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Sellerie und Strom: Duales System auf dem Acker

Sonnenernte auf zwei Etagen: In Agrophotovoltaik-Anlagen gedeihen Nahrungsmittel unter Solarkollektoren. Teller oder Tank, Kartoffeln oder elektrischer Strom? Neben Energiepflanzen für Biokraftstoffe und Biogas konkurrieren heute auch Freiflächen-Solaranlagen mit der Nahrungsmittelproduktion um Fläche. Eine Lösung könnte die sogenannte Agrophotovoltaik (APV) sein, bei der die Ackerfläche auf mehreren Ebenen genutzt wird. Oben sammeln Solarzellen Sonnenenergie und unten beackert der Bauer mit seinem Traktor das Feld. Das Pilotprojekt APV-RESOLA untersucht die Effizienz dieser Doppelnutzung.

Auf fünf Meter langen Stahlbeinen ruhen die Solarzellen, die in einem genau berechneten Abstand voneinander angebracht sind, um eine optimale Stromausbeute bei ausreichend Licht für die Kulturpflanzen zu gewährleisten. Während die Kollektoren in luftiger Höhe die Energieernte einfahren, gedeihen im Ackerboden darunter Kartoffeln und Sellerieknollen. Bereits 1981 hatte Prof. Adolf Goetzberger, Gründer des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE, in einem Aufsatz zum ersten Mal diese Doppelnutzungs-Strategie vorgeschlagen. Was damals von vielen belächelt wurde, steht jetzt auf 0,3 Hektar auf einem Acker der Hofgemeinschaft Heggelbach, einem Demeter-Bauernhof östlich von Stockach am Bodensee. Die vom Bundesforschungsministerium finanzierte Anlage läuft seit September 2016 und bislang deutet alles darauf hin, dass sich Landwirtschaft und Energieerzeugung auf ein und derselben Fläche erfolgreich kombinieren lassen.

Sellerie wächst unter der APV-Anlage. © Gunther Willinger

Die Solaranlage überspannt 126 x 24 Meter und trägt 720 Solarmodule mit einer maximalen Gesamtleistung von 194 Kilowatt (kWp). Auf den rund 3.000 Quadratmetern unter den Kollektoren wachsen Streifen von Kleegras, Kartoffeln, Sellerie und Weizen. Auf weiteren 3.000 Quadratmetern werden die Ackerstreifen direkt im Anschluss als Vergleichsfläche ganz normal bewirtschaftet. Für den Nahrungsmittelanbau ist Ökobauer Florian Reyer von der Hofgemeinschaft Heggelbach zuständig: „Unter der Anlage wird es beim Rangieren zwischen den Pfosten manchmal schon etwas eng, aber im Großen und Ganzen ist die Bewirtschaftung kein Problem“, berichtet er und begutachtet die Sellerieknollen, die jetzt im Spätherbst fast erntereif sind. Die Landwirte interessiert vor allem, welchen Einfluss die Kollektoren auf den Boden und die Erträge haben. Um das zu untersuchen, erfassen die Agrarwissenschaftlerinnen Prof. Dr. Petra Högy und Andrea Ehmann von der Universität Hohenheim nicht nur die genaue Erntemenge und -qualität. Mit über 30 fest installierten und weiteren mobilen Messstationen werden auch Temperatur und Feuchte von Boden und Luft, Sonneneinstrahlung und Niederschlagsmenge aufgezeichnet.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich die Anlage kaum auf die Niederschlagsverteilung auswirkt und den Pflanzen nur relativ wenig Sonnenlicht wegnimmt“, erläutert Högy. Das bereits ausgewertete Erntejahr 2017 zeigte etwas über fünf Prozent Einbußen beim Kleegras und zwischen 18 und 19 Prozent bei Getreide, Kartoffeln und Sellerie. Im extrem langen und trockenen Sommer 2018 war die Beschattung durch die Kollektoren möglicherweise sogar von Vorteil. „Für 2018 zeichnet sich eine vergleichbare Ernte beim Weizen und möglicherweise eine etwas höhere Kartoffelernte im APV-Anbau ab“, berichtet Andrea Ehmann. Eine Erklärung: Unter den Kollektoren haben die Wissenschaftlerinnen eine länger verfügbare Bodenfeuchte gemessen. Die Auswertungen laufen aber noch und abschließende Ergebnisse werden erst im Frühjahr nächsten Jahres vorliegen. Positive Beschattungseffekte könnten in Zeiten des Klimawandels oder in ohnehin heißeren und trockeneren Regionen jedenfalls ein zusätzlicher Vorteil des APV-Ansatzes sein.

„Die Solarstromerträge sind höher als erwartet.“ Stephan Schindele, Fraunhofer ISE

Im ersten Jahr (2017) produzierte die Anlage über 245.000 Kilowattstunden Strom. Das sind 1.260 Kilowattstunden pro installiertem Kilowatt Leistung – damit ein Drittel mehr als der deutschlandweite Durchschnitt von 950 Kilowattstunden. Für 2018 rechnet Stephan Schindele, Projektleiter am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg, mit einem ähnlich guten Energieertrag. Eine leicht verringerte Feldernte und die gute Stromernte zusammengenommen können sich in der Bilanz sehen lassen: „Unterm Strich konnte der Gesamtertrag auf der Fläche im ersten Erntejahr um 60 % gesteigert werden“, freut sich Schindele, der das Projekt auf den Weg gebracht hat. Eine APV-Anlage könnte also für Landwirte ein interessanter zusätzlicher Einkommenszweig sein.

Messinstrumente unter der APV-Anlage der Hofgemeinschaft Heggelbach © Gunther Willinger

Auf dem Heggelbachhof wird der produzierte Strom im landwirtschaftlichen Betrieb entweder direkt selbst verbraucht oder in Kooperation mit dem Projektpartner EWS Schönau ins Stromnetz eingespeist. Die Hofgemeinschaft testet gemeinsam mit dem Projektpartner BayWa r.e. außerdem ein 160-kWh-Batteriespeichersystem, um etwa die Kühllager auch nachts mit dem selbst produzierten Strom versorgen zu können. Denkbar wäre auch eine Direktvermarktung an naheliegende Wohnsiedlungen.

Bürger bevorzugen APV gegenüber Biogas und Freiflächen-PV

Die APV-Anlage mit ihren 50 Tonnen Stahl, die sich auf Stelzen über den Acker erhebt, ist nicht gerade eine filigrane Schönheit. „Einige Leute in der Region waren anfangs schon sehr skeptisch“, erinnert sich Ökobauer Florian Reyer. Überrascht habe ihn das aber nicht. Es sei eben auch Teil des Pilotprojekts, mit den gesellschaftlichen und bürokratischen Hürden zurechtzukommen. Zur Einbindung der Bürger hat das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) Bürgerwerkstätten vor und nach dem Bau der Pilotanlage durchgeführt. „Die Teilnehmer waren sich einig, dass zuerst alle verfügbaren Dachflächen mit PV-Modulen bestückt werden sollten, da man dafür keine zusätzlichen Ständer oder Trafostationen bräuchte“, berichtet Dr. Christine Rösch vom KIT. Wenn man dann noch Strom vom Acker benötige, dann lieber von APV als von Freiflächen-PV und Biogasanlagen, „weil man darunter noch Nahrungsmittel anbauen kann“. Allerdings wäre das ohne Zweifel ein massiver Eingriff in die Landschaft. Die Bürger befürchten, dass es wie bei den Biogasanlagen zu einem „APV-Wildwuchs“ und zu einer „Überdachung der Landschaft“ kommen könne. Zudem bestünde die Gefahr einer „Pseudolandwirtschaft“, da die Stromernte einfacher, verlässlicher und lukrativer sei als die Biomasseernte.

Ob sich APV-Anlagen in Zukunft durchsetzen werden, hängt nicht zuletzt von politischen Weichenstellungen ab. Stephan Schindele erwartet, dass herkömmliche Freiflächen-PV-Anlagen in den nächsten Jahren auch ohne Förderung rentabel werden. Um den Flächenverbrauch bei der Energiegewinnung zu reduzieren, könnte den APV-Anlagen dann eine wichtige Rolle zukommen.

Doppelnutzung mit viel Potenzial

Der Materialaufwand ließe sich noch optimieren. So könnte man das Stahlgerüst durch klimafreundlichere Holzständer ersetzen. Momentan würde aber niemand diesen Ansatz verfolgen, sagt Schindele, denn der Preis für Stahl sei immer noch relativ günstig. Eine andere Idee stammt vom Österreichischen Ingenieur Günter Czaloun, der die Solarpaneelen an einer frei schwebenden Seilkonstruktion befestigt, die mit nur vier Eckpfeilern auskommt1. Die Grundidee, die Energie- mit der Nahrungsmittelproduktion zu kombinieren, lässt jedenfalls noch Platz zur Ausgestaltung. Stephan Schindele und seine Kollegen sehen viel Potenzial in Gärtnereien und bei Obstbauern, wo Solarmodule zur Beschattung oder als Hagelschutz eingesetzt werden könnten. Gewächshäuser und Folienkulturen eignen sich außerdem für modifizierte APV-Ansätze. In Chile und Vietnam werden vom Fraunhofer ISE gerade kleinere Anlagen getestet, die lokale Energieautarkie in ländliche Räume bringen.2

Für Landwirt Reyer ist die Photovoltaik aber ohnehin nicht die alleinige Lösung: „Wir brauchen einen Mix bei der Energieversorgung“, sagt er. Und die Hofgemeinschaft Heggelbach ist da schon auf einem guten Weg. Neben der APV-Anlage, die auch nach dem Ende des Forschungsprojektes, bestehen bleiben soll und vom Hof auf 25 Jahre gepachtet wird, hat man einen Holzvergaser für Strom und Wärme, der mit Holzhackschnitzeln aus den umliegenden Wäldern gespeist wird. Und natürlich sind auch die Dächer von Ställen und Wohnhäusern mit Sonnenkollektoren bestückt. Auch nach Einschätzung von Stephan Schindele vom Fraunhofer ISE lassen sich APV-Anlagen hierzulande vor allem als maximal ein bis zwei Hektar große Anlagen in direkter Hofnähe oder entlang von Gewerbegebieten gut vorstellen.

Details zum Projekt:

Das Projekt APV-RESOLA wird gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und FONA-Forschung für nachhaltige Entwicklung. Es ist ein gemeinsames Projekt von Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE, BayWa r.e. Solar Projects GmbH, Elektrizitätswerke Schönau, Hofgemeinschaft Heggelbach, Karlsruher Institut für Technologie, Regionalverband Bodensee-Oberschwaben und der Universität Hohenheim.

Konstruktion der Solaranlage: Hilber Solar, Österreich.

Projektlaufzeit Juni 2016 bis Juni 2019.

Literatur

1 https://www.pveurope.eu/News/Solar-Generator/A-rope-rack-for-PV-modules

2 https://www.ise.fraunhofer.de/de/presse-und-medien/presseinformationen/2018/agrophotovoltaik-goes-global-von-chile-bis-vietnam.html

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/sellerie-und-strom-duales-system-auf-dem-acker