Plastikmüll
Mikroplastik in Gewässern - Minimüll als Maxiproblem
Bisher lag der Fokus in Bezug auf Plastikmüll auf den Meeren. Flüsse sind jedoch wichtige Eintragspfade für marine Ökosysteme. Seit kurzem untersucht man die Verbreitung von Bruchstücken des Plastiks in Gewässern: das Mikroplastik kann von Tieren aufgenommen werden und bei Anreicherung letale Schäden verursachen. Eine großangelegte Studie der Umweltämter aus Baden-Württemberg und vier weiteren Bundesländern nimmt Proben aus 25 Flüssen, um einen ersten Überblick zum Vorkommen von Mikroplastik in deutschen Binnengewässern zu bekommen. Davon unabhängig analysiert Dr. Natalie Orlowski von der Universität Freiburg mit ihrem Team die Belastung der Dreisam durch Mikroplastik.
Eine Zahl mit 18 Nullen – fünf Trillionen. Auf diese Anzahl schätzt das Projekt The Ocean Cleanup die Plastikteile, die in den Meeren herumtreiben1. Der Mensch nutzt Plastik in vielen Lebensbereichen. Die Plastikproduktion hat von 1970 bis 2013 um 620 % zugenommen2. Längst sind die Kunststoffe nicht mehr nur dort, wo sie eingesetzt wurden. Acht Millionen Tonnen gelangen jährlich in die Meere, ein großer Teil über die Flüsse3. Biologisch nicht abbaubar, zerfällt Plastik in immer kleinere Teile und reichert sich als Mikroplastik an Land, im Wasser und in Organismen an. Die Gesamtmenge schwimmender Teile in Gewässern ist nur schwer abschätzbar, da sie derzeit nur punktuell erfasst wird.
Mikroplastik-Forschung noch in den Kinderschuhen
Mikroplastik in Binnengewässern ist in den letzten Jahren kaum untersucht worden. Dr. Natalie Orlowski möchte das ändern.
© Dr. Natalie Orlowski, Universität Freiburg
Es gibt noch keine allgemein gültige Definition für Mikroplastik. In der Literatur einigte man sich bisher auf „synthetisch hergestellte Kunststoffverbindungen, die nicht größer als fünf Millimeter sind“. Dabei unterscheidet man primäres Mikroplastik, das industriell gezielt in dieser Größe hergestellt wird, und sekundäres Mikroplastik, das durch Zerfall größerer Makroplastikteile wie Flaschen oder Tüten entsteht. Primäres Mikroplastik finden wir in Reinigungsmitteln und Kosmetika wie Hautpeelings oder auch in der Baubranche in Pulverlacken und Schleifmittel. Sekundäre Mikroplastikpartikel werden beim täglichen Gebrauch von Plastik allein durch Abrieb freigesetzt. Wäscht man synthetische Kleidung, so werden bis zu 2000 kleinste Plastikfasern frei, die ins Abwasser gelangen. Von den 27 Millionen Tonnen Plastikabfall, die jährlich in Europa anfallen, werden etwa 31 % recycelt, 41 % für die Energiegewinnung genutzt und 27 % auf Deponien gelagert4. Wie hoch der Anteil der unsachgemäßen Entsorgung ist, ist nicht bekannt. Ebenso wenig weiß man, auf welchen Pfaden es in die Flüsse kommt und welche Auswirkungen Mikroplastik auf die belebte Umwelt hat. „Die Forschung steht hier noch ziemlich am Anfang“, sagt Orlowski an der Professur für Hydrologie der Universität Freiburg. Sie betreut drei jüngst gestartete Bachelorarbeiten, die die Mikroplastik-Konzentration in der Dreisam bei Freiburg analysieren.
Der Plastikmüllstrudel im Pazifik ist bekannt und auch im arktischen Eis wurde eine sehr hohe Konzentration von einer Million Partikel pro Kubikmeter gefunden5. Doch selbst wenn die Meere eine Senke für Plastikmüll sind, ist Mikroplastik kein rein marines Problem. Allerhöchste Zeit, findet auch Orlowski, dass Fließgewässer nicht nur als Eintragspfade, sondern hinsichtlich ihrer eigenen Belastung länderübergreifend und flächendeckend untersucht werden.
Studie zeigt ubiquitäre Präsenz von Mikroplastik
Probennahme aus der Dreisam in Stadtnähe. Eine Bachelorstudentin aus dem Team von Dr. Natalie Orlowski untersucht, inwieweit sich der Reifenabrieb im Wasser wiederfindet.
© Judith Johannsen privat
Nach eigenen Angaben zählt die Pilotstudie „Mikroplastik in Binnengewässern Süd- und Westdeutschlands“ zu den umfangreichsten und detailliertesten Datensätzen bezüglich Kunststoffbelastung in Binnengewässern. Ab Herbst 2014 wurden ein Jahr lang in Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen aus 25 Flüssen im Rhein- und Donau-Einzugsgebiet Proben der obersten 15 Zentimeter der Flüsse genommen und ausgewertet. Der Bodensee wurde mit seiner besonderen Stellung als Teil des Rheins eingeschlossen. Die Umweltämter der fünf Bundesländer erhoben damit einen umfassenden Datensatz zur Mikroplastikbelastung über ein breites Spektrum an hydrologischen Gegebenheiten und anthropogenen Einflüssen. Die Analyse der 52 Proben wurde zentral an der Universität Bayreuth durchgeführt, um eine Vergleichbarkeit der Methoden und Daten zu gewährleisten. Anzahl, Größe, Form und Beschaffenheit der Plastikteile wurden lichtmikroskopisch vermessen und analysiert. Die Zusammensetzung des Plastiks untersuchte man per Fourier-Transform-Infrarot-Sepktrometer (FTIR-Spektrometer), das quasi den optischen Fingerabdruck jeder Substanz herausstellt.
Das Ergebnis: In allen west- und süddeutschen Flüssen wurde Mikroplastik nachgewiesen, auch in quellnahen Oberläufen. Insgesamt wurden mehr als 19 000 Objekte analysiert, davon fast ein Viertel Plastik. Gerade sehr kleine Stücke kamen in sehr großer Anzahl vor. Knapp über 99 % der gefundenen Kunststoffteilchen waren Mikroplastik, nur 0,6 % waren größer als fünf Millimeter. Fragmente, also Bruchstücke größerer Kunststoffe, waren die dominierende Form, weniger häufig kamen Fasern und am seltensten Granulate zur Weiterverarbeitung und Beads aus Kosmetika (primäres Mikroplastik) vor. Mehr als die Hälfte der Kunststoffpartikel bestand aus Polyethylen, über ein Drittel aus Polypropylen, was nicht erstaunt, da beide Plastikarten die am häufigsten verwendeten Standardkunststoffe sind.
Nachweis von Effekten auf Organismen schwierig
Der am häufigsten zurückgelassene Müll an Grillplätzen in der Natur besteht aus Plastik. Durch Zersetzung und Zerfall wird es zu sekundärem Mikroplastik.
© Stephanie Heyl, Freiburg
Interessant ist, dass in den kleineren und mittleren Nebengewässern oft eine höhere Mikroplastikkonzentration gefunden wurde als in größeren Gewässern, in denen verhältnismäßig weniger Plastik schwamm. Auch gab es in Ballungsgebieten nur in Einzelfällen einen Konzentrationsanstieg der Kunststoffmenge. Im Vergleich mit anderen europäischen und nordamerikanischen Gewässern liegen die in der Studie beprobten Flüsse bei durchschnittlicher Konzentration, wobei der damals als sehr verschmutzt geltende Rhein sogar eher unterdurchschnittlich belastet war.
Aussagen über Auswirkungen auf Umwelt und Organismen sind noch schwierig, da entsprechende Test- und Bewertungsverfahren fehlen. So zeigen zwar Laborstudien negative Effekte auf Muscheln und andere Gewässerorganismen, die Mikroplastik-Konzentrationen im Labor übersteigt aber die aktuelle Umweltkonzentration um ein Vielfaches4. Neben der direkten mechanischen Schadwirkung durch das Verschlucken der kleinen Plastikteile können darin enthaltene Weichmacher oder UV-Schutzmittel auch indirekte negative Effekte bei den Organismen hervorrufen. „Solche persistenten Organika reichern sich vor allem im Fettgewebe der Tiere an und gelangen damit auch in die Nahrungskette“, erklärt Orlowski, „das erhöht natürlich die Ökotoxizität, da viele der Stoffe krebserregend sind.“ Auch der Transport von Krankheitserregern, die kleinste Plastikfragmente besiedeln, spielt eine Rolle. Orlowski, die als akademische Rätin erst seit November 2017 in Freiburg ist, untersucht in der Dreisam unter anderem auch die Mikroplastikbelastung durch Autoreifenabrieb, die von der nahegelegenen B31 stammen. „Dieses Problem zieht noch Forschungsbedarf mit sich“, sagt sie, „gerade für die Messung von Reifenabrieb in Gewässern gibt es noch kein Standardverfahren.“ Sie analysiert mit ihrem Team, in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Wetterdienst Freiburg, insbesondere nach Starkregenereignissen, ob sich die Mikroplastikmenge im Fluss verändert. Messpunkte liegen vor, inmitten und hinter der Stadt Freiburg. Die Projekte haben gerade erst begonnen, aber: „Wir haben schon Proben genommen und unerfreulicher Weise auch schon etwas gefunden“, so die Wissenschaftlerin. Der Projektrahmen sowie das Budget sind klein, daher finden Analyse und Auswertung noch unter dem Lichtmikroskop statt. Ein FTIR-Spektrometer hat die Gruppe nicht und Orlowski hofft auf Kooperationen mit anderen Instituten, die derartige Messgeräte besitzen.
Optimierungsbedarf auf allen Ebenen
Weitere Forschung ist dringend nötig. Alle Ergebnisse der länderübergreifenden Pilotstudie können nur erste orientierende Hinweise liefern. Sie helfen, neue Fragen präziser zu stellen, um die Basis für weiteres Monitoring in Sachen Mikroplastik zu ebnen. Standardisierungsverfahren für Probennahme, Charakterisierung und ökotoxikologische Risikobewertung der Auswirkungen müssen entwickelt und optimiert werden, damit reproduzierbare Ergebnisse über Ländergrenzen hinaus erzeugt werden können. „Wir Menschen sind da sehr gedankenlos hineingeraten, ohne uns genug mit dem Thema beschäftigt zu haben“, meint Orlowski. Zumindest bei der Plastikmüllvermeidung kann jeder schon heute bei sich selbst anfangen6,7.
Informationen:
Mikroplastik gibt es in fester und in flüssiger Form. Auf der Liste der Inhaltsstoffe von beispielsweise Duschgelen oder Peelings findet man es unter anderem unter folgenden Bezeichnungen bzw. Abkürzungen:
- Acrylat (ANM)
- Acrylates Copolymer (AC)
- Acrylates Crosspolymer (ACS)
- Ethylen-Vinylacetat (EVA)
- Polyamid (PA)
- Polyester (PES)
- Polyethylen (PE)
- Polyethylenterephthalat (PET)
- Polyimid (PI)
- Polypropylen (PP)
- Polyquaternium-7 (P-7)
- Polyurethan (PUR)