Precision Farming – auf den digitalen Hightech-Traktor aufgesprungen
Ackerboden nachhaltig bearbeiten, eine gute Ernte einfahren, Kühe melken, dokumentieren – an einem Arbeitstag für einen Landwirt kaum noch zu bewältigen. Hochtechnologische Landmaschinen und automatisierte Lösungen helfen Ressourcen und Zeit einzusparen. Den Fortschritt mitzugestalten kann für Betriebe aller Größen wirtschaftliche und auch ökologische Vorteile bringen.
Precision Farming wird längst betrieben. „Ziel eines jeden Betriebes ist effizient und nachhaltig zu wirtschaften. Beim Precision Farming werden Betriebsmittel wie Saatgut, Pflanzenschutz- und Düngemittel nur dort eingesetzt, wo sie erforderlich sind“, erklärt Prof. Dr. sc. agr. Hans W. Griepentrog, Leiter des Fachgebiets Verfahrenstechnik in der Pflanzenproduktion am Institut für Agrartechnik der Universität Hohenheim.
Ackerbau via Satellit und Sensor – wer ackert hat die Daten auf dem Schirm
Landmaschinen düngen GPS-gestützt und sensorgesteuert nur an Stellen, wo es nötig ist.
© Oliver Martin, Farmblick, Kraichtal
Landmaschinen arbeiten GPS-gestützt und sensorgesteuert mit dem RTK-Verfahren (RTK: engl. Real Time Kinematic). In Echtzeit erhält der im Traktor sitzende Landwirt über den Bordcomputer kontinuierlich neue Informationen. Wo ist es trocken, wo feucht? Wo ist die Biomasse schwach? Wie ist die Bodenverdichtung, wie das Geländeprofil? Wieviel Dünger- und Pflanzenschutzmittel sind an welchen Stellen einzuplanen? Wie sind die Wetterbedingungen? Was Bauern mühselig in einzelnen Arbeitsschritten auf Karteiblättern notierten und im Labor herkömmlich analysiert wurde, wird heute digital auf einer elektronischen Ackerschlagkartei erfasst und ist online sofort verfügbar. Auf Grundlage dieser Daten können Maßnahmen errechnet, geplant und durchgeführt werden, etwa zu Bearbeitungstiefe, optimaler Aussaat oder Teilflächenbehandlung. Während der Traktor über das Feld rollt, werden beispielsweise Informationen der digital erstellten Düngekarte an einen computerunterstützten Mineraldüngerstreuer übermittelt. Die für das Pflanzenwachstum notwendigen Nährstoffe werden somit nur an den spezifisch ermittelten Stellen gestreut. Intelligente Sensoren sind vielfältig einsetzbar: Die Blattfärbung der Pflanzen können von Stickstoffsensoren am Traktor über Lichtwellen erfasst werden. Entsprechend der Düngeempfehlung stellt der Bordcomputer im gleichen Arbeitsgang den Streuer teilflächenspezifisch ein. Bei der Ernte leisten intelligente sensorgesteuerte Systeme ebenfalls wertvolle Dienste. Der Mähdrescher beispielsweise misst die Erntemenge und die Feuchtigkeit innerhalb einer Ackerfläche. Daraus ermittelt eine Software, wie sich die Erträge auf die Gesamtfläche verteilen.
Monitor des ISOBUS kompatiblen Terminals, mit dem das Fahrzeug zur Bodenbeprobung gesteuert bzw. automatisch gelenkt wird.
© Oliver Martin, Farmblick, Kraichtal
Einen weiteren Ansatz zur Ressourceneinsparung verfolgen automatisierte Lenksysteme. Satellitengesteuert halten sie die jeweilige Landmaschine mit einer maximalen Abweichung von zwei cm präzise auf Kurs. Somit werden Überlappungen vermieden, der Kraftstoffverbrauch gesenkt und auf den Wendeflächen werden die Düsen automatisch abgeschaltet. Dies ermöglicht den gezielten und reduzierten Einsatz von Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmittel. Die definierten Nitrateinträge können von der Pflanze vollständig aufgenommen und Überdüngungen vermieden werden. All dies wird als ökologisch und ökonomisch wichtiger Beitrag gesehen. „Die Produktionsverfahren sind für alle am Betrieb beteiligten Personen transparenter und besser steuerbar“, meint Griepentrog. „So kann auch sicher gestellt werden, dass Umweltschutzauflagen eingehalten und nachhaltige Maßnahmen getroffen werden.“ Der Experte für Verfahrenstechnik betont auch die Bedeutung für die Ökolandwirtschaft. „Aktuelle Kenntnis über Feldbedingungen und Pflanzenbestand sowie autonome Maschinen ermöglichen auch hier ein besseres Produktionsergebnis und Ressourceneffizienz.“
Beim teilautonomen Fahren erfährt der Landwirt einen weiteren ökonomischen Mehrwert: Statt aktiv zu lenken, kann er mit einem mobilen Gerät andere Aufgaben zeitgleich planen und erledigen, wie etwa Parallelfahrsysteme anweisen. Ein weiterer Vorteil ist, dass ermüdendes und somit ineffizientes Arbeiten verhindert wird.
Drohnen und Roboter – Zukunftsvision oder wahre Helfer?
Der KUBOTA RTV-X900, der von FarmBlick für die georeferenzierte Bodenbeprobung umgebaut wurde (Bohrer im Heck). Durch die exakte Dokumentation des Entnahmepunktes kann die gleiche Stelle wieder gefunden und wiederholt beprobt werden.
© Oliver Martin, Farmblick, Kraichtal
Ein Blick von oben: Mit Wärmebild- oder Multispektralkameras erkennen Drohnen bei einzelnen Pflanzen krankheitsbedingte Veränderungen bereits in einem frühen Stadium. Wachsen Pflanzen innerhalb eines Flurstücks unterschiedlich, können sie Dünge- oder Pflanzenschutzmittel gezielt an den langsam wachsenden Pflanzen einsetzen. Mit Drohnen lassen sich Biomasse kartieren, Wildtiere erkennen sowie Wasser-, Hagel- oder Wildschäden dokumentieren. Dabei werden weder Pflanzen zerdrückt noch Boden verdichtet. Gibt es Schädlingsbefall? Haben Wildschweine im Boden gewühlt? Feldroboter können die exakte Position und Eigenschaften von Nutz- und Begleitpflanzen sowie des Bodens erkennen. Aus vielen Einzelfotos entsteht ein Gesamtbild für die Datenbank. Zum Säen wird dank zahlreicher Sensoren nur an freien Stellen ein kleines Loch gegraben und selektiv Samen eingepflanzt. Durch ihr geringes Gewicht schonen die Roboter auch feuchten Boden, sodass bereits früh im Frühjahr gesät werden kann. Sie können ebenfalls zur mechanischen Unkrautbekämpfung eingesetzt werden. Auch im Stall haben Roboter längst Einzug gefunden. Sie erkennen und reinigen die Zitzen von Kühen, melken selbstständig und entlasten somit den Landwirt.
Überbetriebliche Kooperationen – eine Möglichkeit für kleine Betriebe
Hans Griepentrog stellt auch die Bedeutung regionaler Daten heraus, z. B. zu Sortenverhalten, Anwendungszeitraum und Wirkstoffeinsatz. „Erfahrungen vieler regionaler Anwender mit ähnlichen Problemen können mit einer speziellen Datenanalyse effektiv genutzt werden.“ Datenmanagement, Satellitennavigation, Roboter, Vernetzung – so viel Technik wirft die Frage nach Finanzierbarkeit gerade für kleinere Betriebe auf, auch für die flächenärmeren Betriebe in Baden-Württemberg. Für eine Auslastung der Maschinen und kosteneffizientes Arbeiten nehmen deshalb Maschinenringe und Dienstleister eine immer bedeutendere Rolle ein. „Für einen Landwirt ist es wichtig, aus den Daten der elektronischen Ackerschlagkarte die für sich relevanten Informationen herauszufiltern“, beschreibt Oliver Martin die oft komplexen Zusammenhänge. Der Landwirt aus dem Kraichgau beschäftigt sich intensiv mit der Digitalisierung, ohne dabei die Effizienz aus den Augen zu verlieren. Um den Landwirten den Einstieg in den Bereich Precision-Farming zu erleichtern, gründete er gemeinsam mit Marius Sauer 2017 das Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen FarmBlick Oliver Martin & Marius Sauer GbR.
„Die Datenmenge, die jeder Anwender im Betrieb für sich benötigt und nutzt, ist so unterschiedlich wie die individuelle Smartphone-Nutzung.“ Big Data kann sich aber in „Smart Data“ wandeln, in die intelligente Verarbeitung der großen Datenmengen mit Hilfe von Semantik. Dienstleister wie FarmBlick beraten und bieten Lösungen, die direkt auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Mietmöglichkeiten, Sensorfahrten, technische Installation bis zum Management im Datendschungel können den Arbeitsalltag der Kunden erheblich erleichtern. Für die digitale Aufbereitung der Daten werden Farm-Management-Plattformen wie z.B. 365FarmNet herangezogen. So werden aufwändige Schritte wie Erstellung der automatischen Ackerschlagkartei, Dokumentation, Betriebsanalyse bis hin zum Antrag auf Fördergelder erleichtert. Die aus den Daten generierten Handlungsempfehlungen können für weitere Maßnahmen genutzt und umgesetzt werden. Oliver Martin empfiehlt in kleinen Schritten zu investieren, wie zunächst in einer Erstellung einer Ertragspotentialkarte, und sich gegebenenfalls zur Effizienz entsprechender Maßnahmen beraten zu lassen. „Um den Anspruch einer nachhaltigen Landwirtschaft gerecht zu werden, könnte eine bundesweit kostenlose Versorgung der Landwirte mit Ackerschlagkarten und Satellitenkarten den Fortbestand gerade auch kleiner Betriebe sicherstellen.“
Viele Betriebe besitzen ältere Landmaschinen verschiedener Hersteller mit unterschiedlichen Bedienterminals. Um Arbeitsprozesse zu vernetzen, müssen keine neuen Traktoren oder Anbaugeräte angeschafft werden. Ein standardisierter ISOBUS-Terminal ersetzt die verschiedenen Geräteterminals. Dadurch lassen sich komplexe Informationen unter den mobilen Endgeräten und dem Arbeitsgerät austauschen. Der Anwendung und der Weiterentwicklung von ISOBUS widmet sich u.a. die Anwender-Plattform Agricultural Industry Electronics Foundation (AEF), eine Initiative aus internationalen Landmaschinenherstellern und Verbänden.
Oberste Priorität bei der Nutzung betrieblicher digitaler Informationen hat der Datenschutz. „Die Daten sind handelbare Güter mit großem wirtschaftlichem Wert“, betont Griepentrog. „Anders als in der Industrie herrschen im natürlichen Ökosystem jeden Tag andere Bedingungen. Der Landwirt kann korrigierend eingreifen oder sich für eine digital erstellte Lösungsvariante entscheiden.“ Damit wird deutlich: Trotz der automatisierten Fortschrittlichkeit kann der Landwirt nie ersetzt werden. Und es muss gewährleistet sein, dass die Daten dem Landwirt gehören und nur er die Nutzung autorisiert. Letztendlich bleibt die Verantwortung für Hof und Umwelt immer in der Hand des Landwirts.