PURCELL – Cellulose ersetzt Kunststoff
Aus unserem Alltag sind glasfaserverstärkte Kunststoffe nicht mehr wegzudenken: Ob in Autos, Spielplatzrutschen, Schwimmbecken oder Fassaden – überall, wo verlässliche Stabilität gefragt ist, kommen solche Verbundwerkstoffe heutzutage zum Einsatz. Leider sind sowohl Produktion als auch Entsorgung alles andere als nachhaltig. Wissenschaftler der Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung Denkendorf haben nun einen neuartigen Werkstoff aus reiner Cellulose entwickelt, der praktisch die gleichen mechanischen Grundeigenschaften erfüllt, einfach und ungiftig hergestellt werden kann und auch noch vollständig recyclingfähig ist.
Glasfaserverstärkter Kunststoff (GFK), auch Fiberglas genannt, ist seit Jahrzehnten einer der am häufigsten eingesetzte Verbundwerkstoff für zahlreiche Konstruktionen und Bauteile – vor allem in Bereichen, wo Stabilität und Festigkeit gefragt sind, wie etwa im Fahrzeug- oder Brückenbau. Der Bedarf an solchen Werkstoffen ist mit einer Produktionsmenge von über einer Million Tonnen alleine in Europa riesengroß*. Allerdings bereiten GFK in verschiedenen Bereichen Probleme: Bei der Herstellung kann es zu giftigen Dämpfen kommen und während der Weiterbearbeitung können problematische Feinstäube in erheblichen Mengen entstehen. Zudem kann man die Werkstoffe praktisch nicht recyceln; sie werden entweder auf Halden gelagert oder verbrannt. Da diese Vorgehensweise nicht mehr der EU-Verordnung entspricht, die vorsieht, dass zum Beispiel Fahrzeuge zu 95 Prozent recyclingfähig sein müssen, wird dringend nach Alternativen gesucht.
Dr. Frank Hermanutz ist Bereichsleiter an den DITF. Er hat mit seiner Arbeitsgruppe den neuartigen Verbundwerkstoff PURCELL entwickelt.
© DITF, Ulrich Hageroth
An den Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung Denkendorf DITF wurde nun eine solche mögliche Alternative entwickelt: der neuartige Werkstoff „PURCELL“, der aus reiner Cellulose besteht. In dem Einkomponentenmaterial besteht sowohl die Verstärkungsfaser als auch die Matrix, in welche die Verstärkungsfasern eingebettet sind, aus diesem Naturstoff. „Cellulose ist eines der häufigsten Biopolymere, die es auf der Welt gibt; sie kann leicht aus Holz gewonnen werden und ist deshalb ein nachwachsender, nachhaltiger Rohstoff, der uns in nahezu unbegrenzter Menge zur Verfügung steht“, erklärt Dr. Frank Hermanutz, der die Forschungsarbeiten an den DITF leitet.
Cellulosewerkstoff komplett recyclingfähig und kompostierbar
Ausgangsmaterialien für PURCELL sind Cellulosefasern, Zellstoff und Celluloselösung in ionischen Flüssigkeiten.
© DITF, Ulrich Hageroth
Schon seit Jahren arbeiten die Chemiker um Hermanutz an Verfahren zur umweltfreundlichen Herstellung von Cellulosefasern mithilfe flüssiger Salze. „Diese ionischen Flüssigkeiten können Cellulose lösen und sind dabei völlig ungiftig, unter anderem, weil sie keinen Dampfdruck erzeugen und man dann auch keine Abluftprobleme hat“, berichtet Hermanutz. „Sie sind zudem bei Raumtemperatur an der Luft stabil, und man kann sie gut einsetzen, um Fasern mithilfe dieser Lösungen in eine Matrix einzubetten. Man wäscht sie anschließend aus und trocknet das Material – das ist auch schon der ganze Trick.“ Mit diesem etablierten Verfahren bewarben sich die Forscher im Projekt „Ressourceneffizienz“ des Landes Baden-Württemberg um Förderung, bekamen den Zuschlag und arbeiten seit 2015 an der Entwicklung von PURCELL – mit Erfolg. „PURCELL erfüllt mittlerweile die mechanischen Grundeigenschaften, die wir uns vorgenommen haben“, sagt der Chemiker. „Der Werkstoff wird zwar nicht alles an GFK ersetzen können, aber sehr vieles.“
PURCELL nach dem Auswaschen in getrockneter Form
© DITF, Ulrich Hageroth
Ein weiterer Vorteil ist, dass man den an den DITF entwickelten Werkstoff problemlos recyceln kann. „Man hackt das Material einfach klein, gibt es nochmals in die Salzlösung und kann es anschließend wieder als Matrix einsetzen“, erklärt Hermanutz. „Das kann man sogar mehrere Male machen – unsere Verbundplatten sind mittlerweile in der vierten Generation, ohne dass die Cellulose geschädigt wurde oder sich die Eigenschaften verändert hätten. Verwendet in Autoteilen würde das eine Lebensdauer von etwa 40 Jahren bedeuten. Möchte man das nicht, ist PURCELL aber auch sogar kompostierbar – und das Problem, dass Mikropolymere die Gewässer verunreinigen, hat man damit auch nicht. Im Gegenteil – man kann es zerkleinert sogar als Fischfutter verwenden. Man hat also keine End-of-Life-Abfälle wie mit den GFK.“ Wegen seiner herausragenden Eigenschaften ist PURCELL kürzlich auf der internationalen Fachmesse Techtextil mit dem „Innovation Award New Materials 2017“ ausgezeichnet worden.
Im Prinzip ist der neuartige Verbundwerkstoff schon jetzt fertig entwickelt. Er wurde bisher in Form von kleinen, etwa DIN-A4-großen Mustern in Z-Form, sogenannten Profilen, produziert. Für die Herstellung können die gängigen, in der Industrie vorhandenen Werkzeuge verwendet werden – es sind keine Spezialmaschinen erforderlich. Als Verstärkungsfasern wurden auf dem Markt erhältliche Reifencordfasern eingesetzt. Es können allerdings auch andere Fasern, beispielsweise aus Hanf, Flachs oder Baumwolle, verwendet werden. „Die Faser bestimmt die Festigkeit“, erklärt der Chemiker. „Da ist man sehr flexibel – je nachdem, für welche Anwendung der Werkstoff sein soll.“
Mögliche Anwendungen im Test
PURCELL wurde bisher in Form von kleinen Mustern in Z-Form hergestellt.
© DITF, Ulrich Hageroth
Nun steht für die Wissenschaftler aus Denkendorf an zu prüfen, wie man PURCELL weiterverarbeiten kann: „Unsere mechanischen Zielgrößen hat das Material erfüllt, nun werden wir mögliche Anwendungen testen“, so Hermanutz. „Wir gehen jetzt die spezifischen Probleme an und werden uns konkrete Bauteile vornehmen – also zum Beispiel untersuchen, wie man den Werkstoff für einen Handschuhkasten einsetzen, oder in welcher Weise man PURCELL beschichten kann.“ Zudem stehen das Upscaling des Herstellungsprozesses und die nachfolgende Automatisierung auf dem Programm der Textiltechniker; allerdings wird dies nicht in Hermanutz´ Arbeitsgruppe erarbeitet werden, sondern vom Verbundwerkstoffbereich am Institut, das den Werkstoff auch mitentwickelt hat. In einer Pilotfabrik ist die Auflage einer Kleinserie geplant. Im großen Stil produziert wird PURCELL an den DITF allerdings mit Sicherheit nicht: „Wir sind ein reiner Forschungsbetrieb“, sagt Hermanutz. „Das werden die Kunden dann übernehmen.“
Interessenten für den innovativen Werkstoff gibt es schon einige, so der Chemiker: „Auf der Messe Techtextil gab es viele, die Interesse an PURCELL gezeigt haben. Es gibt auch schon Gespräche, und man muss sehen, wie es läuft – aber die technische Umsetzung ist definitiv schon auf dem Weg. Wie die künftigen Anwendungen konkret aussehen werden, wird sich zeigen: Der Cellulose-Werkstoff ist zwar nicht so hart wie GFK, das heißt, hoch feste Konstruktionsteile wie A- oder B-Säule im Auto wird es aus PURCELL nicht geben. Dafür hat das Material aber beispielsweise eine höhere Schlagzähigkeit – wäre also für Fahrzeuginnenteile gut geeignet.“