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Rezension: Selbstverbrennung

Mit wissenschaftlicher Genauigkeit und leidenschaftlichem Engagement führt uns Schellnhuber die Fakten und Konsequenzen des menschengemachten Klimawandels vor Augen. Das Buch ist ein dramatischer Appell an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die Verbrennung fossiler Energieträger zu stoppen, damit unsere natürlichen Lebensgrundlagen nicht unweigerlich zerstört werden.

Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schellnhuber bei der Vorstellung der Machbarkeitsstudie „Klimaneutrales Berlin 2050“. © Stadtentwicklung Berlin, 2014

Der dramatische Titel „Selbstverbrennung“ für dieses ungewöhnliche Buch ist ein Fanal. Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schellnhuber, einer der renommiertesten Klimaforscher der Welt, nennt als Grund seiner Titelwahl: „Die naiven Verheißungen der Moderne stehen in Flammen, die uns unbarmherzig miterfassen werden, wenn wir das Haus der Zivilisation nicht aus sicherem Material neu erbauen.“ Dieser Neubau bedeutet, dass wir uns bis Mitte dieses Jahrhunderts aus der von fossilen Brennstoffen getriebenen Weltwirtschaft verabschieden und aufhören, die Atmosphäre mit Treibhausgasen anzureichern. Das Buch wurde geschrieben, um uns die Konsequenzen des menschengemachten Klimawandels vor Augen zu führen – dass wir, wenn wir jetzt nicht gegensteuern, den nachfolgenden Generationen einen in weiten Teilen für Menschen unbewohnbaren Planeten hinterlassen.

Der Autor, Professor für Theoretische Physik an der Universität Potsdam, geht methodisch vor, wenn er die „fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff“ beschreibt. Der Leser soll die Fakten kennenlernen und die physikalischen und chemischen Grundlagen verstehen können, auf denen die Aussagen und Projektionen der Klimaforschung beruhen. Der Bogen spannt sich von der Klimageschichte der Erde über die beiden großen Transformationen der neolithischen und der industriellen Revolution bis zu der heutigen Forderung nach einem „Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ zu einer nachhaltigen Welt, die nicht nur eine Energiewende und Dekarbonisierung der Weltwirtschaft, sondern auch eine gerechtere Wohlstandsverteilung beinhaltet. Der Aufbau des durchweg flüssig und unterhaltsam geschriebenen Buches ist nicht chronologisch, sondern von außen nach innen, in Schellnhubers Terminologie von der „Haut“ der äußeren Umwelt bis ins „Mark“ der kulturellen und geistigen Fundamente menschlicher Existenz angesichts ihrer größten Bedrohung. Verwoben sind die wissenschaftlichen Einsichten mit Erinnerungen, Bekenntnissen und Anekdoten, Porträts wichtiger Persönlichkeiten, die den Weg zur modernen Klimaforschung gebahnt haben, und Exkursen über die Fachgrenzen hinaus bis in die Geschichte, Philosophie und Politik der Gegenwart. Diese Seitenstränge in der Erzählung machen einen besonderen Reiz des Werkes aus. Doch dürften manche Leser dabei gelegentlich den Überblick verlieren.

Eine Zwei-Grad-Brandmauer gegen Selbstzerstörung

Das Klimasystem des Planeten Erde, Satellitenfoto der NASA. © visibleearth.nasa.gov

Im Kern des Buches „Selbstverbrennung“ geht es um die mit vielen anspruchsvollen Abbildungen unterlegten Forschungsergebnisse und um die jahrzehntelangen Kämpfe, um die internationale Politik zum Handeln gegen die fatalen Konsequenzen des Klimawandels zu bewegen. Hans Joachim Schellnhuber – Gründungsdirektor des weltbekannten Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Mitglied des Weltklimarates und zahlreicher Fachgremien, Berater von Regierungen und internationalen Organisationen, vielfach ausgezeichnetes und geehrtes Mitglied der deutschen, amerikanischen und päpstlichen Akademie der Wissenschaften – steht selbst im Zentrum dieser Auseinandersetzungen. Vor mehr als zwanzig Jahren hatte er aus den Analysen verschiedenster Klimaszenarien die Erkenntnis gewonnen, dass alles getan werden muss, um die globale Erwärmung im Vergleich mit der vorindustriellen Zeit auf zwei Grad Celsius als obere Brandmauer zu begrenzen. Jenseits davon wird es richtig gefährlich. Er identifizierte auch die großen Kippelemente im Erdsystem, die unumkehrbar aus dem Ruder laufen, wenn sie unter dem Einfluss menschlicher Störungen bestimmte Schwellenwerte überschreiten.

Auf dem Pariser Klimagipfel im Dezember 2015 haben sich jetzt die Staaten der Welt verpflichtet, die Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren und die globale Erwärmung auf „weit unterhalb von zwei Grad“ zu begrenzen. Das ist wohl der größte Erfolg, den Schellnhuber und seine Mitstreitern bisher erzielen konnten. Doch nun müssen die Beschlüsse auch umgesetzt werden, wenn sie nicht am Ende nur der glorifizierenden Verschleierung nationaler, in die Klimakatastrophe führender Interessen dienen sollen.

Fast 800 Seiten Stellungnahme

Das Buch „Selbstverbrennung“ ist vor dem Pariser Gipfel erschienen. Mit wissenschaftlicher Genauigkeit, leidenschaftlichem Engagement, dabei ironisch und spannend, schildert der Autor die mühevollen Wege zwischen der Klimarahmenkonvention von New York 1992 und dem jetzigen Abkommen. Die weltweit agierenden Apologeten der Wachstums- und Überflussgesellschaft und die Lobbyisten der Kohlenstoffindustrie schreckten mit ihren Kampagnen gegen die Klimawissenschaft, unterstützt von missgünstigen, geltungsbedürftigen oder gekauften Experten, nicht vor Lügen, der Verfälschung von Fakten, Verschwörungstheorien und absurden persönlichen Diffamierungen zurück. Man reibt sich die Augen, mit welcher Ignoranz auch intelligente Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft die Behauptungen der Klimawandel-Leugner übernommen haben. Schellnhuber analysiert schonungslos und nennt Namen. „Nach rund dreißig Jahren der Auseinandersetzung mit allen Aspekten des Klimawandels“, schreibt er, „drängt es mich, umfassend Stellung zu beziehen… Meine Entscheidung besteht darin, nunmehr endgültig Partei zu ergreifen – gegen eine gesellschaftliche Betriebsweise, welche die natürlichen Lebensgrundlagen unweigerlich zerstören wird.“

Gegenwärtig ist der Chor der selbsternannten Klimaskeptiker etwas leiser geworden. Doch man kann sicher sein, dass man ihn wieder laut vernehmen wird, sobald mit der Umsetzung des Klimaabkommens ernst gemacht wird.

Wenn man das fast 800 Seiten dicke Buch in Händen hält, könnte man auf denselben Gedanken kommen, von dem Schellnhuber erzählt, nachdem ihm der umfangreiche Bericht seines Kollegen Prof. Dr. Ottmar Edenhofer an den Weltklimarat überreicht worden war: „Mit dieser erdrückenden Beweislast könnte man auch nach hartnäckigen Verdrehern der Klimawahrheit werfen.“ Auf jeden Fall sollte man sich aber das intellektuelle Vergnügen nicht entgehen lassen, „Selbstverbrennung“ vorher zu lesen.

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