & Co. nicht nur gewonnen, sondern oft noch aufwendig chemisch weiterverarbeitet werden. Nun haben Forschende der Universität Konstanz Mikroalgenzellen so in winzige Raffinerien umfunktioniert, dass diese nicht nur Rohstoffe herstellen, sondern diese auch gleich entsprechend aufwerten und damit nachhaltige Chemikalien liefern könnten.

Dass unsere Quellen fossiler Rohstoffe endlich sind, ist lange bekannt; die Suche nach Alternativen dauert bereits fast ebenso lange an. Durchaus mit Erfolg, denn es gibt schon eine ganze Reihe an nachwachsenden Ressourcen – etwa Holz, Naturfasern oder Pflanzenöle –, die ebenso für die Produktion von Chemikalien oder Brennstoffen verwendet werden können wie ihre fossilen Pendants. Allerdings nicht direkt, denn diese Rohstoffe müssen raffiniert, das heißt aus den Zellen extrahiert, abgetrennt und danach aufgewertet oder weiterverarbeitet werden. Zeit- und kostenaufwendige Schritte, die die Produkte oft noch nicht wirklich konkurrenzfähig machen.

Der Wissenschaftler vor einer Glasscheibe
Der Chemiker Prof. Dr. Stefan Mecking erforscht mit seiner Arbeitsgruppe an der Universität Konstanz nachhaltige Verfahren zur Verwertung von Biomasse. © Universität Konstanz

Praktikable Lösungen für die Raffinerie würden nachwachsende Rohstoffe also erst zur gleichwertigen Alternative machen. Deshalb beschäftigt sich Prof. Dr. Stefan Mecking mit seiner Arbeitsgruppe am Fachbereich Chemie der Universität Konstanz schon seit über zehn Jahren mit der chemischen Umwandlung von Biomasse. Forschungsobjekt ist unter anderem die Mikroalge Phaeodactylum tricornutum, eine Kieselalge, die photoautotroph ist, also für Wachstum und Energiegewinnung lediglich Sonnenlicht, CO2, Wasser – gerne Salz- oder Brackwasser – benötigt und so keine Ackerflächen und Süßwasserressourcen verbraucht. Und welche robust und schnell wächst sowie durch hohe Gehalte an ungesättigten Fettsäuren punktet, sodass sie die Forschenden zur Produktion von Algenölen als Rohstoffe nutzen.

Solche Fettsäuren werden derzeit überwiegend aus Palm-, Soja-, Raps- oder Sonnenblumenöl gewonnen und zählen aktuell zu den wichtigsten erneuerbaren Rohstoffen für die chemische Industrie: In Deutschland waren in den letzten Jahren beispielsweise rund die Hälfte der genutzten nachwachsenden Rohstoffe Öle und Fette, etwa zur Herstellung von Tensiden und Kosmetika, Polymeren oder Klebstoffen.1)

Die Natur wird ausgetrickst – synthetischer Katalysator in lebender Zelle

Diese Öle und Fette werden unter anderem mithilfe der sogenannten Olefinmetathese in die gewünschten Produkte umgewandelt – etwa langkettige Alkene oder Dicarboxylate: Dabei findet in Anwesenheit eines Katalysators die Umorganisation der Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindungen der ungesättigten Fettsäuren statt. „Im Prinzip funktioniert dies gut, allerdings ist vorab die Extraktion aus der Biomasse, einem wüsten Gemisch von Verbindungen, generell meist ein Flaschenhals“, berichtet Mecking. „Und da wir uns hauptsächlich mit katalytischen Aufwertungen beschäftigen, stellten wir uns die Frage, ob die Olefinmetathese nicht direkt in der Zelle stattfinden könnte. Allerdings handelt es sich hier um Reaktionen, zu denen die zelluläre Maschinerie von Natur aus nicht in der Lage ist und auch kein bekannter natürlicher Biokatalysator existiert.“

Die Chemikerin Natalie Schunck, Doktorandin in Meckings Team, ging diese Herausforderung an und fand tatsächlich eine Möglichkeit, um synthetische Katalysatoren in die Kieselalgen einzuschleusen, und zwar dorthin, wo sie gebraucht werden: in die Lipidkörper, wo die Mikroorganismen die Fette herstellen und speichern. „Ein sehr anspruchsvolles Projekt“, wie der Professor betont. „Dessen Erfolg nur der herausragenden Arbeit von Frau Schunck zu verdanken ist, die nicht nur einen soliden chemischen Hintergrund einbrachte, sondern ein ebenso fundiertes biologischen Fachwissen.“

Nachhaltige Materialien produziert in lebenden Zellfabriken

Schwarz-weiße mikroskopische Aufnahme der Kieselalgenzellen, in der die Lipidkörper grün markiert sind und in eine der Zellen eine schematische Darstellung der Umwandlungsreaktion hereingezoomt wurde. Oben auf dem Bild das Molekülmodell des synthetischen Katalysators.
Prinzip der katalytischen Olefinmetathese in lebenden Kieselalgen. In den Lipidkörpern gespeicherte Fettsäuren werden in Polymerbausteine und Chemikalien umgewandelt. © AG Mecking

Dass es gar nicht so einfach ist, den Katalysator an seinen zukünftigen Arbeitsplatz der Minifabrik zu schleusen, wie es vielleicht klingt, liegt an der Anatomie der Mikroalgenzelle: Diese hat eine robuste Zellwand, die es zunächst zu überwinden gilt, weiter geht es durch das gesamte wässrige Zytoplasma mit potenziell schädlichen Komponenten für die vermeintlichen Eindringlinge von außen bis hin zu den Lipidspeichern. Dies konnte nur gelingen, indem sich die Forscherin eines Tricks bediente. Sie koppelte den synthetischen Katalysator auf Rutheniumbasis an einen lipophilen fluoreszierenden Farbstoff, der normalerweise zum Anfärben der Lipidkörper in den Algenzellen verwendet wird. Dieser sorgte tatsächlich dafür, dass der Katalysator wohlbehalten und zielgerichtet im Lipidspeicher ankam und dort die entsprechende Umwandlungsreaktion katalysierte.2)

„Der Farbstoff hat zwei Funktionen: einerseits fungiert er als Transporter für den Katalysator, andererseits können wir mit ihm auch ganz genau dessen Position in der Zelle verfolgen“, erklärt Mecking. „In den Lipidtröpfchen werden dann tatsächlich alle ungesättigten Fettsäuren umgesetzt, wie das z. B. bei Pflanzenölen außerhalb der Zelle in Reaktoren erfolgt. Mit den Produkten konnten wir in anderen, parallelen Arbeiten komplett recycelbare Kunststoffe ähnlich solchen aus Polyethylen herstellen. Es sind aber auch andere Produkte – etwa im Schmiermittelbereich – denkbar, denn man kann durchaus steuern, welches Fettsäurespektrum die Algen produzieren, unter anderem indem man sie genetisch manipuliert.“ Eine zukunftsträchtige Perspektive zur Herstellung von Chemikalien aus lebenden Zellen, welche langfristig die aufwendige Extraktion von Biomasse umgehen könnte.

Produkte sollen kontinuierlich aus dem Bioreaktor kommen

Damit ist es das erste Mal überhaupt gelungen, eine solche synthetisch katalysierte Reaktion in Pflanzenzellen ablaufen zu lassen. „Mit dem Thema haben sich durchaus auch schon andere beschäftigt. Aber das waren andere Zellen – etwa bakterielle von Escherichia coli -, wo es keine Zellwand zu überwinden galt“, berichtet Mecking.

Nun steht für das Team der nächste Schritt an: die Entwicklung eines Verfahrens, um die umgesetzten Rohstoffe fortlaufend aus den lebenden Zellen zu isolieren. „Bisher haben wir diese Produkte noch nicht aus intakten Zellen isoliert, sondern extrahiert, was die Zellen zerstört“, so der Chemiker. „Unser Ziel ist es aber, die Produkte kontinuierlich aus den Mikroalgen zu gewinnen – wie in einer Biofabrik. Der Schlüsselschritt dorthin ist nun etabliert, aber das ganze Problem noch nicht gelöst. Wir haben aber durchaus schon konkrete Ideen, wie man das machen könnte.“

Literatur:

1) Biermann, U. et al. (2021): Fatty Acids and their Derivates as Renewable Platform Molecules for the Chemical Industry. Angewandte Chemie, https://doi.org/10.1002/anie.202100778

2) Schunck N. und Mecking, S. (2022) In vivo Olefin Metathesis in Microalgae Upgrades Lipids to Building Blocks for Polymers and Chemicals. Angewandte Chemie; https://doi.org/10.1002/anie.202211285

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/mikroalgen-nachhaltige-chemikalienproduktion-der-minifabrik