Multitalente Cyanobakterien: Vom Biosprit zum Klimaretter
Lange schon gibt es die Cyanobakterien, früher auch Blaualgen genannt, auf unserem Planeten. Erst allmählich erkennt man das umfangreiche Potenzial dieser blaugrünen Bakterien. Seit über drei Milliarden Jahren besiedeln Cyanobakterien unsere Meere und Böden, aber erst seit ein paar Jahrzehnten beschäftigen sich Forscher intensiver mit ihnen und sind stets aufs Neue überrascht, wie viele Eigenschaften und Fähigkeiten in diesen Organismen stecken. Prof. Dr. Annegret Wilde und Prof. Dr. Wolfgang Hess vom Institut für Biologie III an der Universität Freiburg erfreuen sich schon länger an der Vielseitigkeit der Cyanobakterien. Die Wissenschaftler forschen in dem Verbundprojekt "Cyanosys - Systems biology of cyanobacterial biofuel production". Dieses zielt darauf ab, mithilfe der Cyanobakterien in großen Mengen Biokraftstoffe aus Sonnenlicht und Kohlendioxid herzustellen.
Es gibt sie schon ewig und überall: in Seen, Meeren, Wüsten, Polarregionen, an Häuserwänden und in Symbiosen. Seit ihrem Ursprung hat sich eine Heterogenität innerhalb der Cyanobakterien entwickelt, die außergewöhnlich ist. Das herausragendste Merkmal ist sicher die Fähigkeit zur oxygenen Photosynthese. Sie können Wasser und Kohlendioxid mithilfe von Sonnenlicht in organische Substanzen umsetzen. Mit den vielen Stoffwechselwegen sind diese Lebewesen fähig, nahezu alles Organische selbst zu produzieren.
Cyanobakterien können Farbpigmente, essentielle Aminosäuren, Öle und Vitamine für die Ernährungsindustrie herstellen. Sie liefern hochwertige Extrakte oder können als Rohstofflieferant mit ihrer Gesamtbiomasse nützlich sein. „Ihr Potenzial ist bei Weitem noch nicht ausgeschöpft", sagt Prof. Dr. Annegret Wilde von der Abteilung für Molekulare Genetik der Universität Freiburg, „auch was Toxine und bioaktive Substanzen betrifft." Selbst Antibiotika finde man immer wieder neue, daher seien Cyanobakterien „eine Superressource", meint auch Prof. Dr. Wolfgang Hess von der Abteilung Genetik und Experimentelle Bioinformatik der Freiburger Universität. Will man sie nutzen, sind diese evolutionär ursprünglichen Bakterien auch noch recht anspruchslos. Sie brauchen nur Licht und Wasser und wenige anorganische Nährstoffe, da sie Kohlenstoff und einige auch Stickstoff aus der Luft fixieren können.
Cyanobakterien als Treibstofffabriken
Wie eine kleine Kraftstofffabrik: Cyanobakterien haben es in sich.
© Algenol Biofuels.
Viele Förderprogramme haben das Hauptziel, Cyanobakterien biotechnologisch dafür zu verwenden, energiereiche Verbindungen zur Treibstoffproduktion bereitzustellen. Biotreibstoff herstellen bedeutet bisher, dass der Anbau von Zuckerrohr oder Raps der Nahrungsmittelproduktion Ackerland entzieht, was vor allem arme Länder trifft. Der Konflikt zwischen Teller und Tank könnte eventuell durch diese einzelligen Cyanobakterien gelöst werden. Wilde und Hess engagieren sich dafür, dass die Ethanol-Produktion durch Cyanobakterien wirtschaftlich gemacht wird. Die Kohlenhydrate der Algenmasse können durch alkoholische Gärung in Ethanol umgewandelt werden. Bioethanol wird dann in Reinform oder als Beimischung zu fossilen Kraftstoffen verwendet.
„Theoretisch ist es so weit etabliert, dass es heute schon günstiger ist, Bioethanol aus Cyanobakterien herzustellen als aus Zuckerrohr", erklärt Hess. Auch Biodiesel ist längst kein Hexenwerk mehr. Das Öl aus manchen Algenarten kann durch Umesterung in dieselähnlichen Kraftstoff verwandelt werden. Im letzten Jahr hat Hess als Leiter das EU-geförderte Projekt „DIRECTFUEL" mit neun Partnern abgeschlossen. Das Ziel war, Organismen mit neuen metabolischen Fähigkeiten auszustatten, damit diese Licht und Kohlendioxid in betriebsfertigen Treibstoff umwandeln können. Propan gilt dabei als attraktives Produkt, da es bei Raumtemperatur flüchtig und unter Normaldruck leicht zu verflüssigen ist. Aus einem weiteren Grund sind gasförmige Kohlenwasserstoffe wie auch Butan und Ethylen interessant. Sie sind energiereiche Zwischenprodukte, die sich verbrennen lassen, und sie eignen sich als Grundstoff für die Herstellung von Bioplastik. Eine intelligente Alternative zu erdölbasierter Polymerproduktion.
Kopplung Photosynthese und Spritproduktion
In ihrem Pilotprojekt verwendet die Firma Algenol in Kalifornien hängende Photobioreaktoren, in denen Cyanobakterien das gewünschte Ethanol herstellen. An der Optimierung der Reaktoren wird weiter gearbeitet.
© Algenol Biofuels
Wilde und Hess streben in dem Projekt „Cyanosys" an, den Kohlenstoffwechsel der Cyanobakterien im Hinblick auf eine verstärkte Ethanol-Produktion zu verbessern. Die beiden Freiburger Forscher arbeiten hierbei mit der Firma Algenol Biofuels zusammen, die in Florida bereits Bioethanol herstellt. Die Tochtergesellschaft Algenol Biofuels Germany in Berlin liefert vor allem den wissenschaftlichen Hintergrund. Da die Produktionsstämme nicht allein zur alkoholischen Gärung fähig sind, wird ein bisschen nachgeholfen. Durch Einschleusen der entsprechenden Gene vergären sie Endprodukte der Glykolyse zu Ethanol. Der einzellige Modellorganismus Synechocystis, mit dem die Berliner arbeiten, ist natürlich kompetent. „Das heißt, er lässt sich sehr gut genetisch manipulieren, weil er von Natur aus DNA aufnimmt, das ist ein natürlicher Prozess", weiß Hess.
Ebenso gibt es Cyanobakterien, die dank zweier spezieller Enzyme Synthesewege für Alkane beherrschen. „Das ist der bislang einzige bekannte Biosyntheseweg, wie in der Natur Alkane entstehen", sagt Hess, "man hatte keine Ahnung, dass Cyanobakterien das biologisch können." Alkane sind in der Chemieindustrie nur mit Verfahren unter hohem Druck und hoher Temperatur herstellbar. Interessant ist nun, biotechnologisch damit zu experimentieren und das katalytische Zentrum der Alkan-Enzyme so zu modifizieren, dass sie kürzerkettige Alkane zur Treibstoffproduktion bilden können.
Laut Algenol ist mit 75.000 Litern Ethanol pro Hektar und Jahr zu rechnen. Die produzierenden Bakterien schwimmen in einer Brühe in hängenden Plastiksäcken, den Photobioreaktoren, die das Licht optimal hineinlassen. Jede Bakterienzelle darin ist eine kleine Ethanolfabrik, die das Ethanol ins Medium abgibt. Durch Zentrifugation wird das Wasser-Ethanol-Gemisch regelmäßig von der Algenbiomasse getrennt. Dabei ist die Menge der anfallenden Biomasse durch die Cyanobakterien nicht zu unterschätzen. Diese Masse muss jedoch nicht entsorgt, sondern kann ebenfalls verwertet werden.
Die Ethanolproduktion allein ist bisher ohnehin nicht gewinnträchtig, wenn auch immer noch besser als die Herstellung aus Zuckerrohr. Lässt man die Einzeller zusätzlich Kohlenwasserstoffe (Butan, Propan, Ethylen) bilden, die in der Biomasse verbleiben, können diese zu Biodiesel und Bioplastik weiterverarbeitet werden. „Wenn man gleichzeitig Ethanol gewinnt und die Biomasse verwertet, hat man einen zweispurigen Prozess, der ökonomisch Sinn hat", findet Wilde, „das könnte jetzt der Knackpunkt sein, der die Sache besonders interessant macht."
Proteinhunger und Treibhauseffekt
Spirulina - biologisch gewachsen und zu Tabletten gepresst.
© Stephanie Heyl
Auch Bill Gates investiert in die Algenforschung. Vielen Investoren ist klar, dass unsere Wirtschaftsweise umgestellt werden muss, denn bald müssen wir neun Milliarden Menschen sattbekommen und zudem den Klimawandel bewältigen. Wilde schätzt das Potenzial, das in den Cyanobakterien steckt, für die Ernährungsindustrie sogar noch höher ein als für die Kraftstoffproduktion.
Beispielsweise produziert Spirulina die semiessentielle Aminosäure L-Arginin, die als Nahrungsergänzungsmittel bekannt ist. „L-Arginin wird normalerweise aus tierischem Protein gewonnen und kann jetzt aus Cyanobakterien gewonnen werden", sagt Wilde, „Cyanobakterien können eine umweltfreundliche Proteinquelle für Entwicklungsländer und Veganer darstellen. Das wäre eine Möglichkeit, den Proteinhunger der Welt zu stillen." Um den Treibhauseffekt in unserer Atmosphäre zu vermindern, muss die Kohlendioxid-Emission massiv gedrosselt werden. „Dafür würden sich die Organismen hervorragend eignen, weil es etwas ist, das sie wirklich furchtbar gern machen: CO2 absorbieren und daraus etwas herstellen", betont Hess.