Natürliche Gentechnik
Die neuen Methoden der Pflanzenzucht, allen voran das CRISPR/Cas-Verfahren, sorgen für Schlagzeilen: Erstmals in der Geschichte der Landwirtschaft lässt sich das Erbgut von Pflanzen schnell und vor allen Dingen präzise verändern. Die neuen Möglichkeiten stellen Behörden allerdings vor ungeahnte Probleme: Handelt es sich bei solchen Pflanzen um genetisch veränderte Organismen oder nicht?
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Das CRISPR/Cas-System besteht aus 2 Komponenten: einer single guide RNA (sgRNA), die im Bereich von 20 Nukleotiden komplementär zur genomischen Zielsequenz ist, und dem Cas9 Protein, das beide Stränge der DNA schneidet. Die Spezifität des Systems kann durch Veränderung der sgRNA jederzeit neu definiert werden. Die Interaktion zwischen Cas9 Protein und der genomischen DNA wird zusätzlich noch durch eine kurze PAM(Protospacer Adjacent Motiv)-Sequenz bestimmt.
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Emanuelle Charpentier und Jennifer Doudna gelten als zukünftige Nobelpreisträgerinnen. 2012 veröffentlichten sie ihre Ergebnisse zu CRISPR/Cas in der Fachzeitschrift „Science“. In nur vier Jahren eroberte die Methode unzählige Labore weltweit. Mit CRISPR/Cas lässt sich das Erbgut von Menschen, Tieren und Pflanzen so leicht verändern wie noch nie: schnell, präzise und obendrein preiswert. „Das Set kann man sich innerhalb eines Arbeitstages für rund 20 Euro herstellen lassen. Das gab es noch nie. Die Technik ist damit für jedes Labor erschwinglich“, sagt Prof. Dr. Holger Puchta, Leiter des Botanischen Instituts II am Karlsruher Institut für Technologie.
CRISPR revolutioniert nicht nur die Medizin, sondern auch die Landwirtschaft – in einem solchen Tempo, dass die Gesetzgebung hinterherhinkt. So ist momentan noch unklar, wie derartig veränderte Pflanzen einzuordnen sind: als gentechnisch veränderte Organismen (GVO), die Risikoprüfungen durchlaufen müssen, oder als Variante konventionell gezüchteter Pflanzen, die keiner Sicherheitsprüfung bedürfen?
Die entsprechende EU-Entscheidung – sie wurde bereits mehrfach verschoben und war zuletzt für März 2016 angekündigt – wird immer noch mit großer Spannung erwartet. Für Gentechnikgegner handelt es sich bei den neuen Methoden klar um Gentechnik. Sollte sich die EU gegen eine Einordnung solcher Pflanzen als GVO aussprechen, befürchten sie, dass genetisch veränderte Lebensmittel in den Handel gelangen könnten, die nicht als solche gekennzeichnet werden müssten. Deswegen fordern sie Risikoprüfungen für solche Pflanzen und eine entsprechende Kennzeichnung, damit Landwirte und Verbraucher auch in Zukunft eine Wahlfreiheit haben.
Frage der Einordnung
Für viele Wissenschaftler handelt es sich bei solchen Pflanzen hingegen nicht um klassische GVO: „Die herkömmliche Gentechnik bei Pflanzen kann man mit einer Herzoperation unter Öffnung des gesamten Brustkorbs vergleichen, während das Genom-Editing einem minimalinvasiven Eingriff entspricht“, sagt Prof. Dr. Detlef Weigel, Direktor des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie in Tübingen. Gemeinsam mit Kollegen aus China und den USA hat er einen regulatorischen Rahmen für die neuen Pflanzenzuchtmethoden erarbeitet.
Tatsächlich unterscheiden sich die alte und die neue Gentechnik in wesentlichen Punkten: Bei der klassischen Gentechnik kann bis heute niemand vorhersagen, wo genau im Erbgut neu eingefügte Gene landen. Die Ungenauigkeit der Methode und das Einfügen artfremder Gene sind bis heute die beiden Hauptkritikpunkte von Gentechnikgegnern.
Die Methoden des Genome-Editing hingegen sind viel präziser. Besonders genau arbeitet das CRISPR/Cas9-System, mit dem Bakterien sich gegen Viren verteidigen. Biologen können mit dieser universalen Genschere, die auch in Pflanzen, Tieren und Menschen funktioniert, punktgenau bestimmen, wo im Erbgut eine Veränderung stattfinden soll. Biologen unterscheiden bei allen Methoden des Genome-Editing grob drei Schritte: Zunächst wird die zu verändernde Stelle bestimmt, dann wird die DNA dort geschnitten und schließlich repariert. Zahlreiche Arbeitsgruppen weltweit haben gezeigt, dass die Technik bei Reis, Tabak, Tomaten, Mais und Weizen funktioniert: Die Mutationen, also die Veränderungen der Buchstabenfolge der DNA, werden stabil eingefügt und an die Nachkommen weitergegeben.
Die Ziele der neuen Gentechnik unterscheiden sich dabei nicht von den Zielen der alten Gentechnik oder der traditionellen Zucht: Immer geht es darum, Nutzpflanzen an die Bedürfnisse des Menschen anzupassen, sie ertragreicher zu machen, resistenter gegen Krankheitserreger, unempfindlicher gegen Dürre. Vor dem Hintergrund des Klimawandels und weiter steigenden Bevölkerungswachstums braucht es solche Nutzpflanzen mehr denn je. Doch warum ist die rechtliche Einstufung der neuen Methoden nun so schwierig?
Reparaturmethode entscheidet über Ausmaß der Veränderung
Der Knackpunkt ist die Reparatur des Schnittes. Biologen unterscheiden drei Typen: Bei Typ I entsteht eine Punktmutation. Eine Base, also ein Buchstabe der DNA-Sequenz, wird gegen einen anderen Buchstaben ausgetauscht. Bei Typ II verändern Forscher nur wenige Buchstaben. Bei Typ III bringen sie zusätzlich ein größeres Stück Fremd-DNA in die Zelle ein, das an der Bruchstelle eingefügt wird.
Die Typ-III-Reparatur fällt eindeutig unter das Gentechnikgesetz: Der Organismus wäre so nicht auf natürliche Weise entstanden. Uneinigkeit herrscht bei der Einordnung von Typ I und Typ II: Dort sind nur ein einzelner oder einige wenige DNA-Bausteine ausgetauscht. „Typ-I- und Typ-II-Reparaturen führen nicht zu einem GVO, da die genetischen Veränderungen Punktmutationen darstellen, die auch natürlicherweise durch Kreuzung und/oder natürliche Rekombination entstehen könnten“, schreibt das deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in einer Stellungnahme vom November 2015.
Arabidopsis-Samen: Links Samen einer Wildtyp-Pflanze und rechts Samen einer Pflanze, bei der mittels des CRISPR/Cas-Systems durch das Einfügen einer Mutation das Transparent-testa4-Gen funktionell ausgeschaltet wurde, sodass der für die dunkle Färbung der Wildtypsamens verantwortliche Farbstoff nicht mehr gebildet werden kann.
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In der Natur kommen Mutationen, also kleinere genetische Veränderungen der DNA, laufend vor – sie sind der Motor der Evolution. Auch konventionelle Zuchtmethoden verändern das Erbgut: Bei der Mutagenese etwa behandelt man Pflanzen mit Chemikalien oder mit radioaktiven Strahlen. „Damit löst man unzählige Mutationen aus. Wo genau sie entstehen, weiß niemand. Die meisten davon sind schädlich. Solche Pflanzen gelten als natürlich und werden ohne Sicherheitsprüfungen vermarktet“, sagt Puchta und fragt: „Warum sollten Pflanzen, deren Erbgut man wie mit einem Skalpell an einem vorher definierten Ort nur wenig verändert, rechtlich schlechter gestellt sein?“
Weil in Europa der Entstehungsprozess einer Pflanze stärker zählt als das Endprodukt. Nach geltendem EU-Recht handelt es sich dann um Gentechnik, wenn „in einen Organismus direkt Erbgut eingeführt wird, das außerhalb des Organismus zubereitet wurde“ – so zwei Rechtsgutachten, die von NGOs wie Greenpeace in Auftrag gegeben wurden. Somit wären alle Pflanzen und Tiere, die mit CRISPR/Cas oder einer anderen Genome-Editierungs-Methode verändert wurden, automatisch GVO.
Der Nachweis ist nicht möglich
Bei dieser Auslegung gibt es allerdings einen Haken: „Solche Pflanzen unterscheiden sich nicht von ihren natürlichen Artgenossen“, sagt Puchta. Was nicht an fehlenden Nachweismethoden liegt, sondern schlicht daran, dass es tatsächlich keine Unterschiede gibt. „Wie sollen wir denn den Einsatz einer Technologie kontrollieren, wenn wir deren Nutzung gar nicht nachweisen können?“, fragt Puchta.
In Kanada oder den USA zum Beispiel zählt das Endprodukt stärker als der Entstehungsprozess. So entschieden die Behörden in den USA erst Ende April 2016, dass eine mit CRISPR veränderte Maissorte nicht als GVO einzustufen sei. Kommt der Mais in fünf Jahren dort auf den Markt, könnte er auch in Europa landen – ohne dass sich nachweisen ließe, dass er mithilfe von CRISPR hergestellt wurde.
Weigel und seine Kollegen empfehlen, dass die Änderungen, die durch das Genom-Editing erfolgt sind, analysiert und dokumentiert werden sollten. Außerdem sollte sichergestellt werden, dass keine Reste von eventuell vorher eingeführter Fremd-DNA im Erbgut verbleiben. Dann seien so gewonnene Pflanzen aber solchen aus konventioneller Züchtung gleichzusetzen. Bleibt abzuwarten, wie die EU entscheidet.