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Mikroalgen – ressourcenschonender Rohstoff für den Lebensmittel- und Futtermittelsektor

Kohle, Erdöl und Erdgas sind unsere Energieträger und Basis für die Lebensmittel-, Pharma- und chemische Industrie. Doch der Vorrat an fossilen Rohstoffen geht kontinuierlich zur Neige. Das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart widmet sich daher den Mikroalgen. Mit verschiedenen Verfahren, basierend auf den neuesten Technologien, konnte in ersten Pilotprojekten eine Vielzahl an chemischen Wertstoffen gewonnen werden.

Die im Süß- und Meerwasser vorkommenden Mikroalgen sind als neue Rohstoffquelle in vielfacher Hinsicht interessant: Im Vergleich zu klassischen Energiepflanzen produzieren sie eine etwa fünf- bis zehnfache Menge an Biomasse pro Zeiteinheit, die zudem das ganze Jahr über kontinuierlich geerntet werden kann. Neben Sonnenlicht und CO2 benötigen Algen zur Anzucht nur anorganische Nährstoffe wie beispielsweise Phosphor und Stickstoff, die aus Abwasserströmen eingespeist werden können. Auch verbrauchen sie im Vergleich zu Landpflanzen wenig Wasser sowie keine landwirtschaftlichen Nutzflächen. Wissenschaftler aus den Bereichen Verfahrenstechnik, Lebensmitteltechnologie, Agrarindustrie, Tierernährung und Ernährungsmedizin untersuchen das Potenzial der Nutzung des nachwachenden und umweltverträglichen Rohstoffes als Nährstoff- und Futtermittellieferant.

Proteine, Fette oder Kohlenhydrate – Produkte der Kaskadenmatrix

Dr.-Ing. Ursula Schließmann, Abteilungsleiterin Umweltbiotechnologie und Bioverfahrenstechnik am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB © Fraunhofer IGB, Stuttgart

Abhängig von der eingesetzten Art und den Kultivierungsbedingungen bilden Mikroalgen Proteine, Fettsäuren oder Kohlenhydrate (wie z. B. Stärke). Interessant für die Pharma-, Nahrungsmittel- und Futtermittelindustrie sind vor allem Vitamine, Carotinoide (als Farbstoff sowie Antioxidans), Phytosterole (als Cholesterinsenker) und Fettsäuren wie z. B. Omega-3-Fettsäure. Die Omega-3-Fettsäure ist essenziell für den Menschen und muss mit der Nahrung aufgenommen werden: Ein Mangel wird mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall in Zusammenhang gebracht. Darüber hinaus werden Produkte aus Omega-3-Fettsäure als Entzündungshemmer bei Gelenkrheumatismus und Multipler Sklerose in der Heilkunde eingesetzt.

Im Rahmen des Forschungsprogramms Bioökonomie Baden-Württemberg wird im Forschungsverbund „Mikroalgen – Integrierte Nutzung für die Ernährung“ die möglichst vollständige Verwertung der verschiedenen Fraktionen in Koppel- und Kaskadennutzung als nachhaltiger Prozess angestrebt. Das Projekt wird am Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie IGVP, dem Partnerinstitut des Fraunhofer IGB, verbunden über den Lehrstuhl und einen gemeinsamen Betrieb an der Universität Stuttgart, bearbeitet und von der Baden-Württemberg Stiftung und dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert.

„Die Zusammensetzung der Algenbiomasse ist sehr komplex und enthält im Gegensatz zu vielen Landpflanzen Inhaltsstoffe, auf die die bisherigen Aufarbeitungsmethoden nicht einfach zu übertragen sind. Aus diesem Grund wurden neue Aufarbeitungsmethoden entwickelt. Es ist notwendig, die Algenbiomasse gezielt aufzuarbeiten. Nur so können wir eine große Palette an hochwertigen Inhaltsstoffen aus Mikroalgen effektiv gewinnen. Dazu nutzen wir die Strategie der kaskadierten Aufarbeitung“, erklärt die promovierte Verfahrenstechnikerin Dr.-Ing. Ursula Schließmann, die seit 2011 die Abteilung Umweltbiotechnologie und Bioverfahrenstechnik (UBT) am Fraunhofer IGB leitet.

Dr. Ulrike Schmid-Staiger, Gruppenleiterin Technische Mikrobiologie am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB © Fraunhofer IGB, Stuttgart

„Je nach gewünschten Endprodukten werden sehr spezifische Anforderungen an die Aufarbeitungstechnik gestellt. Dazu zählen vor allem selektive Extraktionen mehrerer Inhaltsstoffklassen aus der produzierten Algenbiomasse mit z. B. definierten Reinheitsgraden, Ausbeuten usw.“.

Die in der Natur in über 1.000.000 Spezies vorkommenden einzelligen Mikroorganismen unterscheiden sich in Größe, Zellwandaufbau und Biomassezusammensetzung. Dem IGB ist es gelungen, die Stecknadel im Heuhaufen zu finden: Drei Mikroalgenstämme, die sich durch schnelles Wachstum, einfache Kultivierungsbedingungen und hohe Biomasse-Produktion pro Zeiteinheit auszeichnen, rückten dabei in den Fokus. Für den schonenden Aufschluss der Zellen setzt das Team gezielt auf mechanische und enzymatische Methoden, die die Funktionalität erhalten.

Um an die wertvollen lipophilen Inhaltsstoffe wie beispielsweise Fettsäuren und Carotinoide zu gelangen, muss die flüssige Algensuspension in ihre festen und flüssigen Bestandteile getrennt und anschließend getrocknet werden. "Der Trocknungsschritt verschlingt sehr viel Energie“, erläutert Dr. Schmid-Staiger, Gruppenleiterin Technische Mikrobiologie am Fraunhofer IGB, die Nachteile der Methoden unter Einbeziehung hoher Temperaturen. Um eine positive Energiebilanz zu erreichen, setzt sie auf die Extraktion feuchter Biomasse sowie mittels überkritischer Fluide. Hierbei werden aus der Biomasse mit sogenannten überkritischen Fluiden wie CO2 bei mäßigen Temperaturen und unter viel Druck die gewünschten Inhaltstoffe extrahiert. Oberhalb des kritischen Punktes werden Gase wie CO2 flüssig und verhalten sich wie Lösemittel. Wird der Druck wieder reduziert, liegt CO2 wieder gasförmig vor und kann leicht vom Extrakt abgetrennt werden.

„Der Vorteil dieser Extraktionsmethode ist, dass sowohl die gewonnene Fraktion als auch die zurückbleibende Biomasse keine gesundheitsschädlichen Lösungsmittel enthalten – im Gegensatz zur Extraktion mit organischen Lösungsmitteln. Das extrahierte Produkt kann somit direkt weiterverarbeitet und z. B. als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet werden“, erklärt Schmid-Staiger. In Zusammenarbeit mit der Universität Hohenheim (Ernährungswissenschaften) sowie dem Max Rubner-Institut Karlsruhe wurden in weiteren Verbundprojekten Prozessparameter optimiert, um Fraktionen mit stabilen funktionalen Eigenschaften zu erhalten.

In einem weiteren Schritt konnten unter Einsatz von Lösungsmitteln (wie Ethanol) Carotinoide und auch Triacylglyceride gewonnen werden. Triacylglyceride sind als Plattformchemikalien und vor allem als Kraftstoff von Interesse – entweder durch die Gewinnung des Öls oder nach Umesterung als Biodiesel.

Kohlenhydrate konnten bei Wachstumslimitierung durch Stickstoff- und Phosphatmangel selektiv extrahiert werden. Stärke beispielsweise kann als Substrat zur Ethanolherstellung genutzt werden. Am IGB wurde hierzu ein zweistufiger Prozess etabliert, ins Freiland übertragen und bis zur Pilotproduktion im Kilogramm-Maßstab weiterentwickelt. Als weitere Wertstofffraktion werden lösliche Proteine vor der Extraktion mit CO2 oder Ethanol durch Filtration aus der Restbiomasse abgetrennt, um sie den im Rahmen des Forschungsverbundes beteiligten Projektpartnern der Universität Hohenheim für die Herstellung von Lebensmitteln zur Verfügung zu stellen. Die verbliebenen Reststoffe (Proteinen, Carotinoide und Zellwandpolymere) in der Biomasse können im Institut für Tierernährung Uni Hohenheim für die Futtermittelproduktion eingesetzt werden.

Einschleusen von Abgas-CO2 in die Algenbiomasseproduktion

Das klimaschädliche Gas Kohlenstoffdioxid der Atmosphäre entziehen? Eine schöne Vorstellung in Zeiten des Klimawandels mit seinen allgegenwärtig spürbaren Folgen. Das Fraunhofer IGB hat den Zündstoff dieser Fragestellung erkannt. Die interdisziplinären Wissenschaftler entwickeln Prozesse, bei denen Mikroalgen das Treibhausgas CO2 aus Verbrennungsprozessen oder industriellen Prozessen fotosynthetisch nutzen. Sie setzen auf ein gekoppeltes Verfahren, bei dem alle Kreisläufe geschlossen werden: Zunächst werden Wertstoffe extrahiert und anschließend die Restbiomasse zu Biogas vergärt. Nach Erzeugung von Strom und Wärme aus dem entstandenen Biogas im Blockheizkraftwerk wird das als Nebenprodukt anfallende CO2 wieder in den Kreislaufprozess zur Algenbiomasseproduktion zurückgeführt. Dies ist ein wichtiger Schritt in Richtung positiver Energiebilanz.

Ein prospektiver Ansatz ist die Einschleusung von CO2 aus der Atmosphäre oder aus Verbrennungs- und Industrieprozessen, das auch das Team um Schmid-Staiger verfolgt. „Allerdings ist die Gasaufbereitung noch relativ teuer, eine große Herausforderung stellen auch die enthaltenen Stickoxide dar“. Kooperierende Investitionspartner oder entsprechende Projektfinanzierungen aus Wirtschaft und Ministerium könnten dem aussichtsreichen Ansatz den entsprechenden Schwung nach vorne geben.

Ein weiterer Ansatz zur nachhaltigen Biomasseproduktion bietet der Prozess, Abwasserströme aus der Biogastechnik zu nutzen. Denn sie enthalten anorganische Nährstoffe wie Phosphat und Ammonium, die Algen zu ihrem Wachstum benötigen. Dem Fraunhofer IGB gelang es, die Zusammensetzung der Algenbiomasse gezielt zu steuern und die Kultivierungs- und Aufbereitungsverfahren in technischen Systemen auch unter Einbeziehung geeigneter MSR-Technik zu optimieren.

„Wir konnten in den Pilotprojekten die Machbarkeit der kaskadierten, gezielten Wertstoffgewinnung zeigen. Durch mögliche Anschlussprojekte könnten die Prozesse in Hinblick auf höhere Wirtschaftlichkeit weiterentwickelt werden“, hofft Schließmann auf die zukünftige Ausrichtung. Denn den vielen Vorteilen der Algenkultivierung zur Grundstoffproduktion mit hohem Wertschöpfungspotenzial stehen noch immer hohe Investitions- und Betriebskosten gegenüber. „Aufbauend auf unseren umfangreichen Erfahrungswerten bieten wir Investoren und Interessenten aus Industrie, Wirtschaft und Politik jederzeit den Transfer in weitere facettenreiche Projekte.“ Die Nutzung und Weiterentwicklung der nachhaltigen Verfahren aus der Mikroalgenkultivierung könnte den Druck auf die aktuell verfügbaren Rohstoffe mindern und damit einen wichtigen Beitrag zur Bioökonomie leisten.

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/mikroalgen-ressourcenschonender-rohstoff-fuer-den-lebensmittel-und-futtermittelsektor