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Entwicklung biogener Verpackungsmaterialien

Nachhaltige Verpackungen – die Tücke steckt im Detail

Moderne Verpackungen wollen mit biogener Herkunft und/oder biologischer Abbaubarkeit punkten. Umfassende nachhaltige Verpackungskonzepte brauchen aber mehr. Spezielle Barriere-Eigenschaften sind zum Beispiel bei sensiblen Lebensmitteln gefragt. Die Hochschule Albstadt-Sigmaringen forscht unter dem Nachhaltigkeitsaspekt an Konzepten dafür.

Farbiges Portraitfoto von Prof. Dr. Markus Schmid.
Der gelernte Metzgermeister und promovierte Lebensmitteltechniker Prof. Dr. Markus Schmid leitet seit 2019 das Sustainable Packaging Institute SPI an der Hochschule Sigmaringen. © Hochschule Albstadt-Sigmaringen, Corinna Korinth

Jeder kennt sie: durchsichtige Folien umhüllen – oft kombiniert mit Halbschalen – die vielfältigsten Lebensmittel von Fleisch- und Wurstwaren über Molkereiprodukte bis hin zur ganzen Breite an Obst- und Gemüsesorten. Solche Verpackungen bieten große Vorteile in puncto Haltbarkeit und machen das Produkt für den Verbraucher gut sichtbar. Grundsätzlich sind sie also eine gute Sache, wenn nur das erdölbasierte Verpackungsmaterial nicht wäre. Biogene Ersatzstoffe so zu entwickeln, dass sie einen adäquaten, nachhaltigen Ersatz bieten, ist eine besondere Herausforderung. Und die geht das Sustainable Packing Institute SPI der Hochschule Albstadt-Sigmaringen an. Unter Leitung von Prof. Dr. Markus Schmid entwickelt das Forscherteam mit Partnern in mehreren nationalen und internationalen Verbundprojekten innovative Verpackungskonzepte für sensible Lebensmittel.

„Die Verpackungen sollen einerseits eine hohe Schutzfunktion bieten und andererseits schnell und vollständig biologisch abbaubar sein. Diesen Zielkonflikt wollen wir lösen“, so Schmid. Für die Folie selbst ist ein geeignetes Ausgangsmaterial bereits gefunden: Polymilchsäure PLA. Sie kann alleine, als Co-Polymer oder als Mischung mit anderen Biopolymeren zu transparenten, flexiblen Folien verarbeitet werden, die sich kompostieren lassen. „Die gewünschten Abbaueigenschaften bietet das Material, jedoch nicht die zum Beispiel bei Wurst- und Käseaufschnitt geforderten Barriereeigenschaften“, erklärt Schmid. Genau daran arbeitet er im Rahmen des von der EU geförderten Projekts „BIOnTop“. Dabei haben sich 21 Partner aus acht EU-Ländern unter Federführung des spanischen AIMPLAS - Instituto Tecnológico del Plástico zusammengetan, um kosteneffiziente, biobasierte Kunststoffkonzepte zu entwickeln, die auch für sensible Lebensmittel ausreichend Barriereeigenschaften bieten und gleichzeitig kreislauffähig sind. Basis ist hier ein PLA-Co-Polymer.

Mit wenig Material so viel wie möglich erreichen

Das Foto zeigt ein kompaktes Tischgerät zur Messung der Barriereeigenschaften der bio-basierten Verpackungsfolien (Gaspermeationsmessgerät), das über Schläuche mit einer Gasflasche und einer Vakuumpumpe verbunden ist, die im Hintergrund zu sehen sind. und  Gaspermeationsmessgerät werden die Barriereeigenschaften der bio-basierten Verpackungsfolien gemessen.
Mit einem Gaspermeationsmessgerät werden die Barriereeigenschaften der biobasierten Verpackungsfolien gemessen. © Hochschule Albstadt-Sigmaringen, Matthias Bucher

Um ihre Schutzwirkung voll entfalten zu können, muss die Folie vor allem gegen Sauerstoff und Wasserdampf eine Barriere bieten. Könnte beides in zu großen Mengen hindurchtreten, würde das zu einem frühzeitigen Verfall des Lebensmittels führen. „Das PLA-basierte Co-Polymer alleine bietet keine ausreichende Barriere, deshalb wollen wir die Folie funktionalisieren“, sagt Schmid. Für die Sauerstoff-Barriere soll eine Proteinbeschichtung sorgen. Dabei arbeitet das Team mit bereits gut erforschten, tierischen Proteinen aus Molke. So gut die Proteinschicht vor Sauerstoff schützt, hat sie jedoch leider den Nachteil, empfindlich gegen Feuchtigkeit zu sein. Deshalb wollen die Forscher in einem zweiten Prozessschritt eine nanoskalige Schicht aus Fettsäuren aufbringen. Fettsäuren sind von Natur aus hydrophob, also wasserabweisend, und sorgen so für die gewünschte Wasserdampfbarriere. Aber das ist noch nicht alles. Die Nanobeschichtung verbessert auch die Restentleerbarkeit der Verpackung. Es haftet weniger Produkt an, was ein weiterer Pluspunkt auf der Nachhaltigkeitsliste ist. „Da die Beschichtung nanoskalig ist, beeinträchtigt sie nicht die mechanischen Eigenschaften der Verpackung und zeigt zudem eine hohe Materialeffizienz, was sie umso nachhaltiger macht“, ergänzt Schmid. Natürlich muss das Ganze nicht nur im Labor-, sondern auch im industriellen Maßstab funktionieren, noch dazu kosteneffizient. Dieser Aspekt soll ebenso wie die Eignung zur Heimkompostierbarkeit von Industriepartnern im Konsortium untersucht werden.

Drei nebeneinander liegende Folienquadrate zeigen Beschichtungen aus mehreren pflanzlichen Quellen: Links eine relativ körnig wirkende Folie aus Ackerbohnenprotein, mittig eine homogener wirkende Folie aus Erbsenprotein und rechts eine ebenfalls homogen wirkende Folie aus Sojabohnenprotein.
Im Projekt PLA4MAP werden Proteine verschiedener Pflanzen auf ihre Eignung als nachhaltige Beschichtung von ebenfalls nachhaltigen PLA-Verpackungen (PLA=Polylactid Acid, Polymilchsäure) getestet. Die Verpackungen sind für sensible Lebensmittel gedacht, die unter Schutzatmosphäre verpackt werden. © Hochschule Albstadt-Sigmaringen, Corina Reichert

Auch im Projekt „PLA4MAP“ geht es um nachhaltige Lebensmittelverpackungen. Das Projekt wird seit Mai 2020 für drei Jahre vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gefördert. Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV in Freising entwickeln Schmid und sein Team PLA-Schalen für sensible Lebensmittel, die unter Schutzatmosphäre verpackt werden. Das MAP im Projekttitel steht für „Modified Atmosphere Packaging“. Das Verfahren verlangsamt die Alterung von Lebensmitteln wie Fisch, Fleisch, Brötchen sowie anderen Backwaren und macht sie länger haltbar. Als Verpackungsmaterial wird hier marktverfügbares PLA eingesetzt. Die Sauerstoff-Barriere soll durch eine pflanzenbasierte Proteinschicht erhöht werden, und eine Beschichtung aus Wachsen aus der Entwicklungsschmiede des IVV soll für die Wasserdampfbarriere sorgen. Das Besondere an diesem Projekt: Der Materialverbund soll durch quervernetzende Elektronenstrahlbehandlung (eBeam) gestärkt werden, um seine mechanische Widerstandsfähigkeit zu erhöhen. „Mit der Anwendung des eBeam bei diesem Mehrschichtsystem betreten wir wissenschaftliches Neuland“, sagt Schmid. Auch beim weiteren Schicksal der Verpackung nach Gebrauch werden neue Pfade beschritten: Es ist erklärtes Projektziel, das stoffliche Recycling zu ermöglichen – mit der Trennung der Schichten als besonderer Herausforderung.

Das bioökonomische Profil als Ganzes bewerten

Das rege Hochschulteam hat auch die Welt der „smarten“ Verpackungen als Forschungsthema für sich entdeckt. „18 Millionen Tonnen Lebensmittel werden jährlich allein in Deutschland weggeworfen. Dagegen wollen wir etwas tun durch Entwicklung intelligenter Verpackungen, die anzeigen, wann ein Lebensmittel verdorben ist“, sagt Schmid. Damit könne man sich am tatsächlichen Zustand eines Lebensmittels statt an seiner Mindesthaltbarkeit orientieren. „Die Metaboliten bei Abbauprozessen sind bekannt. Das können beispielsweise biogene Amine oder Sulfide sein. Geeignete Indikatorsubstanzen können als chemische Sensoren in Form kleiner ‚Dots‘ oder ‚Patches‘ in die Deckelfolie integriert werden“, so Schmid weiter. Er will das Verfahren so sensitiv wie nötig und so kosteneffizient wie möglich machen. Dabei wird das fakultätsübergreifende Forscherteam von der Carl-Zeiss-Stiftung gefördert.

Das Projekt fügt sich gut in die Mission des SPI ein, innovative Verpackungskonzepte für eine nachhaltige und kreislauforientierte Bioökonomie zu entwickeln. Insgesamt laufen am SPI mit Stand September 2020 Forschungsprojekte im Umfang von rund drei Mio. Euro, die sich allesamt mit innovativen nachhaltigen Verpackungskonzepten befassen. „Wir wollen einen echten Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten“, bekräftigt Schmid. „Deshalb erforschen wir gemeinsam mit unseren Partnern nicht nur Materialien und Prozesse, sondern auch die Konsumentenwahrnehmung und -akzeptanz.“

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/nachhaltige-verpackungen-die-tuecke-steckt-im-detail